mündlich
Leitantrag: | Schluss mit Kinderarmut – gute Startchancen für alle Kinder in Berlin |
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Antragsteller*in: | Özcan Mutlu (KV Berlin-Mitte) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 27.11.2019, 23:32 |
Leitantrag: | Schluss mit Kinderarmut – gute Startchancen für alle Kinder in Berlin |
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Antragsteller*in: | Özcan Mutlu (KV Berlin-Mitte) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 27.11.2019, 23:32 |
eine ganzheitliche Beratung, von Erziehungs- über Gesundheitsfragen bis hin zur Bewerbungsberatung, erfahren. Wir wollen auch Mehrgenrationen-Häuser gewinnen und sie darin bestärken im Rahmen ihrer Arbeit und ihrer Angebote, Kindern, Jugendlichen und Familien zu helfen und Armut zu bekämpfen.
Schluss mit Kinderarmut – gute Startchancen für alle Kinder in Berlin
Berlin ist Hauptstadt der Kinderarmut, jedes dritte Kind ist hier auf Transferleistungen
angewiesen – das sind etwa 180.000 Kinder. Der Kindergeburtstag, der Schulausflug – Dinge,
die für andere Kinder selbstverständlich sind, sind für viele dieser Kinder ein Luxus, den
sie selten erleben. Diese Ungerechtigkeit ist gerade in einem so reichen Land wie
Deutschland nicht hinnehmbar.
Armut nimmt strukturell und systematisch Chancen, Zuversicht und Teilhabe. Kinder tragen nie
die Verantwortung für die Armut ihrer Familie, sie übernehmen aber Verantwortung in ihrer
Familie. Sie nehmen die Sorgen wahr und sorgen sich selbst. Sie erfahren Einschränkungen und
kürzen die eigenen Bedürfnisse. Sie erfahren ihre Armut durch den Vergleich mit anderen
Kindern und erleben soziale Diskriminierung. Armut nimmt Hoffnung und entmutigt.
Es ist skandalös, dass allein Kinder zu bekommen in Deutschland ein Armutsrisiko darstellt.
Besonders betroffen sind die Kinder von Alleinerziehenden, Kinder mit mehr als einem
Geschwister und Kinder mit familiärer Migrationsgeschichte oder zugeschriebenem
Migrationshintergrund – und das obwohl viele ihrer Eltern arbeiten. Und auch, wenn Eltern
ein Kind mit Behinderung bekommen, steigt damit ihr Armutsrisiko. Dass damit die Schwächsten
der Gesellschaft besonders unter Druck stehen, nehmen wir nicht hin! Deshalb entwickeln die
Senatsverwaltungen unter der rot-rot-grünen Regierung in Berlin mit der Landeskommission zur
Prävention von Kinder- und Familienarmut aktuell eine Strategie zur Verbesserung der Lage
von armen Familien in Berlin.
Die allermeisten Eltern tun alles dafür, dass es ihren Kindern gut geht und sie die Armut
nicht spüren. Eltern sparen an sich selbst, aber auf dem Weg aus der Armut ihrer Kinder
scheitern sie häufig an formalen Hürden, an den Vorurteilen der Arbeitgeber*innen und auch
an öffentlichen Institutionen. Die Hürden komplizierter und als stigmatisierend empfundener
Antragsverfahren sind der Hauptgrund für eine hohe Dunkelziffer verdeckter Armut.
Auch die Unterschiede zwischen den Bezirken, Stadtteilen und sogar Nachbarkiezen sind
gewaltig. Während in den Bezirken Neukölln und Mitte Armut jedes zweite Kind betrifft, ist
in Pankow und Steglitz-Zehlendorf „nur“ etwa jedes 8. arm. Im Märkischen Viertel sind
weiterhin weit mehr als die Hälfte aller Kinder arm, im benachbarten Lübars „nur“ jedes 16.
Kind; im Gesundbrunnen fast zwei Drittel aller Kinder, im benachbarten Stadtteil Mitte
dagegen „nur“ jedes 7. Kind und im Prenzlauer Berg „nur“ jedes 10. Kind. Noch krasser sind
die Unterschiede zwischen Hellersdorf und Mahlsdorf: Während Kinder in Mahlsdorf nur in
Einzelfällen von Armut betroffen sind, trifft es in Hellersdorf fast die Hälfte aller
Kinder.
