Veranstaltung: | LDK am 04. Mai 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | weitere Anträge, die nicht auf dieser LDK behandelt werden |
Antragsteller*in: | LAG Tierschutzpolitik (dort beschlossen am: 29.03.2024) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 30.03.2024, 05:41 |
V-23: Eine starke Stimme für die Tiere mit unabhängigen Tierschutzbeauftragten – Tierschutzkahlschlag in Berlin verhindern
Antragstext
Seit Amtszeit des bündnisgrün-beteilitgten Senats 2017 ist das Amt des*der Berliner
Landestierschutzbeauftragte*n hauptamtlich besetzt, was einen entscheidenden Fortschritt für
den Tierschutz in Berlin darstellt. Die Stellenausschreibungen sahen vor, dass die Tätigkeit
fachaufsichtlich weisungsfrei erfolgen kann, der*die Landestierschutzbeauftragte verfüg(t)en
über einen Stab an Mitarbeiter*innen, ein eigenes Budget und die Möglichkeit unabhängiger
Stellungnahmen und Pressearbeit.
Der neue Senat möchte diese Fortschritte rückgängig zu machen, und die bisherige nur
„Zuordnung“ des Amts zur Senatsverwaltung Verbraucherschutz durch politische Weisungen und
Sperren in eine Unterordnung und Einordnung ändern – und damit sogar eine absurde
Doppelstruktur zu schaffen, denn es gibt bereits ein Fachreferat zum Tierschutz in derselben
Senatsverwaltung. Da der Vollzug im Tierschutz über Verwaltung oder Gerichte de facto stark
begrenzt ist, und sich ähnlich wie die Natur auch Tiere nicht selbst zu Wort melden können,
ist es zur Durchsetzung des Staatsziels Tierschutz im Grundgesetz erforderlich, dass das Amt
des*der Landestierschutzbeauftragten eine besondere Stellung hat.
Für uns Bündnisgrüne ist es wichtig, klare Absichten zu formulieren, damit neben
parlamentarischen Anträgen zum Thema das Amt bei einer erneuten Regierungsbeteiligung nicht
nur erhalten, sondern weiter gestärkt wird – und Bürger*innen wissen, dass wir Tierschutz
als Partei ernst nehmen. Wir wollen das Amt des*der Tierschutzbeauftragten rechtlich als
weisungsfrei sichern und tatsächlich unabhängig gestalten, mit den notwendigen Ressourcen,
einem Maßnahmenbudget und Personal, d. h. eigene Planstellen für Jurist*innen sowie
Tierärzt*innen und Verwaltungsangestellte für Stellungnahmen und Öffentlichkeitsarbeit
ausstatten sowie eine effektive Kontroll- und Appellfunktion ermöglichen. Das Amt des*der
Datenschutzbeauftragten ist in der Berliner Verfassung abgesichert – das sollte auch bei
dem*der Tierschutzbeauftragen so sein.
Für die Unabhängigkeit sollte das Amt lediglich unter Rechtsaufsicht des Rechnungshofs
stehen, nicht unter Dienst-, Rechts- oder Fachaufsicht durch den Senat oder eine andere
politische Instanz. Auch die Besetzung sollte extern und unabhängig erfolgen, um
parteipolitische Interessenkonflikte zu vermeiden. Nur „Unabhängig“ kann aber immer noch
bedeuten, nicht gehört zu werden oder keinen Zugriff auf die entscheidenden Informationen
oder Vorgänge zu bekommen. Zentral für die Kontrollfunktion, und eine Basis für eine
effektive Appellfunktion ist daher, dass der*die Tierschutzbeaufragte strukturell in
Verfahren und Gremien eingebunden wird, und Zugriff auf alle relevanten Informationen hat –
d.h. Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte mit einem Anweisungsrecht, alle Informationen
bereitzustellen, die für die Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind. Wichtig ist ebenso
Beteiligung, Beratung und Möglichkeit zur Beanstandung rechtlicher Vorhaben und
Verwaltungsvorgänge, welche den Tierschutz betreffen und die Mitwirkung an EU-, Bundesrats-
und Abgeordnetenhaus-Angelegenheiten zu Tierschutzfragen. Auch die Mitwirkung tier-, arten-
und habitatsschutzrechtlicher Bestimmungen durch die Behörden der Landes- und Bezirksebene
sowie der Einrichtungen und Unternehmen des Landes gehört zur Möglichkeit, die Rechte der
Tiere stellvertretend wahrnehmen zu können.
