Veranstaltung: | LDK am 30. November 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 9 Verschiedenes |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 30.11.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Islamismus entschlossen und umfassend bekämpfen
Beschlusstext
Der Islamismus ist als Form des religiösen Extremismus eine Gefahr und Bedrohung für die
offene und vielfältige Gesellschaft. Er steht im Kontrast zu unserem Wertefundament
aufbauend auf Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Selbstbestimmung und der
Gleichstellung der Geschlechter. Bereits der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt des Berliner
Breitscheidplatzes rückte die Bekämpfung islamistischen Terrors verstärkt in den Fokus der
Sicherheitsbehörden. Genauso relevant war damit einhergehend, dass sich eine professionelle
Trägerlandschaft im Bereich der Extremismusprävention und der Deradikalisierung etabliert
hat. Die brutalen Morde an einem Polizisten in Mannheim und von drei Besucher*innen auf
einem Fest der Vielfalt in Solingen haben uns erneut die reale Bedrohung des Islamismus vor
Augen geführt. Auch in Berlin alarmieren uns die drastisch gestiegenen Zahlen der politisch
motivierten Kriminalität im Kontext religiös-fundamentalistischer Ideologie sowie die
Zunahme von Radikalisierungstendenzen und extremistischer Propaganda.
Die professionelle Trägerlandschaft im Bereich der Extremismusprävention und der
Deradikalisierung in Berlin leistet gerade in diesen Zeiten wertvolle Arbeit. Der Diskurs
zur Bekämpfung von Islamismus ist an vielen Stellen getrieben von Rassismus und Populismus.
Das verschiebt den Fokus auf unterkomplexe Antworten, anstatt den Gefahren von
Radikalisierung und Vereinnahmung durch extremistische Akteure ursachen- und zielgerichtet
entgegenzuwirken. In der öffentlichen Debatte liegt der Fokus auf der Nennung bestimmter
Stadtteile oder vermeintlich sinnbildlicher Orte. Die Präventions- und
Deradikalisierungsarbeit wird aber in der ganzen Stadt gebraucht und wird erst durch die
Arbeit mit den Menschen wirksam. Sei es in Schulen, Jugendeinrichtungen, aber genauso die
Arbeit mit Erwachsenen oder mit verurteilten Straftätern. Präventions- und
Deradikalisierungsarbeit hat unterschiedliche Ansatzpunkte und Bedarfe. Dazu gehört auch die
Beratung von Angehörigen.
Die Arbeit gegen Islamismus steht auch angesichts der äußerst angespannten Haushaltslage vor
großen Herausforderungen. Der nicht existierende Bundeshaushalt 2025 mit einer vorläufigen
Haushaltsführung gefährdet die Weiterführung von Präventions- und
Deradikalisierungsprojekten. In Berlin kommt aufgrund des Haushaltschaos der schwarz-roten
Koalition die grundsätzliche Planungsunsicherheit hinzu. Stattdessen stellt die Berliner CDU
die wertvolle Arbeit der Projekte im Bereich der Extremismusprävention und der
Demokratieförderung in Frage.
Als Grüne setzen wir uns für ein Gesamtpaket an Maßnahmen zur Islamismusbekämpfung ein, das
gut ausgestattete Präventions- und Deradikalisierungsarbeit genauso erfasst wie vernetzte
nachrichtendienstliche Vorfeldaufklärung, effektive Gefahrenabwehr, konsequente
Strafverfolgung und Resozialisiserungsanstrengungen. Verkürzte Antworten durch ausufernde
Grundrechtseinschränkungen und dem Generalverdacht gegen ganze Bevölkerungsgruppen oder
Religionsgemeinschaften dienen dabei nicht der Sicherheit, sondern verschärfen die Ursachen.
Wir stehen an der Seite derjenigen, die seit Jahrzehnten ganz konkret wertvolle Arbeit
leisten, um Radikalisierung vorzubeugen, Betroffenen zu helfen und Wege aus dem Extremismus
zu ermöglichen. Genauso stärken wir denjenigen den Rücken, die sich oft unter hohem
persönlichem Risiko, in der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung für die Durchsetzung des
Rechtsstaates einsetzen. Deshalb fordern wir:
Im Bereich Prävention:
- Das schwarz-rote Haushaltschaos bedeutet für die finanzielle Situation der Träger
Planungsunsicherheit und faktische Kürzungen. Präventions- und
Deradikalisierungsangebote dürfen nicht geschwächt, sondern müssen verstetigt und
ausgebaut werden. Dazu gehört die Sicherung des Berliner Landesprogramms
Radikalisierungsprävention. Angesichts der aktuellen Entwicklungen sind die
Themenkomplexe der Radikalisierung durch antisemitischen Islamismus sowie des
antimuslimischen Rassismus deutlich zu stärken. Eine Zweckentfremdung der Mittel für
Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen darf nicht stattfinden.