Auch das ist entscheidend für einen katastrophalen Armutskreislauf. In den von Armut
besonders betroffenen Stadtteilen fällt häufiger Unterricht aus, ist die Bildungsqualität
geringer, die Schulabbruchquote höher und sind die Abschlüsse schlechter. Dadurch sinken die
Chancen auf eine Ausbildung, ein Studium und einen Beruf, die aus der Armut führen können.
Hier setzt die ressortübergreifende Gemeinschaftsinitiative zur Stärkung sozial
benachteiligter Quartiere dreier Senatsverwaltungen an. Dabei sollen Aktivitäten stärker
koordiniert und Ressourcen konzentriert werden. Ziel ist die Schaffung gleichwertiger
Lebensbedingungen und -chancen in der ganzen Stadt. Denn wir haben die Verantwortung für
alle Menschen in der Stadt. Wir wollen, dass Kinder ihre Talente frei und zuversichtlich
entfalten können – und das unabhängig von Herkunft und Geldbeutel ihrer Familien.
Wir werden daher den Armutskreislauf auf allen drei Ebenen durchbrechen: Wir wollen die
Kinder materiell eigenständig absichern, die institutionelle Förderung und Begleitung der
Familien verbessern und bürokratische Hürden abbauen, indem wir die Verwaltung neu
aufstellen.
Wege aus der Kinderarmut – die grüne Kindergrundsicherung
Arm ist zuallererst, wer kein oder zu wenig Geld hat. Daher ist Kinderarmut auch stets
Familienarmut. Kinder sind jedoch keine kleinen Erwachsenen oder Anhängsel ihrer Eltern, sie
sind Träger*innen eigener Rechte und haben eigene Bedarfe. Wir wollen arme Kinder
eigenständig absichern, um die materielle Seite der Kinderarmut zu beheben. Dabei setzen wir
auf die Einführung einer umfassenden Kindergrundsicherung. Die Bundestagsfraktion von
Bündnis 90/Die Grünen hat dazu ein konkretes Konzept entwickelt, das wir auch als Berliner
Bündnisgrüne unterstützen.
Denn die bestehende Familienförderung in Deutschland ist ein massiv ungerechtes Drei-
Klassen-System: Wohlhabende Familien erhalten völlig unbürokratisch hohe Kinderfreibeträge,
gesichert durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Familien mit kleineren und
mittleren Einkommen erhalten unbürokratisch das Kindergeld, das bereits niedriger liegt als
die hohen Kinderfreibeträge, von denen Wohlhabende profitieren. Beide profitieren von einer
automatischen Prüfung zu ihren Gunsten durch das Finanzamt. Dagegen müssen Familien, deren
Einkommen nicht für alle Familienglieder reicht oder die vollständig auf Sozialleistungen
angewiesen sind, mehrfach im Jahr bei völlig unterschiedlichen Behörden Unmengen
komplizierter Anträge stellen. Dabei wird das Kindergeld mit anderen Sozialleistungen
verrechnet, netto also nicht gezahlt – gerade die Kinder, die Kindergeld am dringendsten
brauchen, sind damit vom Bezug ausgeschlossen. Unterstützungsleistungen wie Kinderzuschlag
oder Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sind so kompliziert, dass die meisten
Familien sie weder kennen noch beantragen. Familien, die ohnehin schon mehr Geld haben,
werden so staatlich gefördert, während für die Ärmeren Hürden aufgebaut werden.
