Veranstaltung: | FLINTA-Vollversammlung 2025 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 2 Feministische Sozialpolitik |
Antragsteller*in: | Frauen des Landesvorstands (dort beschlossen am: 18.09.2025) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 19.09.2025, 11:14 |
L01: Für ein feministisches und soziales Berlin
Antragstext
Unser Ziel für Berlin ist eine soziale Stadt, die niemanden zurücklässt. Frauen
und Kinder sind am stärksten von Armut, Verdrängung und Ausgrenzung betroffen.
Darunter sind insbesondere Alleinerziehende, People of Color, aber auch ältere
Menschen, Menschen mit Behinderung, Geflüchtete und prekär Beschäftigte
besonders betroffen. Deshalb braucht es dringend einen intersektionalen[1]
feministischen Blick auf Sozialpolitik. Feministische Sozialpolitik beeinflusst
zahlreiche Lebensbereiche, wie Gleichstellung, Familienpolitik, Wohnungspolitik,
Pflege und Bildung.
Berlin hat bereits zahlreiche Sozialeinrichtungen, die wohnungslose FLINTA
(Frauen, Lesben, inter, nicht-binären, trans* und agender Personen) helfen oder
sie darin unterstützen, eine neue Wohnung zu finden. Einrichtungen, die
gewaltbetroffene FLINTA beraten und queere und trans Personen unterstützen.
Berlin verfügt über eine Infrastruktur an Kitas und Kinderläden. Das alles, auch
dank unseres grünen Einsatzes in Land und Bund für eine soziale Stadt.
Angesichts des sozialen Kahlschlags der Berliner Schwarz-Roten Koalition leiden
aber die meisten dieser Einrichtungen gerade an den starken Kürzungen des
schwarz-roten Senats, die ihr Weiterbestehen gefährden. Viele Einrichtungen sind
überfordert von der Bürokratie und können deswegen nicht die notwendige Hilfe
anbieten. Gerade Alleinerziehende benötigen aber flexible Betreuungsangebote.
Wir Grüne setzen uns darum für ein Gutscheinsystem für Betreuung und
haushaltsnahe Dienstleistungen ein, um die Vereinbarkeit von Sorgearbeit und
Erwerbsarbeit zu erleichtern.
Wir brauchen funktionierende Sozialämter, die niederschwellig Hilfe anbieten und
in den meistgesprochenen Sprachen dieser Stadt beraten können. Dabei müssen
Unterstützungsangebote gebündelt werden. Und auch der Fachkräftemangel zeigt
seine Folgen in der Sozialberatung. In den nächsten Jahren gehen viele
Angestellte der Sozialämter in Rente dessen Nachbesetzung zum bisher ungelösten
Problem wird. Wir müssen den Personalmangel in der Verwaltung als Armutsrisiko
erkennen. So verlieren Menschen Wohnungen, weil die Sozialämter die Miete nicht
verlässlich zahlen. Damit die Sozialberatung effektiv wirkt, müssen Sozialämter
gut arbeiten können. Sozialhilfe muss zugänglich und gendersensibel gestaltet
sein. Außerdem müssen wir Anschlüsse schaffen für Menschen, die aus dem System
fallen, weil sie beispielsweise Einrichtungen verlassen müssen.
