Veranstaltung: | LDK am 04. Mai 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | weitere Anträge, die nicht auf dieser LDK behandelt werden |
Antragsteller*innen: | Leonie Wingerath (LV Grüne Jugend Berlin) Tjado Stemmermann (KV Berlin-Neukölln) Yannick Brugger (KV Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 30.03.2024, 10:39 |
V-30: Opferschutz statt Schwarz-Roter Symbolpolitik- Wiedereinführung des Ordnungsrechts stoppen!
Antragstext
Der Schutz demokratischer Rechte von allen Menschen liegt in unserer Bündnisgrünen DNA. Dazu
gehören insbesondere die Versammlungsfreiheit und die freie Meinungsäußerung - auch an
Hochschulen.
Gleichzeitig stehen wir für einen starken Opferschutz: Opfer von Gewalt und Diskriminierung
müssen sich wieder sicher fühlen können - auch an Hochschulen.
Erst 2021 haben wir gemeinsam mit SPD und LINKEN das Hochschulgesetz modernisiert und dabei
das Ordnungsrecht gestrichen. Die Rückschrittskoalition aus CDU und SPD hat nun einen
Gesetzentwurf vorgelegt, der unsere Verbesserungen rückabwickelt: In Hochschulen soll erneut
ein paralleles Ordnungsrecht gelten, das neben dem allgemeingültigen Ordnungsrecht steht.
Damit inszeniert sich der Senat als Vorkämpfer für Gewaltopfer. Doch während für die
Betroffenen keine wirklichen Verbesserungen zu erwarten sind, greifen die
Gesetzesverschärfungen Grundrechte an und könnten politischer Willkür den Weg bereiten.
Hausrecht im Sinne des Opferschutzes nutzen
Dass Opfer von Gewalt und Diskriminierung vor Täter*innen geschützt werden müssen, ist
unbestritten. Das gilt ganz besonders in und für Hochschulen: Sie sind als öffentliche
Einrichtungen für hundertausende Berliner*innen und ihre Lebensentwürfe unverzichtbar.
Bereits jetzt gibt es das Hausrecht: Hochschulen können Hausverbote erlassen, um Studierende
vor Kommiliton*innen zu schützen. Das Hausrecht der Hochschulen muss ein wirksames
Instrument sein, das Studierende effektiv schützt. Deswegen begrüßen wir es, wenn
wissenschaftlich fundiert und mit ausreichend Vorlauf geprüft wird, inwieweit das Hausrecht
und Hausverbote zum Schutz der Studierenden ausgeweitet werden können. Eine
Zwangsexmatrikulation führt hingegen zu keiner Verbesserung des Opferschutzes.
Schaffung einer Paralleljustiz - Ordnungsausschüsse ersetzen keine Gerichte und schützen
Betroffene nicht nachhaltig!
Als besonders problematisch sehen wir es an, dass Studierende laut Gesetzesentwurf ohne
rechtskräftige Verurteilung zwangsexmatrikuliert werden können. Dies ist möglich, wenn nach
einer Androhung einer Exmatrikulation ein zweiter Ordnungsverstoß erfolgt.
Zwangsexmatrikulationen ohne belastbares Urteil durch ausgebildete Jurist*innen - das finden
wir falsch!
Ob Studierende ihr Studium weiterführen dürfen oder abbrechen müssen, entscheidet nach den
Plänen von Schwarz-Rot ein Ordnungsausschuss der Universitäten.
Hier wird eine Paralleljustiz geschaffen, die anfällig für politischen Druck ist und von
Gerichten leicht angefochten werden kann. Sprich: Im Ernstfall sind Täter*innen schon bald
wieder zurück an der Universität und den Betroffenen ist nicht geholfen.
Universitäten sind keine Gerichte. Sie sind auch nicht darauf ausgelegt, strafrechtliche
Entscheidungen zu treffen. Wird die Universität zur Ordnungsbehörde, entstehen
Zielkonflikte: Die Universität als Ort der freien Meinungsäußerung oder der Regulierung?
Hochschulen sind zudem überfordert mit der Aufgabe, über die Exmatrikulationen zu
entscheiden. Das zeigt der Blick in andere Bundesländer.
Zwangsexmatrikulationen verhindern Rehabilitation - und treffen nicht alle Menschen gleich!
Eine Zwangsexmatrikulation ist ein schwerer Grundrechtseingriff und kann für bestimmte
Studierende zu existenziellen Problemen führen. Gerade für marginalisierte Gruppen, für die
das Aufenthaltsrecht am Studienplatz hängt, kann eine Exmatrikulation gleichzeitig die
Abschiebung bedeuten. Und wer in einem Studierendenwohnheim lebt, wird möglicherweise
wohnungslos.
Nach der Verhängung einer Zwangsexmatrikulation ist das Studieren in der gesamten
Bundesrepublik untersagt, nicht nur an der ursprünglichen Hochschule. Das widerspricht dem
Ansatz der Rehabilitation: Wenn wir Menschen wirklich eine zweite Chance geben wollen, muss
das auch für das Studium gelten!
Wiedereinführung des Ordnungsrechts kann politisch missbraucht werden
Es ist damit zu rechnen, dass die Wiedereinführung des Ordnungsrechts an Berliner
Hochschulen zu Angst vor Repressionen unter den Studierenden führen kann. Denn der Vorschlag
von Schwarz-Rot ist so formuliert, dass das Ordnungsrecht als Instrument für politische
Zwangsexmatrikulationen missbraucht werden kann. Der Gesetzesentwurf schließt nicht aus,
dass Handlungen wie beispielsweise Plakatieren als Ordnungsverstoß gewertet werden könnten.