Das wollen wir ändern! Die mehrfachen Ungerechtigkeiten wollen wir auf Bundesebene mit der
Einführung einer grünen Kindergrundsicherung lösen – wir begrüßen, dass unsere
Bundestagsfraktion hierzu ein Konzept vorgelegt hat. Sie ist dynamisch an die Entwicklung
der Lebenshaltungskosten angepasst, wird automatisch ausgezahlt und als eigenständige
Leistung nicht mehr auf das Einkommen der Eltern angerechnet. Dafür wollen wir das
soziokulturelle Existenzminimum neu berechnen und an den tatsächlichen Bedarfen von Kindern
bemessen. Wir wollen die Hineinrechnung von Familien, die Sozialgeld bekommen, beenden. Ein
Garantiebetrag für alle ersetzt Kindergeld und die Kinderfreibeträge, unabhängig vom
Einkommen der Eltern, und ein GarantiePlus-Betrag für alle armen Kinder kommt dazu und fasst
die Kinderregelsätze, das sich dynamisch entwickelnde soziokulturelle Existenzminimum, den
Kinderzuschlag und viele Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zusammen, wobei aber
individuelle Mehr- und Einmalbedarfe selbstverständlich erhalten bleiben. Weil nach unserem
grünen Konzept Eltern dem automatischen Informationsabgleich der Behörden zustimmen können
und dann mit einem einmaligen Antrag wie heute beim Kindergeld alle Leistungen der
Kindergrundsicherung automatisch ausgezahlt werden, ist die grüne Kindergrundsicherung
wesentlich unbürokratischer und für Eltern einfacher zu handhaben. Außerdem soll die
Kindergrundsicherung für Kinder Alleinerziehender nur noch zur Hälfte auf den
Unterhaltsvorschuss angerechnet werden, so dass die automatische Angleichung auch endlich in
Ein-Eltern-Familien ankommt.
Auf der Berliner Ebene haben wir uns mit der rot-rot-grünen Koalition vorgenommen, Familien
finanziell zu entlasten. Von kostenloser Kita- und Hortbetreuung, dem kostenlosen Schulessen
oder dem kostenlosen ÖPNV-Ticket für Schüler*innen profitieren alle Familien, besonders aber
Familien, die in Armut leben. Diesen Weg wollen wir fortsetzen und dabei dafür sorgen, dass
die Angebote höchsten Qualitätsanforderungen genügen. Beste Kita- und Hortbetreuung,
gesundes Schulessen und Busse und Bahnen, die die Kinder sicher und verlässlich ans Ziel
bringen. Gerade den Familien, für die die Hürden des Bildungs- und Teilhabe-Pakets (BuT) zu
hoch waren und Familien, die statistisch nicht als arm erfasst werden und in verdeckter
Armut leben, helfen wir hier unbürokratisch und direkt.
In Verwaltung und Arbeitswelt Hürden abbauen
Die Berliner Verwaltung war bislang nicht gerade für unbürokratische und schnelle Hilfe
bekannt – Rot-Rot-Grün hat sich hier auf den Weg gemacht und wir arbeiten weiter daran,
unsere Verwaltung noch fitter zu machen. Mit dem Doppelhaushalt 2020/2021 setzen wir
beispielsweise einen Schwerpunkt beim Ausbau der Online-Dienstleistungen im Berliner
Servicekonto. Davon profitieren natürlich alle Berliner*innen; wir wollen aber ein
besonderes Augenmerk darauf legen, die Verwaltung besonders für Familien schneller und
besser zu machen. Das ist besonders wichtig für Familien, die in Armut leben, da sie
dringender auf gewisse staatliche Leistungen angewiesen sind. Im Rahmen unserer Forderung
nach einem Familienfördergesetz, auf die wir uns auch im Koalitionsvertrag verständigt
haben, setzen wir uns dafür ein, dass alle Bezirksämter ein Familienbüro einrichten, in dem
alle Leistungen, die Familien zustehen, gebündelt beantragt werden können und in dem auch
Sozialarbeiter*innen zur Beratung zur Verfügung stehen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass
beispielsweise für Elterngeld, Wohnberechtigungsschein oder Kindergeld immer wieder
dieselben Unterlagen eingereicht werden müssen. Wenn es möglich gemacht wird, dass ein*e
Sachbearbeiter*in für jede Familie alle notwendigen Unterlagen sammelt und anschließend mit
den zuständigen Stellen weiter verarbeitet, würde das Eltern vieles enorm erleichtern.
Gerade höherschwellige Zugänge, wie etwa der zum BuT, würden Familien damit erleichtert und
könnten wesentlich einfacher abgerufen werden. Auch die unterschiedlichen Leistungen, die
teilweise vom Jugendamt und teilweise vom Sozialamt finanziert werden, könnten hier zusammen
bearbeitet werden und würden armen Familien das Leben erleichtern. Es ist klar, dass eine
Familie im Transferleistungsbezug weder den Musikschulunterricht noch die Klassenfahrt
zahlen kann – jeder neue Antrag ist hier eine unnötige Hürde.