Armut beginnt nicht erst bei Obdachlosigkeit. Alter, Geschlecht und
Fürsorgeverpflichtungen stellen ein erhebliches Risiko für Armut dar. Armut ist
oft das Ergebnis struktureller Benachteiligung, die sich entlang von Geschlecht,
Alter, Bildung und Haushaltsform zeigt. In wenigen Ländern wird Reichtum und
Armut so stark vererbt wie in Deutschland. Insbesondere FLINTA mit unsteten
Erwerbsbiografien – etwa durch Zeiten unbezahlter Sorgearbeit oder
Teilzeitanstellung – sind besonders gefährdet, in temporärer oder dauerhafter
Armut zu leben. Weder unser Steuer- noch unser Sozialversicherungssystem, noch
unsere Arbeitsmarktförderung oder unser Bildungs- und Ausbildungssystem
berücksichtigen die vielfältigen Herausforderungen für FLINTA-Personen
ausreichend, sondern behindern systematisch die eigenständige Existenzsicherung
von FLINTA. Deswegen brauchen wir gezielte Fördermaßnahmen für FLINTA mit
unterbrochenen Erwerbsverläufen. Auch Bildungs- und Ausbildungsangebote
(beispielsweise Teilzeitausbildung) müssen insbesondere für Mütter – und hier
vor allem Alleinerziehende, denn ihr Armutsrisiko ist noch dreimal höher –
brauchen wir eine Offensive für alle Fragen der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf bzw. Aus- und Weiterbildung. Der 10. Familienbericht hat dank
Familienministerin aD Lisa Paus erstmalig speziell die Situation von Allein- und
Getrennterziehenden in den Blick genommen. Sie sind auf verlässliche
Kinderbetreuung angewiesen und haben höhere finanzielle Belastungen durch
verteuerte Haushaltsführung. Es braucht eine Reform des Mehrbedarfs, sowohl im
Steuer-, als auch im Sozialrecht. Im Bund haben wir darum den steuerlichen
Entlastungsbetrag für Alleinerziehende deutlich erhöht . Die größte
Kindergelderhöhung seit den 1990er Jahren, der monatliche Sofortzuschlag für von
Armut betroffene Kinder und Jugendliche und die Erhöhung des
Unterhaltsvorschusses, schaffen für Alleinerziehende und ihre Kinder spürbare
Entlastung. Wir setzen uns weiter für die Einführung eines Umgangsmehrbedarfs,
eine Begünstigung bei der Anrechnung von Unterhaltseinkommen, Steuergutschriften
für Alleinerziehende und eine Neuberechnung des sozioökonomischen
Existenzminimums von Kindern ein. Um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, braucht
es einen Systemwechsel zur Kindergrundsicherung, in der alle wesentlichen
Leistungen zusammengeführt werden. Denn jedes Kind hat das Recht, mit dem
aufzuwachsen, was es braucht.
In der Armutsbekämpfung ist die Berücksichtigung mentaler Gesundheitsaspekte
unabdingbar. Denn Armut bedeutet oft chronischer Stress, Isolation und eine hohe
psychische Belastung – mit teils gravierenden gesundheitlichen und
gesellschaftlichen Folgen. Wir brauchen außerdem ein vertieftes Verständnis von
Familienarmut, um passgenaue Lösungen zu entwickeln. Rentenarmut (an der vor
allem Frauen leiden) muss stärker bekämpft werden und armen Rentnerinnen muss
finanzielle Unterstützung zugesichert werden. Insgesamt braucht es ein
gesellschaftliches und politisches Umdenken: Armut ist nicht selbstverschuldet,
kein individuelles Versagen, sondern Ausdruck struktureller Ungleichheit und ein
Systemversagen.
Zu einer feministischen Sozialpolitik muss auch eine gerechte
Gesundheitsversorgung gehören, für die wir Grüne uns einsetzen. Dazu gehört eine
solidarische, barrierefreie und gerechte Gesundheitsversorgung und die
kostenlose Bereitstellung von Menstruationsprodukten in öffentlichen
Einrichtungen, kostenfreie Verhütungsmittel, mehr Aufklärung zu den
Wechseljahren, bessere Versorgung bei Endometriose und geschlechtersensible
Gesundheitsforschung – Forderungen, für die wir Grüne uns schon seit Jahren
einsetzen.
Armut ist ein Gesundheitsrisiko, insbesondere für Kinder. Daher muss gesündere
Ernährung in Schulen sichergestellt, das kostenlose Sportangebot für Kinder
ausgeweitet werden und insbesondere das Angebot für sportliche Aktivitäten, die
auch für Mädchen interessant sein können, breiter aufgestellt werden.
Beispielsweise nehmen Jungen öfter an günstigen Vereinssportarten wie Fußball
teil, während von Mädchen präferierte Sportarten weniger Förderung und
Räumlichkeiten erhalten. Ein intersektionaler Blick ist unabdingbar, um
anzuerkennen, wie Krankheit, Behinderung oder Herkunft Faktoren sind, die das
Armutsrisiko erhöhen. Diese Perspektive wollen wir in allen politischen
Maßnahmen berücksichtigen.
Frauen arbeiten in systemrelevanten und trotzdem schlechter bezahlten Berufen
oder erfahren Diskriminierung beim Gründen. Auch erben Frauen weniger und haben
höhere Lebenshaltungskosten. Dies führt dazu, dass Frauen schwieriger Vermögen
aufbauen und fürs Alter vorsorgen können. Traditionelles Rollendenken verstärkt
zudem, dass sich Frauen im Schnitt weniger über Finanzen und Vermögensaufbau
bilden oder dieses Wissen weniger anwenden. Das beste Mittel gegen Armut und für
eine verlässliche Altersvorsorge sind gute Löhne. Deshalb fördern wir
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und verbessern insbesondere die
Erwerbsmöglichkeiten für FLINTA durch gleiche und faire Löhne, verlässliche
Kinderbetreuung, zeitgemäße Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von
Erwerbstätigkeit und Leben, sowie eine einfacheres Rückkehrrecht in Vollzeit.