Auf diese Weise könnten politisch aktive Studierende nach wiederholten "Ordnungsverstößen"
dieser Art ohne strafgerichtliche Verurteilung zwangsexmatrikuliert werden.
Wenn Hochschulen den Protest von Studierenden als illegitim betrachten, könnte schon die
Androhung des universitären Ordnungsrechts Proteste von Studierenden unterdrücken. Das
finden wir fatal, denn Protest gehört für uns zu einer lebendigen und gesunden Demokratie
selbstverständlich mit dazu.
Aus diesen Gründen lehnt Bündnis 90/Die Grünen Berlin die von Schwarz-Rot geplante
Wiedereinführung des Ordnungsrechts an Berliner Hochschulen ab.
Statt ausschließlich auf Repression zu setzen, muss Betroffenen von Diskriminierung und
Opfern von Straftaten geholfen werden, indem das Hausrecht ausgeschöpft, die bestehenden
(Straf-)gesetze wirksam angewendet und die Aufklärungs- und Präventionsarbeit an
Universitäten und Schulen gestärkt werden.
Begründung
Der Gesetzesvorschlag des Senats beinhaltet verschiedene Möglichkeiten, Studierende für Ordnungsverstöße zu bestrafen und zwar durch Maßnahmen wie:
-den Ausspruch einer Rüge
-die Androhung der Exmatrikulation
-den Ausschluss von der Benutzung von bestimmten Einrichtungen der Hochschule, einschließlich ihrer digitalen Infrastruktur
-den Ausschluss von der Teilnahme an einzelnen Lehrveranstaltungen bis zu einem Semester
-und durch die Exmatrikulation
Was sind Ordnungsverstöße laut Vorschlag?
Studierende begehen nach dem Gesetzesvorschlag Ordnungsverstöße, wenn sie unter anderem...
-Gewalt anwenden, dazu auffordern oder damit drohen, sodass ein Mitglied der Hochschule in der Ausübung seiner Rechte und Pflichten erheblich beeintraächtigt wird
Das sehen wir als problematisch an, denn: Der Begriff der "Gewalt" wird im juristischen Kontext teils weit ausgelegt. In der Vergangenheit sind bereits Blockaden oder Hörsaalbesetzungen als Nötigung bestraft worden. Die Wiedereinführung des Ordnungsrechts an Berliner Hochschulen birgt demnach ein hohes Risiko für politische Studierende: Wird ihr politisches Engagement in Form von Hörsaalbesetzungen oder störenden Protestaktionen wiederholt als "Gewalt" gewertet, besteht die Gefahr, dass sie dank des von Schwarz-Rot geplanten Ordnungsrechts zwangsexmatrikuliert werden.
Universitäten sollen demokratische und freie Diskursräume sein, gerade in Zeiten des Rechtsrucks. Doch die ständige Angst vor Repressionen wie einer Zwangsexmatrikulation hat das Potential, diesen so wichtigen demokratischen Diskurs an Berliner Hochschulen massiv einzuschränken.
Studierende begehen nach dem Gesetzesvorschlag Ordnungsverstöße, wenn sie unter anderem...
-Einrichtungen der Hochschule zu strafbaren Handlungen nutzen oder zu nutzen versuchen
Hier ist unklar, was darunter fällt. Das kann Plakatieren sein oder auch die Teilnahme an einer Besetzung. Lediglich Diskriminierung ist als Grundlage für eine Zwangsexmatrikulation ausgeschlossen.
Was ist das Problem mit dem Ordnungsausschuss?
Laut Gesetzentwurf tagt dieser Ausschuss geheim, seine Verfahren sind intransparent. Das macht es schwierig, seine Entscheidungen zu kontrollieren. Echte Gerichtsverhandlungen sind aus gutem Grund öffentlich. Darüber hinaus besteht der Ausschuss überwiegend aus Angehörigen der Universität, also Lai*innen ohne juristische Ausbildung. Lediglich ein Mitglied muss eine Befugnis zum Richteramt haben. Zudem sind Studierende im schlimmsten Fall mit nur einem Platz vertreten, was den Druck auf eben diese eine Person enorm erhöht. Ein einzelner Mensch kann unmöglich die diverse und zahlreiche Studierendenschaft vertreten!
Der Gesetzesentwurf und die Wiedereinführung des Ordnungsrechts im Hochschulgesetz verfehlen ihr Ziel, Betroffene wirksam zu schützen. Eine zusätzliche abschreckende Wirkung für Gewalttäter*innen zusätzlich zum Strafrecht ist nicht zu erwarten. Aus diesen Gründen halten wir die Wiedereinfuhrung des Ordnungsrechts an Hochschulen für gefährlich und lehnen den Gesetzesentwurf ab.
Hier die Quellen:
Brief von Professor*innen an die Mitglieder des Berliner Senats
Die Position des Antrags fußt auf der Beschlusslage der LMV der GJ Berlin:
Unterstützer*innen
- Jonathan Morsch (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf)
- Elina Schumacher (LV Grüne Jugend Berlin)
- Birgit Vasiliades (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf)
- Shirin Kreße (KV Berlin-Mitte)
- Marie Anna Graser (LV Grüne Jugend Berlin)
- Lisbeth Emely Ritterhoff (KV Berlin-Neukölln)
- Katinka Wellnitz (LV Grüne Jugend Berlin)
- Anton Zagolla (LV Grüne Jugend Berlin)
- Vito Dabisch (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
- Carola Scheibe-Köster (KV Berlin-Neukölln)
- Luna Afra Evans (KV Berlin-Pankow)