Eine entsprechende Umstellung der Verwaltung kann jedoch nur eine Übergangslösung sein. Für
uns ist die Abschaffung des Bildungs- und Teilhabepakets der richtige Weg. Wir brauchen
stattdessen endlich eine Kindergrundsicherung auf Bundesebene einerseits und andererseits
Angebote vor Ort bei Mittagessen, Nachhilfe, Sport, und Kultur, die beispielsweise in
Ganztagsschulen stattfinden und damit allen Kindern ohne bürokratische Anträge und Hürden
zugänglich sind. Denn alle Kinder haben ein Recht auf Bildung und Teilhabe. Alle werden
bestmöglich gefördert, kein Kind steht gedemütigt daneben, weil der entsprechende Antrag
nicht ausgefüllt wurde. Das BuT wird derzeit gerade von denen nicht in Anspruch genommen,
die es am nötigsten bräuchten. Das wollen wir ändern. Eine Aufgabe, bei der sowohl die
Länder als auch der Bund in der Verantwortung sind.
Um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, ist Prävention das entscheidendste Mittel. Die Logik
der Kosten-Leistungs-Rechnung des Berliner Haushalts ist damit jedoch schwer in Einklang zu
bringen. Damit die Bezirke hier handlungsfähiger werden und flexibler auf die Bedarfe vor
Ort reagieren können, haben wir uns im Rahmen der Doppelhaushaltsverhandlungen für ein so
genanntes Flexibudget für die Bezirke eingesetzt. Damit soll für Familien, Kinder und
Jugendliche in besonderen oder belastenden Lebenslagen ein frühzeitiger Zugang zu gezielten,
bedarfsgerechten sozialräumlichen Angeboten im Rahmen von Jugendsozialarbeit, Förderung der
Erziehung und Beratung in Fragen von Partnerschaft, Trennung und Umgangsrecht ermöglicht
werden, bevor Hilfen zur Erziehung nach §27 des Achten Sozialgesetzbuches nötig werden. Wir
wollen damit die bezirkliche Steuerung und die sozialräumliche Infrastruktur durch die
Bereitstellung von zusätzlichen zweckbezogenen Mitteln für frühe Ansätze im Vorfeld der
Notwendigkeit von Hilfen zur Erziehung stärken.
Kinderarmut entsteht dort, wo Eltern arm sind. Neben staatlicher Hilfe in der aktuellen
Notsituation muss es also oberste Priorität haben, Eltern zu ermöglichen, aus der Armut
heraus zu kommen oder gar nicht erst hinein zu kommen. Eine Arbeit, von der man auch leben
kann, ist dafür unerlässlich. Deshalb ist es gut, dass wir zum Beispiel im nun vorgelegten
Entwurf für ein Vergabegesetz auf einen angemessenen Mindestlohn achten. Aber auch die
Arbeitswelt muss strukturell Wege aus der Armut unterstützen. Dafür muss es möglich sein,
dass Eltern eine Ausbildung in Teilzeit machen oder, wenn sie bereits in einem
Arbeitsverhältnis sind, für begrenzte Zeit in Teilzeit gehen und anschließend ein
Rückkehrrecht zu einer Vollzeitbeschäftigung haben. Wir erwarten hier von der Berliner
Verwaltung, dass sie eine Vorbildfunktion bei der Teilzeitausbildung einnimmt und
entsprechende Möglichkeiten offensiv bewirbt.
Rahmenbedingungen verändern
In Berlin gibt es aber auch viele Eltern, die gern (mehr) arbeiten würden, aber keine
zuverlässige Betreuung für ihre Kinder haben und es deshalb nicht schaffen, aus der Armut
heraus zu kommen. Deshalb kämpfen wir für ausreichend Kitaplätze und dafür, dass Eltern bei
der Auswahl einer Kindertagesbetreuung auch tatsächlich wieder eine Wahl haben. Alle Träger
brauchen bei der Suche nach und dem Erwerb von Flächen u. a. durch die Ausweitung von
Erbbaupachtverträgen Unterstützung und ein ausfinanziertes Neubauinvestitionsprogramm. In
Zusammenarbeit mit IHK und HWK und insbesondere den landeseigenen Betrieben wollen wir auch
die Einrichtung von Betriebskitas voranbringen.