Diese starke Stimme für die Tiere ist nicht nur abstrakt – sondern in Berlin gibt es viele
konkrete Herausforderungen und Chancen im Tierschutz, für die ein*e effektive
Tierschutzbeauftragte*r wichtig ist – hier sind einige Punkte aus den unterschiedlichen
Bereichen genannt.
1. Bundesland und Bundesstaat: Berlin kann und sollte über den Bundesrat Einfluss auf die
Bundespolitik nehmen, denn das Tierschutzrecht liegt zumeist auf Ebene des Bundes und der
EU. Der*die Landestierschutzbeauftragte sollte dafür in die Vernetzung der Behörden des
Landes und des Bundes eingebunden werden und somit qualifizierte(re) Anregungen geben
können, wie Berlin den Tierschutz fördern kann. Zum Beispiel durch Anregung der Einleitung
eines Normenkontrollverfahrens durch die Landesregierung - von der damaligen bündnisgrün-
beteiligten Landesregierung wurde ein solches Anfang 2019 zur Haltung von Schweinen
eingereicht. Neben anderen Haltungsformen steht diese in der Kritik, da sie weder mit dem
Grundgesetz noch dem Tierschutzgesetz vereinbar scheint. Es besteht ein öffentliches
Interesse an der Entscheidung hierüber durch das Bundesverfassungsgericht. Bürger*innen, die
sich nicht nur in Berlin, sondern bundesweit mehr Tierschutz wünschen, wie auch Bäuer*innen,
(Amts-)Veterinär*innen, Verwaltung und Justiz erwarten klärende Worte vom
Bundesverfassungsgericht. Die Dauer des Verfahrens ist im Vergleich zum Legehennenverfahren
durchaus nicht überlang, und das Verfahren ist bereits weit vorangeschritten. Der neue
aktuelle Senat prüft derzeit den Normenkontrollantrag zurückziehen – dies ist jedoch rein
parteipolitisch motiviert und durch objektive Gründe nicht nachvollziehbar würde dem
Grundsatz der Effizienz widersprechen und die Öffentlichkeit, die Verfassungskonformität
erwartet, vor den Kopf stoßen. Der*die Landestierschutzbeauftragte kann und sollte solche
Fakten deutlich und öffentlich aussprechen können, auch wenn sie vom Senat politisch
unerwünscht sind. Wir fordern eine Fortsetzung des Verfahrens und werben bei bündnisgrün-
beteiligten Bundesländern dafür, dies zu unterstützen.
2. Großstadt-Themen: In Berlin gibt es andere Herausforderungen als in Flächenländern, und
der*die Landestierschutzbeauftragte ist entscheidend, um nachhaltige und tiergerechte
Lösungen in Theorie und Praxis voranzubringen – so bei den Stadttauben. Für mehr Sauberkeit
und Tierschutz, und um die Zahl der Tauben zu reduzieren sprechen wir uns für ein
Populationsmanagement mit betreuten Taubenschlägen, artgerechtem Futter und Eiertausch aus,
so wie es aktuell in Hamburg eingeführt, in den meisten deutschen Städten praktiziert wird
und in Berlin zumindest für Pilotprojekte vorgesehen ist. Für die Stadttauben und
Initiativen wird damit Hilfe statt Repression erreicht. Außerhalb der Bereiche mit
Taubenschlägen ist ein allgemeines Fütterungsverbot keine Lösung, da es neben dem
erwartbaren Vollzugsdefizit, hungernde und damit mehr kranke und sterbende Tiere und
Hungerkot bei der Aufnahme von Müll zur Folge hätte, eine tierärztliche Versorgung und
Lenkung der Taubenschwärme erschwert oder verunmöglicht und die Tiere weiter stigmatisiert.
Die Schwärme entstehen ursächlich aus willkürlich ausgesetzten und für das Flugziel zu
erschöpften Haustieren – daher muss unbedingt auch an den Ursachen wie der Taubenzucht
angesetzt werden. Die ihnen angezüchtete Bruthäufigkeit fällt durch eine solche
tierschutzwidrige Aushungerung und Verelendung nicht weg.
