Veranstaltung: | LDK am 30. November 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 9 Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Petra Vandrey (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 24.10.2024, 19:34 |
V-11: Femizide verhindern - Gewaltschutz in Berlin effektiver machen und finanziell absichern
Antragstext
2024 gab es in Berlin schon in den ersten acht Monaten 28 Fälle von Körperverletzung mit
Todesfolge gegen Frauen, darunter Femizide. Femizide sind die extremste Gewaltform gegen
Frauen. Femizid bedeutet, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden – also weil
sie Frauen sind. Der Kampf gegen Gewalt an Frauen, aber auch der Gewaltschutz generell muss
künftig Priorität in der Berliner Landespolitik haben. Über 70 % der Betroffenen von Gewalt
sind weiblich. Die Istanbul-Konvention verpflichtet Deutschland und damit auch Berlin,
wirksame Schutzmaßnahmen zu treffen. Ein sicheres Berlin bedeutet, alle Berliner*innen vor
Gewalt zu schützen.
- Die Verlängerung der Wegweisung von Tätern häuslicher Gewalt von jetzt zwei Wochen auf
vier Wochen im Berliner Polizeirecht, damit eine Person, die von häuslicher Gewalt
betroffen ist, länger Zeit hat, sich Hilfe zu holen und Anordnungen wie längerfristige
Näherungsverbote zu erwirken. Angeordnete Näherungsverbote müssen wirksam umgesetzt
werden.
Begründung
Zu 1) Landesopferschutzgesetz („UBSG“)
Die Schaffung eines Landesopferschutzgesetzes („UBSG – Gesetz zur Unterstützung Betroffener von Straftaten“) in Berlin ist wichtig, damit Betroffene von Straftaten nicht alleine gelassen werden. Mit dem Gesetz wollen wir einen Rechtsanspruch auf Beratung und Unterstützung schaffen, den pro aktiven Ansatz im Opferschutz verankern und die dauerhafte Finanzierung der Berliner Opferschutzeinrichtungen und Beratungsstellen absichern. Auch in Zeiten knapper Kassen darf am Opferschutz nicht gespart werden. Dies gilt für alle Opferschutzeinrichtungen, insbesondere auch für Frauenhäuser. Mit dem von der grünen Fraktion im Oktober 2023 im Abgeordnetenhaus vorgeschlagenen Gesetz zur Unterstützung von Betroffenen von Straftaten, dem UBSG, würde das Land Berlin effektiven Opferschutz rechtlich und finanziell absichern. Zukünftig sollten Menschen, die eine Gewalt- oder Straftat erfahren, aktiv unterstützt werden, um das Erlebte zu bewältigen und vor neuer Gewalt geschützt zu werden.
Zu 2) Wegweisungen verlängern
Wegweisung bedeutet, dass die Polizei bei akuter häuslicher Gewalt dem Täter verbietet, die Wohnung zu betreten. Dies ist im jetzigen Berliner Polizeirecht (ASOG) nur für zwei Wochen möglich. Notwendig sind jedoch längere Verbote für die Betretung von Wohnungen - bis zu vier Wochen. Denn es dauert oft länger als zwei Wochen, bis die betroffene Frau sich nach einer Gewalttat Unterstützung holt, sich beispielsweise an eine Anwältin wendet und diese dann vor dem Gericht ein längeres Näherungsverbot (in Form eines familiengerichtlichen Beschlusses) erwirkt. Einen Antrag auf eine entsprechende Regelung im Berliner ASOG wurde von der grünen Fraktion im Abgeordnetenhaus im Oktober 2024 eingebracht.