Bildungs- und Betreuungsangebote müssen zudem den tatsächlichen Bedarf der Familien
abdecken. Eltern, die beispielsweise im Schichtdienst bis 20 Uhr arbeiten müssen, nützt eine
Kita, die um 17 Uhr schließt, wenig. Hier gilt es, passende Angebote zu schaffen, die am
Kindeswohl orientiert sind. Verlängerte Kita-Öffnungszeiten sind dabei zwar ein Baustein,
können aber nicht alle Bedarfe abdecken. Berlin hat mit dem MoKiS (Mobiler
Kinderbetreuungsservice für Eltern mit besonderen Arbeitszeiten) eigentlich ein großartiges
Angebot für Eltern, die außerhalb von Kita-Öffnungszeiten arbeiten müssen. Das Angebot ist
aber zum einen zu unbekannt und zum anderen sind die Hürden, tatsächlich auf diesem Weg an
eine Betreuung zu kommen, viel zu hoch. Hier wollen wir ansetzen und den MoKiS bekannter
machen, aber vor allem leichter zugänglich.
Viele Familien leben über Generationen hinweg in Armut – um diesen Kreislauf zu
durchbrechen, braucht es auch eine langfristige Strategie. Dabei ist ein wichtiger Hebel
eine diskriminierungsfreie Bildungspolitik, die allen Kindern dieselben Chancen bietet.
Dafür haben wir zuletzt 2018 in unserem Beschluss „Schule fürs Leben: Bessere Schulen, mehr
Qualität und gerechtere Bildungschancen für die Kinder dieser Stadt“ konkrete Schritte
vorgeschlagen. Die hohe Schulabbrecher*innen-Quote in Berlin muss endlich in den Griff
bekommen werden und allen Kindern muss ein guter Zugang zu Bildung ermöglicht werden –
längeres gemeinsames Lernen, Schulsozialarbeit oder kostenlose Unterstützung bei
Hausaufgaben sind Beispiele dafür, wie zumindest ein Stück weit unterschiedliche
Voraussetzungen in den Familien ausgeglichen werden können.
Aber um Armut wirksam zu bekämpfen, muss Unterstützung bereits während der Schwangerschaft
und von Geburt an ansetzen. Gerade junge Mütter und Väter dürfen sich in dieser aufregenden
und anstrengenden Zeit nicht allein gelassen fühlen. Bereits mit dem letzten Doppelhaushalt
haben wir die Ausweitung der Babylots*innen auf alle Geburtsstationen auf den Weg gebracht.
Die Idee dahinter: Krisen verhindern, bevor sie entstehen. Babylots*innen informieren
Schwangere und ihre Partner*innen über Unterstützungsmöglichkeiten nach der Geburt. Aber
auch der Ausbau von Begegnungsorten wie Stadtteilzentren und Kinder-, Jugend- und
Familienzentren sind ein wichtiger Baustein zur Stärkung der frühen Hilfen.
Finanzielle Armut in einer Familie bedeutet natürlich nicht zwangsläufig, dass Eltern nicht
in der Lage sind, ihre Kinder in der Schule zu unterstützen oder diese gar vernachlässigen.
Die meisten Eltern kümmern sich vorbildlich um ihre Kinder und geben ihr Bestes zu deren
Unterstützung. Wenn Armut sich in Familien aber über Generationen hinweg fortsetzt, führt
das in vielen Fällen auch zu Hoffnungslosigkeit bei den Eltern, teilweise zu Depression oder
Suchterkrankungen. Gerade in solchen Situationen brauchen Familien gezielte Unterstützung.
Wir haben uns deshalb in den Beratungen zum Doppelhaushalt dafür eingesetzt, dass es für
Eltern von Grundschulkindern eine Elternbegleitung gibt, die sie empowert, ihre Kinder gut
durch die Schulzeit zu begleiten.