Gleichzeitig setzen wir uns für eine feministische Finanzbildung sowie für eine
gerechte Steuerpolitik ein. Das Ehegattensplitting zementiert soziale
Ungleichheit und traditionelle Geschlechterrollen. Es wirkt sich besonders
ungerecht auf die Sozialversicherungsbeiträge aus: Trotz hoher Beitragszahlungen
erhalten Klasse-V-Zahlerinnen deutlich geringere Leistungen. Das widerspricht
fundamental dem Äquivalenzprinzip. In Krisenzeiten kommt dafür die Rechnung. Das
Ehegattensplitting setzt in Zusammenspiel mit Minijobs und der kostenlosen
Mitversicherung von Partner*innen, die wenig verdienen, Anreiz, nicht
erwerbstätig zu sein. Die Folgen werden spätestens in Krisen wie Trennung,
Scheidung und Tod des Partners deutlich. Wir Grüne setzen uns für
gleichberechtigte Lebensentwürfe ein. Wir wollen das Ehegattensplitting
grundlegend reformieren und für Neuehen abschaffen und durch eine individuelle
Besteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag ersetzen.
Ein intersektionaler Ansatz ist auch im Gewaltschutz zentral. Gerade FLINTA mit
Mehrfachdiskriminierung müssen wir besser vor Gewalt schützen. Wir Grüne setzen
uns seit Langem und auf allen Ebenen für effektiven Schutz von
geschlechtsspezifischer Gewalt ein. Es ist nicht hinnehmbar, dass
durchschnittlich jeden Monat in Berlin eine Frau von einem Mann getötet wird.
Wir wollen schnellstmöglich den bestmöglichen Gewaltschutz für FLINTA in Berlin.
Im Abgeordnetenhaus von Berlin haben wir einen 5-Punkte-Plan zur Verhinderung
von Femiziden und zum besseren Schutz von FLINTA vor Gewalt vorgelegt. Der grüne
Druck aus der Opposition hat gewirkt. Fast alle unsere grünen Forderungen, wie
die Einführung von interdisziplinären Fallkonferenzen, die Ausweitung der
Wegweisungsdauer und weitere wichtige Punkte wurden von der schwarz-roten
Koalition im Gesetzgebungsverfahren aufgenommen. Außerdem fordern wir mehr
Beratungsstellen und Hilfsangebote, barrierefrei und in mehreren Sprachen, sowie
gezielte Präventionsarbeit. Dank uns gibt es nach Jahrzehnten der Diskussion
endlich ein bundesweit geltendes Gesetz, das ein Recht auf Schutz und Beratung
für gewaltbetroffene Frauen verankert und die Bundesländer beim Ausbau eines
flächendeckenden Netzes der Gewalthilfe unterstützt. Das durch uns Grüne
erkämpfte bundesweite Gewalthilfegesetz verankert den Rechtsanspruch auf
unbürokratische und kostenlose Hilfe und Beratung ab 2032. Die dafür zur
Verfügung gestellten Bundesressourcen ermöglichen, die Hilfsinfrastruktur
passgenau und bedarfsgerecht auszubauen: Mit Schutz-, Beratungs- und
Unterstützungsangeboten für Gewaltbetroffene, aber auch für
Präventionsmaßnahmen, Öffentlichkeitsarbeit, sowie die Unterstützung von
Vernetzungsarbeit innerhalb des Hilfesystems, mit Behörden, Polizei, Justiz und
relevanten Einrichtungen. Die Möglichkeiten sind groß und es ist Zeit, dass
Berlin etwas passendes daraus macht. Wir Grüne fordern einen Prozess zur
vielfaltssensiblen Bedarfsermittlung in enger Zusammenarbeit mit den
Anlaufstellen des Hilfesystems, darunter den Beratungsstellen, Frauenhäusern und
Sozialträgern, der Gewaltschutzambulanz, sowie der neuen Anlaufstelle für
gewaltbetroffene Frauen der Bundespolizei am Berliner Ostbahnhof. Ziel sind mehr
niedrigschwellige Beratungsstellen, Frauenhausplätze, Schutzwohnungen und
Hilfsangebote, barrierefrei und in mehreren Sprachen, sowie gezielte
Präventionsarbeit und effiziente Zusammenarbeit von Hilfsinfrastruktur, Justiz,
Polizei und Verwaltung. Dafür müssen die durch das Gewalthilfegesetz zur
Verfügung gestellten Gelder müssen zusätzlich und effizient in unserer Stadt
genutzt werden. Wir setzen uns ein für ein Berlin ohne Femizide und ein sicheres
Leben für alle FLINTA.