Wichtig ist, dass Betretungs- und Näherungsverbote wirksam umgesetzt werden. Derzeit passiert oft nicht viel, wenn gegen solche Verbote verstoßen wird. Gesetzlich geregelt werden sollten daher auch erhebliche Bußgelder bei Verstößen gegen Betretungs- und Näherungsverbote. Der Einsatz von elektronischer Aufenthaltsüberwachung („Fußfessel“) in Hochrisikofällen nach dem Vorbild anderer Länder sollte geprüft werden, wobei solche Instrumente nur in Einzelfällen unter Abwägung betroffener Grundrechte und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch ein Gericht angeordnet werden dürfen, wenn andere (mildere) Mittel nicht ausreichen, damit Näherungsverbote wirksam umgesetzt werden.
Zu 3) Fallkonferenzen einführen
Fallkonferenzen sind wichtig für eine bessere Vernetzung von sozialen Diensten, Polizei, Jugendämtern und Gesundheitswesen. In einigen Fällen ist die Ausübung von Gewalt, schlimmstenfalls eines Femizides, schon abzusehen oder zumindest nicht unwahrscheinlich, dennoch werden die Opfer oft nicht ausreichend geschützt. In solchen Fällen müssen die verschiedenen Behörden besser zusammenarbeiten, um wirksame Schutzkonzepte zu entwickeln. In Berlin erfolgt das wegen datenschutzrechtlicher Bedenken bisher in den verschiedenen Stellen einzeln, oft ohne, dass eine Stelle weiß, was andere Stellen schon besprochen haben. Hier brauchen wir eine datenschutzkonforme Lösung. Eine Regelung kann im Berliner Polizeirecht erfolgen, ein entsprechender Antrag der grünen Abgeordnetenhausfraktion wurde im Oktober 2024 eingebracht.
Zu 4) Datenweitergabe rechtssicher regeln
Ziel der Regelung der Datenweitergabe von Polizei an Beratungsstellen ist es, Betroffenen von Straftaten schnell und unbürokratisch Unterstützung zukommen zu lassen. Den von Gewalt betroffenen Menschen sollen durch die Beratungsstellen pro aktiv Unterstützungsangebote gemacht werden können. Hierfür ist eine schnelle, aber auch datenschutzkonforme Weitergabe von personenbezogenen Daten notwendig. Hierfür soll im Berliner Polizeirecht eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, an der es bislang in Berlin fehlte. Einen entsprechenden Antrag hat die grüne Fraktion im Abgeordnetenhaus im Oktober 2024 eingebracht. Betroffene von Straftaten sollen so individuelle Unterstützung und Hilfe bekommen, um die Folgen der erlebten Straftat besser bewältigen zu können und sich vor neuen Straftaten zu schützen.
Zu 5) Täterarbeit als ein Baustein des Opferschutzes
Zu einem effektiven Opferschutz, insbesondere im Bereich der häuslichen Gewalt, gehört als ein Baustein die Arbeit mit den Tätern. Täterarbeit ist als effektives Mittel des Opferschutzes anerkannt und in der Istanbul Konvention verankert. Es gilt, mit Hilfe der Täterarbeit neue Gewalttaten zu unterbinden. Schwierig ist die Unterbindung neuer Gewalt oft gerade bei häuslicher Gewalt, wo sich Gewaltmuster in Partnerschaften oft wiederholen. Hier gilt es, die Täter in den Blick zu nehmen. Sie sollen lernen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, sich besser zu kontrollieren und Konflikte ohne Anwendung von Gewalt zu lösen. Zur Täterarbeit gehören beispielsweise Antiaggressionstrainings und das Erlernen von Verhaltensänderungen. Hierbei geht es nicht um Therapien für die Täter, sondern um die Verhinderung künftiger Gewalttaten. In Berlin gibt es bereits professionelle Stellen, die wirksame Angebote der Täterarbeit zur Verfügung stellen. Diese Angebote müssen erhalten und ausgebaut werden.
