Veranstaltung: | LDK am 30. November 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 9 Verschiedenes |
Antragsteller*in: | LAG Säkulare Grüne (dort beschlossen am: 22.10.2024) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 23.10.2024, 11:22 |
V-10: Islamismus: Bekämpfung und Prävention neu aufstellen
Antragstext
- Die Erweiterung der von 2020 bis 2022 arbeitenden und 2024 erneut eingesetzten
Expert*innenkommission antimuslimischer Rassismus Berlin um eine*n Expert*in für
Islamismus, die/der u.a. mit der Aufgabe betraut wird, Phänomene, die als
antimuslimischer Rassismus registriert werden, zu differenzieren von anti-
islamistischen Haltungen und Aktionen.
- Sensibilisierung und Weiterbildung polizeilicher Stellen zu
migrationsgesellschaftlicher Kompetenz, Muslimfeindlichkeit und Islamismus, die
geeignet sind, kulturalistische Vorurteile abzubauen und Hinweise und Bedrohungen von
Menschen mit muslimischem Hintergrund besser einzuordnen und ernst zu nehmen.
Begründung
Nicht erst seit den jüngsten Terroranschlägen in Mannheim und Solingen ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islamismus dringend geboten.
- Das vom Iran geförderte schiitische Islamische Zentrum Berlin in Tempelhof – welches erst im Juli 2024 verboten wurde – ,
- die sunnitische IS-Gruppierung Islamischer Staat Provinz Khorasan, welche 2023 wiederholt online Drohungen gegen die liberale „Ibn-Rushd-Goethe-Moschee“ in Moabit ausgestoßen hatte – welche daraufhin ihre Aktivitäten aus Sicherheitsgründen stark einschränken musste –,
- regelmäßige Beiträge im Internet, z.B. der Generation Islam oder des „revolutionären“ Nachrichtenportals Red,
- ständige Pro-Hamas-Parolen auf Berliner Straßen seit dem 7. Oktober und
- Gruppendruck auf arabische und muslimische Schüler*innen zum Bekenntnis pro Hamas
zeigen die Breitenwirkung der Gottesstaat-Anhänger*innen. Die Vorstellungen des gewaltbereiten wie des legalistischen Islamismus zu Frauen, LGBTI-Personen, säkularen Muslim*innen, Apostat*innen und „Ungläubigen“, überhaupt zu Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit widersprechen nicht nur unserem freiheitlich-demokratischen System, sondern auch Werten, denen sich die Grünen in besonderer Weise verpflichtet fühlen.
Um diese Werte zu schützen und zu verteidigen, müssen die staatlichen Stellen verstärkte Anstrengungen im Bereich der politischen Bildung unternehmen, eine Sensibilisierung in Bezug auf Islamismus muss genauso breit geschehen wie über Erscheinungsformen und Ziele des Rechtsextremismus aufgeklärt wird. Das darf nicht als Appell an Lehrer*innen verhallen, sondern sie müssen mit entsprechenden Unterrichtsmaterialien und Schulungen in die Lage versetzt werden, die Schüler*innen entsprechend aufklären zu können.
Das aktuelle Berliner Landesprogramm Radikalisierungsprävention, auf dessen Basis die aktuelle Prävention von Islamismus gestaltet wird, wurde im Dezember 2015 verabschiedet. Sie wurde auf Grundlage einer gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern von Senatsverwaltungen und Zivilgesellschaft besetzten Kommission entwickelt, die damals Lösungen für die Ausbreitung des extremistischen Salafismus und der Agitation des Islamischen Staats suchten. Der extremistische Salafismus hat sich seitdem jedoch weiterentwickelt. Die Bestrebungen legalistischer Islamist*innen, die sich ebenfalls gegen zahlreiche unserer Grundwerte richten, waren damals nicht Ziel dieser Strategie. Daher muss das Programm evaluiert und grundsätzlich überarbeitet werden.
Da Islamist*innen genauso wie Rechtsextreme heute insbesondere über Soziale Medien erfolgreich agitieren, muss hier ein besonderer Schwerpunkt der Förderung von Projekten wie auch Forschung liegen.