- Im Umgang mit Extremismus ob im Präventionsbereich, der Früherkennung oder der
Strafverfolgung gilt: Listen to the science. Radikalisierung verändert sich, ist lokal
bis international, persönlich und im Netz. Muster und Methoden werden oftmals auch
gezielt zur Anwerbung durch extremistische Akteure eingesetzt. Analysen und
evidenzbasierte Konzepte, sowie eine dauerhafte Förderung der unabhängigen Forschung
sind Fundament einer wirksamen Extremismusbekämpfung.
- Demokratieförderung liefert einen fundamentalen Baustein zur Prävention von
Islamismus. Wir fordern den Senat auf, endlich ein Demokratiefördergesetz vorzulegen.
Die Ketten-Förderung von Projekten muss endlich ein Ende haben. Stattdessen wird in
Berlin durch die Bildungsverwaltung die Schwächung der Landezentrale für politische
Bildung vorangetrieben und ihre Unabhängigkeit in Frage gestellt. Das ist
unverantwortlich, da gerade diese seit Jahren mit Demokratiebildung an viele Orte
geht, die sonst nicht erreicht wurden. Auch im Bund lange versprochene
Demokratiefördergesetz muss Realität werden.
- In vielen Einrichtungen und Behörden ist das Wissen im Umgang vom Erkennen bis zum
Umgang mit Radikalisierungstendenzen nur rudimentär vorhanden. Nicht überall gibt es
Expert*innen oder Fachdienststellen. Daher braucht es entsprechende Angebote der
Vernetzung, Fortbildung und Beratung – von allgemeinen Fragen bis zur spezifischen
Einzelfallberatung. Das gilt insbesondere für den Bildungsbereich die
Sicherheitsbehörden und private Sicherheitsdienste.
- Schule muss ein Ort sein, an dem Aufklärung und Diskurs stattfinden muss. Oftmals
fühlen sich Lehrer*innen nicht ausreichend unterstützt. Neben der Möglichkeit
entsprechende Präventionsprojekte an die Schulen zu holen, braucht es den Zugang zu
Fortbildungen, Handreichungen und Unterrichtshilfen, um Lehrkräfte in ihrer Arbeit mit
Kindern und Jugendlichen besser zu unterstützen. Bildungseinrichtungen müssen
gleichzeitig sichere Orte sein und dürfen Betroffene nicht alleine lassen. Für
Konfliktfälle sollte es an den Schulen feste Vertrauenspersonen geben, die im
geschützten Bereich für konkrete Vorfälle ansprechbar sind, Schlichtungs- und
Vermittlungsarbeit leisten können oder sich externer Hilfe durch erfahrene
Projektträger bedienen können.
- Die Antidiskriminierungsarbeit ob auf Landes- oder Bezirksebene, insbesondere im
Bereich der Hochschulen und der Schulen, ist für Betroffene oftmals eine Anlaufstelle.
Wir unterstützen diese Anlaufstellen, da sie oftmals auch als Frühwarnsystem fungieren
können. Diskriminierung aufgrund der Religion und Weltanschauung trifft häufig auch
Menschen, die sich zwar selbst als religiös definieren, sich aber streng religiösen
Auslegungen ihrer Religion widersetzen und deshalb als Ungläubige beschimpft, gemobbt
und angegriffen werden. Betroffene dürfen nicht alleine gelassen werden. Entsprechende
Expertise ist auf Grundlage fachlicher Standards auszugestalten.
- Radikalisierungsprozesse finden zunehmend durch den Konsum von Inhalten in den
Sozialen Medien statt. Islamistische Akteure nutzen diese gezielt um besonders junge,
nach Orientierung suchende Menschen an sich zu binden. Medienkompetenzen sind ein
grundlegender Baustein, aber genauso Aufklärungsarbeit sowie Auseinandersetzung. Die
Strategien von extremistischen Akteuren Diskurse zu befeuern und aus Spaltung Profit
zu schlagen bis zur individuellen Anwerbung müssen stärker in den Blick genommen
werden. Maßnahmen müssen darauf ausgerichtet sein, dass der Weg der Algorithmen nicht
in ein antidemokratisches und radikalisierendes Rabbit-Hole führt.
- Die akteursübergreifende Zusammenarbeit muss – im Bewusstsein der unterschiedlichen,
sich ergänzenden Rollen - gefördert werden. Dies erfordert die enge Kooperation von
Bildungseinrichtungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, religiösen
Gemeinschaften, Sicherheitsbehörden und anderen beteiligten Akteuren, um gemeinsam
effektiv auf die Herausforderungen des Konflikts zu reagieren und gesellschaftlichen
Zusammenhalt zu sichern.
- Statt diskursiver Abschottung braucht es Dialogräume. Statt Ressentiments zu schüren,
gilt es Dialog und Diskurs aufzubauen und zu fördern. Das beinhaltet die aktive
Förderung des Dialogs zwischen jüdischen und muslimischen Gemeinschaften. Insbesondere
im Kontext der Auswirkungen des Nahostkonflikts sollten Partnerschaften mit religiösen
Gemeinschaften nun umgesetzt werden. Kürzungen im Bereich des Interreligiösen Dialogs
lehnen wir ab – zumal die Sondermittel im Haushalt 2024/25 ausdrücklich auch dafür
vorgesehen sind.