3. Initiativen und Verbände: Der*die Tierschutzbeauftragte und der Stab sind zentraler
Ansprechpartner und helfen neben der Zivilgesellschaft auch der Politik mit schnellen und
unbürokratischen Stellungnahmen – diese Möglichkeit muss erhalten bleiben. Wirksam wird
Tierschutz in Kombination mit einem Verbandsklagerecht, so wie es im Naturschutz seit langem
selbstverständlich ist, im Tierschutz jedoch in vielen Bundesländern nicht besteht oder
gesichert ist. Wir sprechen uns für den Erhalt und die Stärkung des Berliner
Verbandsklagerechts für anerkannte Tierschutzorganisationen aus, die neben der Möglichkeit
von Akteneinsicht in Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren des Landes und der Bezirke die
Möglichkeit einer Anfechtungsklage für alle Bereiche des Tierschutzes enthalten sollen.
Effektiver Tierschutz kann manchmal auch unbequem sein, sowohl für Verwaltung als auch
Politik – wir akzeptieren, dass zur Umsetzung des Tierschutzgesetzes und der Erreichung des
Staatsziels im Grundgesetz neben Transparenz auch öffentliche Konflikte notwendig und
hilfreich sein können. Klageberechtigte Verbände und Veterinärämter können mit einer sich
gegenseitig unterstützenden Zusammenarbeit viel für die Tiere erreichen.
4. Haustiere: Die Haltung aller Tiere erfordert eine Sachkunde zu einem angemessenen Umgang
und einer tiergerechten Haltung. Anders als in anderen EU-Ländern ist in Deutschland sogar
die Einzelhaltung sozialer Tierarten weiterhin möglich, und mangelndes Wissen über die
Folgen dieser Isolation oder falscher Zusammenhaltung verschiedener Arten verstärkt das
Problem. Der*die Landestierschutzbeauftragte kann informieren, soll aber auch nachhaltige
Lösungen einfordern und begleiten können. Als einer der ersten Schritte auf dem Weg zu einer
Modellstadt, in der Mensch und Haustier gut zusammenleben können, muss in Berlin der Umgang
mit allen Hunden tierschutzgerechter gestaltet werden. Insbesondere muss die
stigmatisierende und nicht zielführende Rasseliste durch einen verbindlichen
Sachkundenachweis als „Hundeführerschein“ für alle Rassen ersetzt werden. Eine Theorie- und
Praxisprüfung sichert die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten und nutzt Mensch und Tier.
Zudem würde der Spontankauf von Hunden deutlich reduziert werden - sogenannte Listenhunde
leben teils bis an ihr Lebensende im Tierheim, weil die Vermittlung von ihnen aufgrund der
bisherigen gesetzlichen Regelungen und ihrer Stigmatisierung enorm schwierig ist.
5. Stadtwildtiere: Igel, Fuchs, Spatz und Co gehören zu Berlin. Diese Wildtiere bereichern
unser Leben, und wir wollen ihnen über tiergerechtes Gestalten („Animal Aided Design“) von
Gebäuden und Grünflächen sowie einer Vernetzung ihrer Habitate über Biotopverbünde und der
Lebensraumgestaltung in den Berliner Wäldern die Stadt lebenswert erhalten. Über
Pressearbeit und Formate wie das Tierschutzforum trägt das Amt der*des
Landestierschutzbeauftragten dazu bei, dass das Zusammenleben von Menschen und Wildtieren
gut funktioniert. Artenschutz und Tierschutz sind kein Widerspruch, sondern überschneiden
und ergänzen sich – beides ist im selben Artikel des Grundgesetzes als Staatsziel definiert.
Das Tötungsverbot im Naturschutzgesetz unterstreicht die Wichtigkeit auch individueller
Tiere. Die große Herausforderung in Berlin ist die tierärztliche Versorgung von Wildtieren.
Wir sprechen uns für die Einrichtung eines Wildtierzentrums aus, das Kompetenz und
Versorgung bündelt und bestehende Initiativen mit einbezieht, sodass Bürger*innen und
Initiativen mit verletzten oder kranken Tieren auch in Berlin ausreichende Hilfe und
Unterstützung finden.