Die Abwertung und Einschränkung der Rechte von Frauen und Mädchen ist dem Islamismus genauso eigen wie anderen rechtsextremen Ideologien. Sozialpsychologisch lässt sich feststellen, dass eine Hinwendung zu solchen Ideologien häufig aufgrund einer empfundenen Krise der Männlichkeit stattfindet. Hier gilt es gegenzusteuern und gleichzeitig Angebote für männliche Jugendliche und junge Männer zu schaffen, die Möglichkeiten moderner und gleichberechtigter Männlichkeit aufzeigen und lebbar machen.
Die Kategorie religionsbezogene Diskriminierung und islamistisches Mobbing wird bisher nicht offiziell als Diskriminierungsform anerkannt. Deshalb fehlt es im Bereich Antidiskriminierung häufig an Wissen darüber. Das führt dazu, dass die Meldung von islamistisch motivierter Agitation und Mobbing häufig als anti-muslimischer Rassismus disqualifiziert wird. Dies trifft insbesondere liberale Muslime und Anders- oder Nichtgläubige mit ähnlichem kulturellen Hintergrund. Sie sind die ersten Opfer, ihre Kinder werden in der Schule von orthodoxen und islamistisch beeinflussten Schüler*innen drangsaliert und gemobbt. Doch ihre Stimmen werden nicht gehört. Wenn sie darauf aufmerksam machen, setzen sie sich zwischen alle Stühle: Von anderen Muslim*innen werden sie als Nestbeschmutzer*innen gebrandmarkt, von der Mehrheitsgesellschaft als latent rassistisch beargwohnt. Genauso müssen Lehrer*innen, die auf solche Konflikte aufmerksam machen, fürchten, des antimuslimischen Rassismus beschuldigt zu werden.
Deshalb ist es bei allen Meldestellen für Diskriminierungsfälle dringend notwendig, die Kategorie religionsbezogene Diskriminierung und islamistisches Mobbing aufzunehmen und die Mitarbeiter*innen entsprechend zu sensibilisieren. Es darf nicht sein, dass Fälle von islamistischem Mobbing nicht gemeldet werden, weil die Opfer und ihre Fürsprecher befürchten müssen, als Rassist*innen betrachtet und damit zu Tätern gemacht zu werden. Sie brauchen ein klares Signal, dass auch die Meldung dieser Form der Diskriminierung wertschätzend behandelt wird.
Dafür ist es zudem notwendig die Expert*innenkommission antimuslimischer Rassismus Berlin um eine*n Expert*in zu erweitern, die eine Spezialisierung für Islamismus mitbringt. In der Vergangenheit ist es immer wieder vorgekommen, dass Handlungen als antimuslimischer Rassismus gezählt wurden, die eindeutig einen anderen politischen Hintergrund hatten. So wurden etwa Angriffe auf DITIB-Moscheen regelmäßig pauschal als antimuslimisch gewertet, obwohl den Polizeibehörden bekannt war, dass kurdische Gruppen verantwortlich sind, die damit – zweifellos in illegitimer Weise – ihren Widerstand gegen die Repression des islamistischen Erdogan-Regimes zeigen wollten.
Auch bei der Polizei sind in der Vergangenheit Meldungen islamistischer Bestrebungen eingegangen, die nicht ernst genommen wurden. Häufig waren es Menschen mit Migrationshintergrund, die diese islamistischen Gefahren meldeten. Es gibt die Vermutung, dass Vorurteile gegen diese Gruppe dazu führten, dass ihren Beobachtungen nicht geglaubt und daher nicht nachgegangen wurden. Das hat bei Menschen mit muslimischem Hintergrund zu einem Vertrauensverlust gegenüber dem deutschen Staat geführt. Das ist eine Gefahr für uns alle. Denn sie sind häufig die ersten, die islamistische Bestrebungen erkennen. Daher müssen die polizeilichen Stellen besser geschult werden und zugleich Vorurteile abbauen. Sie müssen zudem in die Lage versetzt werden, auch in anderen Zusammenhängen, etwa bei Straftaten gegen Frauen, die dahinterliegenden Ideologien der Ungleichwertigkeit richtig einordnen zu können und auch hier islamistische Ideologie zu erkennen.
Dies ist auch wichtig, um Muslimfeindlichkeit entgegenzutreten. Nur wer Islamismus klar von religiösen und kulturellen Praktiken unterscheiden kann und sich bewusst ist über die vielfältigen Akteur*innen mit muslimischem Hintergrund, die sich gegen Islamismus einsetzen, läuft nicht Gefahr Religion und Ideologie zu verwechseln.