Stattdessen kürzt der Schwarz-Rote Senat gerade in diesem Bereich weiter: Für
das Jahr 2026 sind im Gleichstellungsbereich durch den Senat Kürzungen in Höhe
von 2,574 Mio. Euro geplant. So sollen unter anderem durch pauschale Kürzungen
bei allen Frauenprojekten von durchschnittlich 2% gegenüber der Förderung 2025
umgesetzt werden. Das bedeutet, dass das Weiterbestehen aller Gleichstellungs-
und Gewaltschutzangebote in Berlin gefährdet ist. Das wird massive
Versorgungslücken und längere Wartezeiten besonders für FLINTA in Not zur Folge
haben.
Obdach- und wohnungslose FLINTA sind häufig von Mehrfachdiskriminierung
betroffen. Sie bleiben oft unsichtbar, da ihre Wohnungslosigkeit sich maßgeblich
von der als Norm gesetzten Obdachlosigkeit von Männern unterscheidet – so kommen
wohnungslose FLINTA oft zeitweise bei Bekannten unter, sodass sie im Stadtbild
und in Unterkünften für obdachlose Personen weniger sichtbar sind. Außerdem
bleiben FLINTA vermehrt in prekären Wohnverhältnissen, unter anderem bei
gewaltbereiten Partnern, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Wenn FLINTA aus
gemeinsamen Wohnungen ziehen, weil der Partner gewalttätig ist, verlieren sie
oft den Anspruch auf Vermittlung in eine andere Wohnung durch Sozialbehörden.
Vor allem Mütter, die mit gemeinsamen Kindern die Wohnung verlassen müssen,
stehen kurz vor der Obdachlosigkeit, da wir keine ausreichenden Frauenhausplätze
haben. Dafür braucht es rechtliche Lösungen: Zum einen muss sichergestellt
werden, dass der gewalttätige Partner derjenige ist, der die Wohnung verlassen
muss. Das Gewaltschutzgesetz schafft Grundlage für Wegweisungen und
Kontaktverbote. Andererseits muss gewährleistet werden, dass Frauen Anspruch auf
eine andere Wohnung erhalten. Mütter sollten außerdem auch bei der Finanzierung
von größeren Wohnungen unterstützt werden.
Wir brauchen faire Lösungen für Wohnungslosigkeit. Die letzte Bundesregierung
hat unter bündnisgrüner Beteiligung mit dem Nationalen Aktionsplan
Wohnungslosigkeit 2024 den richtigen und dringend notwendigen Weg eingeschlagen.
Er eröffnete die Chance, dem Ziel näherzukommen, Wohnungslosigkeit in
Deutschland bis 2030 zu überwinden. Geschützte Marktsegmente müssen erweitert
und ein Teil für FLINTA sichergestellt werden. Dazu ist auch die Neue
Wohngemeinnützigkeit ein wichtiges Instrument, langfristig und dauerhaft
günstigen Mietwohnraum zu schaffen. Unternehmen sollen vom Bund Unterstützung
erhalten für Neubau, Modernisierung und Ankauf. Die Bundesregierung hat jetzt
die Chance, ihre Fehler, der 90er Jahre rückgängig zu machen und in einen
dauerhaft bezahlbaren gemeinnützigen Sektor auf dem Wohnungsmarkt zu
investieren. Berlin muss gemeinsam mit dem Bund Wege finden, die Finanzierung
der Kosten der Wohnungsgewinnung abzusichern. Ebenso wichtig ist der Aufbau
eines überkommunalen Best-Practice-Austauschs – gezielt für die Verwaltungen in
den Bezirken. Nur so können erfolgreiche Ansätze – von wirksamer Prävention bis
hin zu Housing First Projekten – verbreitet und dauerhaft verankert werden. Auf
Bundesebene ist darum besonders wichtig, dass die Haushaltsmittel für die
wichtige Arbeit, insbesondere der Bundesarbeitsgemeinschaft für
Wohnungslosenhilfe und des Housing First Bundesverbandes im Bundeshaushalt,
verstetigt werden.