- Im Bereich der nachrichtendienstlichen Früherkennung:
- Die Zusammenarbeit des Berliner Verfassungsschutzes mit Akteuren der Wissenschaft und
Zivilgesellschaft muss verbessert werden. Dadurch soll dort vorhandenes Wissen
systematisch genutzt werden um Warnzeichen für Radikalisierungsmuster und
Agitationsmethodiken zu erkennen, bevor Menschen zu Gefährdern werden. Dem Berliner
Verfassungsschutz muss es ermöglicht werden, bereits zu islamistischen Verdachtsfällen
transparent zu berichten.
- Auch bei der Arbeit zur Erkennung relevanter und sicherheitsgefährdender Akteure muss
ein Schwerpunkt auf der Aufdeckung von Finanzströmen liegen. Das bedeutet nicht,
erfahrene Träger im Präventionsbereich oder muslimische Gemeinden unter
Generalverdacht zu stellen, sondern die verdeckte Finanzierung islamistischer Akteure
sowie mögliche Verbindungen in die organisierte Kriminalität aufzudecken. Es gilt
Geldflüsse in terroristische Planungen oder beispielsweise zum IS zu verhindern. Diese
sind aufzudecken und zu unterbinden.
- Im Bereich der Gefahrenabwehr:
- Im Netz geraten insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene in Kontakt mit radikalen
Islamisten, die in den sogenannten Sozialen Medien nach potentiellen neuen Rekruten
suchen. Um islamistische Strukturen und Propagandadelikte erkennen und Straftaten
vorbeugen und ahnden zu können, braucht es den Ausbau der IT-Infrastruktur und die
Stärkung von Internetermittelnden und IT-geschulten Beschäftigten bei der Polizei.
- Das Verbot von Hamas und Samidoun in Deutschland war ein notwendiger und überfälliger
Schritt. Bei hinreichendem Anfangsverdacht auf islamistische Vereine oder Teilvereine
in Berlin, sind die die Voraussetzungen eines Vereinsverbots zu prüfen. Liegen die
Voraussetzungen vor, müssen entsprechende Verbote konsequent ausgesprochen und
durchgesetzt werden. Verfassungsfeindliche Strukturen sind so schnellstmöglich zu
zerschlagen. Verbote alleine beenden allerdings nicht das vorhandene Gedankengut,
daher muss vor allem darauf geachtet werden, dass die zum Teil immer noch bestehenden
Netzwerke sowie die Folgestrukturen nicht aus dem Blick verloren werden.
- Terrorverherrlichung und Hasspropaganda müssen auch auf Demonstrationen unterbunden
und konsequent verfolgt werden.
- Islamistische Akteure handeln nicht zwingend isoliert, sondern können auch in andere
Kriminalitätsbereiche wie in den Handel mit Betäubungsmitteln, Waffen oder
Menschenhandel involviert sein. Deren Verfolgung darf nicht an Ermittlungsgrenzen
einzelner Zuständigkeiten scheitern. In solchen Fallkonstellationen ist zur effektiven
Bekämpfung der Ausbau interdisziplinärer Ermittlungsgruppen zielführend.
- Polizeiliche Stellen müssen zu migrationsgesellschaftlicher Kompetenz,
Muslimfeindlichkeit und Islamismus in einer Weise sensibilisiert und weitergebildet
werden, die geeignet ist, kulturalistische Vorurteile abzubauen und Hinweise und
Bedrohungen von als Muslimen wahrgenommenen besser einzuordnen und ernst zu nehmen.
- Im Bereich Strafverfolgung:
- Es braucht in länderübergreifender Anstrengung eine Vollstreckungsoffensive von
Haftbefehlen mit Schwerpunkt auf Islamist*innen und anderen Extremist*innen. Es ist
nicht hinnehmbar, dass in Berlin und anderswo Schwerkriminelle und terroristische
Gefährder*innen, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, frei herumlaufen. Diese Gefahr für
die innere Sicherheit muss mit Priorität beseitigt werden.
- Strafbare islamistische Propaganda- und Hassdelikte müssen konsequent strafrechtlich
verfolgt werden, auch im Internet. Ermittlungsbeamte sind im Umgang mit entsprechenden
Sachverhalten zu sensibilisieren und zu schulen. Eine Einstellung der Verfahren wegen
mangelndem öffentlichen Interesse oder aufgrund von fehlenden Kapazitäten darf nicht
erfolgen. Wenn notwendig, sind entsprechende Weisungen zu erlassen.
- Nicht zu unterschätzen sind Radikalisierungsprozesse in der Zeit, die Menschen in
Gefängnissen verbringen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Radikalisierung durch den
Gefängnisaufenhtalt und Straftätern, bei denen die Radikalisierung bzw. die
extremistische Einstellung (mit-)ursächlich für das Begehen der Tat war. Dies muss in
Präventionskonzepten der Justizvollzugsanstalten angemessen berücksichtigt werden,
genauso in Aus- und Fortbildungen in der Justiz. Im Umgang mit konkreten Fällen muss
weiterhin die Arbeit durch professionelle Präventions- bzw. Deradikalisierungsprojekte
gewährleistet bleiben.