Ein Ansatz im Rahmen der Täterarbeit kann das sogenannte „Resozialisierungshaus“ nach französischem Vorbild sein, also eine Einrichtung, in der Täter lernen, ihr Verhalten zu ändern. Denn ein großes Problem bei häuslicher Gewalt ist oft, dass die betroffene Frau sich der Gewalt nur entziehen kann, indem sie aus der Wohnung geht, beispielsweise in ein Frauenhaus flüchtet, oft mit Kindern. Dadurch erfolgt oft eine weitere Traumatisierung und der Verlust der Wohnung und des sozialen Umfeldes für die betroffene Frau und die Kinder. Gegenmaßname kann sein, dass der Täter nicht nur aus der Wohnung gewiesen wird, sondern zudem in einer Einrichtung unterkommt, die darauf angelegt ist, ihn unter fachlicher Betreuung zu langfristigen Verhaltensänderungen zu bringen. So wird ein psychischer und räumlicher Abstand zwischen Täter und betroffener Frau konsequent umgesetzt und an den Ursachen von Gewalt gearbeitet. In Frankreich wurden mit diesem Modell gute Erfahrungen gemacht, die Rückfallquote war geringer als ohne diese Maßnahme. In Berlin gibt es ein solches Modell noch nicht, ein entsprechendes Pilotprojekt sollte geprüft werden. Denn nicht die Person, die die Gewalt erleben musste, sollte ihre Wohnung verlassen müssen, sondern der Täter. Dies folgt dem Leitsatz „Wer schlägt, der geht“.
Im Fazit brauchen alle Personen, die von Gewalt betroffen sind, professionelle Unterstützung und gute Hilfestrukturen. Hierbei wird nicht verkannt, dass es auch von Gewalt betroffene Männer sowie von Gewalt betroffene TIN-Personen (trans-, intersexuelle und nicht-binäre Personen) gibt, die geeignete Hilfestrukturen brauchen, an denen es in Berlin noch fehlt. Auch diesbezüglich ist ein Ausbau der Unterstützungsstrukturen geboten. Die überwiegenden Fallzahlen von Gewaltvorfällen richten sich jedoch gegen Frauen, wobei vor allem die hohe Zahl von Femiziden besorgniserregend ist. Gewalt gegen Frauen spielt sich zu einem erschreckend großen Anteil in den eigenen vier Wänden ab. Laut Statistik passieren die allermeisten Gewalttaten gegen Frauen im sogenannten Nahbereich, nämlich zu Hause.
Innere Sicherheit erschöpft sich nicht in der Verfolgung von Straftaten und der Verschärfung des Strafrechts. Innere Sicherheit heißt auch, effizienten Opferschutz zu installieren, von Gewalt betroffene Menschen zu unterstützen und sie vor weiterer Gewalt wirksam zu schützen. Effektiver Schutz vor Gewalt muss prioritäre Aufgabe Berliner Landespolitik sein.
Unterstützer*innen
- Martina Zander-Rade (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)
- Nicolas Völcker Ortega (KV Berlin-Lichtenberg)
- Daniel Eliasson (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf)
- Asena Baykal (KV Berlin-Mitte)
- Christopher Philipp (KV Berlin-Mitte)
- Anna Butenschön (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Sabine Hawlitzki (KV Berlin-Pankow)
- Ulrike Kipf (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf)
- Petra Welzel (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Liliana Marie Dornheckter (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf)
- Daniela Billig (KV Berlin-Pankow)
- Armin Afsharnejat (KV Berlin-Mitte)
- Katharina Hild (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)
- Thomas Hartmann (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Hanna Steinmüller (KV Berlin-Mitte)
- Lillemor Mallau (KV Berlin-Pankow)
- Sebastian Weise (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Tuba Bozkurt (KV Berlin-Mitte)
- Lisa Dieminger (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Ella Misselwitz (KV Berlin-Mitte)
- Jana Braun (KV Berlin-Reinickendorf)
- Cedrik Schamberger (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)
- Oda Hassepaß (KV Berlin-Pankow)
- Maria Bormuth (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)