Es sollte reduzierte Kautionen für Alleinerziehende geben. Außerdem brauchen wir
barrierefreie Frauenunterkünfte und Unterkünfte, die rund um die Uhr geöffnet
sind. Besonders Unterkünfte für FLINTA mit Kindern sind zentral, da viele
gewaltbetroffene FLINTA die gemeinsame Wohnung mit ihren Kindern verlassen,
viele Unterkünfte jedoch keine Kinder aufnehmen, sodass diese auf sich allein
gestellt sind. Notwendig sind auch spezialisierte Unterkünfte für psychisch
erkrankte und suchtmittelabhängige FLINTA. Wohnen ist die soziale Frage unserer
Stadt. Deshalb setzen wir uns mit einem Eckpunkteplan für bezahlbare und schöne
Wohnungen ein.
Pflegearbeit ist ein zentraler Bereich feministischer Sozialpolitik – sowohl
bezahlte als auch unbezahlte Pflege wird überwiegend von Frauen übernommen.
Infolge der Alterung der Gesellschaft werden in Deutschland bis zum Jahr 2049
voraussichtlich zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen (Statistisches
Bundesamt). Schon heute werden 86% der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt. Rund
jede achte erwerbstätige Frau pflegt regelmäßig neben der Erwerbsarbeit andere
Personen. Pflegende An- und Zugehörige geraten an die Grenze ihre Belastbarkeit
– sie stemmen den Großteil der Versorgung, oft ohne ausreichende Unterstützung
oder Entlastung. Pflegedienste oder -heime können nicht mehr die nötige
professionelle Unterstützung bieten. Dabei sind Sorgeverantwortungen ein großes
Armutsrisiko für Frauen. Um eine bessere Pflegeversorgung in unserer Stadt
sicherzustellen, sind mehrere Faktoren notwendig. So müssen bürokratischer
Hürden bei der Beantragung von Pflegeleistungen abgebaut werden. Außerdem muss
der Pflegekräftemangel bekämpft werden, etwa durch bessere Arbeitsbedingungen
und faire Bezahlung, sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Grundsätzlich bleibt die Vereinbarkeitsfrage weiterhin eine zentrale Frage im
Bereich der feministischen Sozialpolitik. Es ist Zeit für eine Pflegereform, um
Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz zusammenzuführen und auf eine
Lohnersatzleistung für pflegende An- und Zugehörige hinzuwirken. Im Bund haben
wir mit dem Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz dafür gesorgt, dass die
Leistungsbeträge der Pflegeversicherung in den kommenden Jahren schrittweise
angehoben werden. Das entlastet pflegebedürftige Menschen finanziell. Wir haben
erreicht, dass pflegende Angehörige an bis zu zehn Tagen im Kalenderjahr einen
Anspruch auf Lohnersatz – das sogenannte Pflegeunterstützungsgeld – haben, wenn
sie wegen der Pflege nicht zur Arbeit gehen können. Wir setzen uns dafür ein,
dass Betreuungskosten sowie Kosten für Haushaltshilfen und haushaltsnahe
Dienstleistungen umfangreich von der Steuerabsetzbar sind. Beschäftigte brauchen
zudem mehr Zeitsouveränität und flexiblere Arbeitszeitmodelle. Dazu gehört auch
die Möglichkeit, im Homeoffice und mobil zu arbeiten – mit klaren Regeln und
fairen Absprachen.
Eine gute Kinderbetreuung und ein verlässliches Pflegesystem sind wesentliche
Voraussetzungen für die Erwerbstätigkeit aller Erziehenden und Pflegenden. Es
braucht eine grundlegende Neuausrichtung der Sorge- und Pflegepolitik. Pflege
muss in kommunale Verantwortung rückgeführt werden, um sie näher an den
Bedürfnissen der Menschen auszurichten und damit das Land Berlin eine
bedarfsgerechte, leistungsfähige und regional abgestimmte pflegerische
Versorgung sicherstellt. Deswegen müssen wir Berlin als sorgende Stadt begreifen
und gestalten: Eine Stadt, in der die öffentlichen Strukturen die relevanten
Care-Aufgaben übernehmen, sodass diese nicht an Einzelpersonen, in aller Regel
Frauen, hängen bleiben. In einer sorgenden Stadt sind Frauen nicht
Alleinverantwortliche für Sorgeverantwortungen, sondern diese werden von der
Stadt getragen und als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden.
Begründung
[1] Intersektionalität bezeichnet das Zusammenwirken unterschiedlicher Diskriminierungsformen.