Darüber hinaus gibt es in Berlin eine Vielzahl an großartigen Einrichtungen, die mit
Kindern, Jugendlichen und Familien arbeiten. In Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen
können Kinder und Jugendliche sich frei entfalten und erfahren Unterstützung in ihrer
individuellen Entwicklung. Abseits von Notendruck und elterlicher Aufsicht können sie sich
hier ausprobieren und werden in ihren Interessen gefördert. Die Menschen, die hier mit den
Kindern und Jugendlichen arbeiten, leisten einen unbezahlbaren Beitrag für deren Entwicklung
und zum sozialen Zusammenhalt in den Kiezen. Genauso wichtig sind Familienzentren oder
Nachbarschaftsheime, die Familien beraten und unterstützen. Viele der Familienzentren in
Berlin gehen bereits jetzt über die „typischen“ Beratungsthemen rund um Familie und
Erziehung hinaus, da der Bedarf an Schuldnerberatung, Mietrechtsberatung und ähnlichen
Beratungen stetig wächst und für viele Familien zur Herausforderung wird. Wir wollen die
Familienzentren befähigen, diese Beratungen weiter zu bieten und – ähnlich wie die Early
Excellence Centres in England – sich weiter hin zu Orten zu entwickeln, an denen Familien
eine ganzheitliche Beratung, von Erziehungs- über Gesundheitsfragen bis hin zur
Bewerbungsberatung, erfahren. Wir wollen auch Mehrgenrationen-Häuser gewinnen und sie darin bestärken im Rahmen ihrer Arbeit und ihrer Angebote, Kindern, Jugendlichen und Familien zu helfen und Armut zu bekämpfen.
Wer will, dass Familien gut unterstützt werden können, muss auch die im Blick haben, die
ihnen helfen. Denn gerade die Menschen, die daran arbeiten, gehen oft auf dem Zahnfleisch.
Es ist deshalb dringend nötig, den Sozialarbeiter*innen und anderen Menschen, die in diesen
Zusammenhängen arbeiten, sowohl eine langfristige Perspektive zu bieten als auch ihre Arbeit
entsprechend ihrer Qualifikation zu entlohnen. Es ist deshalb richtig, dass
Sozialarbeiter*innen wie Erzieher*innen nach den Tarifverhandlungen der Länder in Berlin
mehr Geld bekommen. Wir setzen uns aber auch dafür ein, dass die Kostenblätter, nach denen
freie Träger bezahlt werden, endlich so angepasst werden, dass Kostensteigerungen, die durch
alterndes und damit in Tarifstufen aufsteigendes und deshalb „teurer“ werdendes Personal
entstehen, mit abgedeckt sind. Es kann nicht sein, dass Sozialarbeiter*innen in dem Moment,
in dem sie eine Erfahrungsstufe nach oben rutschen, ihre Arbeitsstunden reduzieren müssen,
damit der Träger sie weiterhin finanzieren kann. Außerdem stellt die Tatsache, dass viele
Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Familienzentren und Nachbarschaftsheime nur
projektfinanziert sind, viele der hier Angestellten immer wieder vor Herausforderungen: Wer
im Dezember, beziehungsweise teilweise sogar im Januar und Februar noch nicht weiß, ob er
für das kommende (oder bereits laufende) Jahr noch eine Arbeit hat, kann sich kaum auf die
Probleme der Kinder, mit denen er*sie arbeitet, konzentrieren. Da Arbeit mit Kindern und
Familien immer auch Beziehungsarbeit ist, die nur langfristig funktionieren kann, wollen wir
mehr Einrichtungen langfristig finanzieren. Dass die rot-rot-grüne Koalition ein so gut
laufendes Projekt wie die Stadtteilmütter endlich in eine längerfristige Finanzierung
überführt hat, ist deshalb ein guter Schritt! Und die Stadtteilmütter zeigen auch:
Aufsuchende, begleitende Eltern- und Familienarbeit ist ein Schlüssel zum Erfolg. Es bleibt
daher unser Ziel, mit einer Ausweitung des Projektes Stadtteilmütter Familien unabhängig von
ihrer Herkunft zu unterstützen. Es ist bedauerlich, dass der Senat sich mit der Umsetzung
des Koalitionsvertrages hier auf Kosten der Stadtteilmütter und der betroffenen Familien
Zeit lässt.
Wir wollen die aufsuchende Familienarbeit wieder ausbauen und mit ihr einen großen Schritt
Richtung präventiver Sozialarbeit tun. Ein Ausbau der Erstbesuche des Kinder- und
Jugendgesundheitsdienstes bei Familien mit Neugeborenen wäre dafür eine Möglichkeit.
Sämtliche Angebote der Familienarbeit und Familienförderung, die nach §16 des Achten
Sozialgesetzbuches der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie vorgesehen sind,
müssen rechtlich umfassender abgesichert sowie an einwohnerbezogenen Richtwerten orientiert
werden. Das Angebot muss bedarfsgerecht weiterentwickelt und mit qualitativen sowie
quantitativen Fachstandards verbindlich abgesichert werden. Dafür wollen wir mit der rot-
rot-grünen Koalition noch in dieser Wahlperiode ein Familienfördergesetz erlassen. Wir
erwarten von der zuständigen Senatsverwaltung, dass ein entsprechender Entwurf so
rechtzeitig vorgelegt wird, dass er noch 2020 beschlossen werden kann.
Bezahlbarer Wohnraum ist für viele Berliner Familien ein Problem – aber gerade für Familien,
die von Armut betroffen sind. Immer häufiger werden sie aus ihrem gewohnten Umfeld
verdrängt. In Extremfällen werden Familien sogar wohnungslos, weil sie zwangsgeräumt wurden.
Sie leben oft in Unterkünften, die nicht an die Bedarfe von Kindern angepasst sind: Familien
teilen sich meist ein Zimmer, so dass es keine Rückzugsmöglichkeiten oder Raum für
Entfaltung für die Kinder gibt. Berlin hatte als erste Stadt in Deutschland eine
Notunterkunft für wohnungslose Familien. Allein, dass eine solche Einrichtung nötig ist, ist
beschämend. Wir fordern deshalb, dass bei kommunalen Wohnungsgesellschaften grundsätzlich
keine Familien geräumt werden und wollen prüfen, inwiefern über eine Härtefallregelung auch
bei privaten Vermieter*innen verhindert werden kann, dass Familien durch Zwangsräumung
wohnungslos werden. Ein entscheidender Baustein ist hier die Prävention, damit Mietschulden
gar nicht erst entstehen – dabei sehen wir auch die Jobcenter in der Pflicht.
Wir kämpfen außerdem für mehr bezahlbaren Wohnraum. Dafür wollen wir den Bau neuer Wohnungen
beschleunigen, setzen uns aber auch für den Erhalt von bezahlbaren Wohnungen ein. Unsere
grünen Stadträt*innen schaffen deshalb immer mehr Milieuschutzgebiete und ziehen immer
häufiger das Vorkaufsrecht oder sichern durch Abwendungsvereinbarungen bezahlbaren Wohnraum.
Und der von der rot-rot-grünen Regierung in Berlin beschlossene Mietendeckel ist ein
wichtiger Schritt zur Eindämmung der Mietenexplosion. Auch die von uns etablierte Fachstelle
gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt hilft vielen Familien im Sozialleistungsbezug,
da viele Vermieter*innen Familien im Leistungsbezug bei der Wohnungsvergabe benachteiligen.
Wir setzen uns darüber hinaus dafür ein, dass gemeinwohlorientiere Bauträger*innen wie
Genossenschaften und Stiftungen gefördert werden. Wir wollen einen höheren Anteil an
Sozialwohnungen; davon profitieren vor allem auch einkommensschwächere Familien.
Mit Grün: gute Startchancen für alle Kinder
Um Kinderarmut zu bekämpfen, braucht es ein Bündel an Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene,
das Familien sowohl finanziell entlastet als auch durch veränderte Rahmenbedingungen in
Verwaltung, Arbeitswelt, Schule und Kita unterstützt, ausreichend bezahlbaren Wohnraum,
Beratungsangebote und Angebote von Kinder-, Jugend- und Familienzentren schafft. Bündnis
90/Die Grünen Berlin stellen sich dieser Herausforderung – denn für uns ist klar: Kein Kind
darf aufgrund seines familiären Hintergrunds benachteiligt sein; wir kämpfen weiter dafür,
dass alle Kinder gute Startchancen ins Leben haben!
mündlich