(dieser Absatz als Ergänzung und 2. Absatz zum gemeinsamen ÄA LAG Umwelt und LAG Tierschutzpolitik, wir konnten diesen Teil wg. Sitzungszyklus nicht mehr in die LAG Umwelt zurück geben)
Begründung für beide ÄA - wir haben uns damit beschäftigt :-) ...
Gebäudesanierung und Artenschutz in Einklang bringen
Unbedachte Sanierungen bedrohen Nistplätze
In vielen Städten, speziell in den Innenstädten, nehmen seit Jahren die Bestände der an Gebäuden brütenden Vogel- und Fledermausarten ab. Auch in Berlin gibt es spürbare Rückgänge. Die Gefährdungsursachen sind vielschichtig, aber die enormen Verluste von Lebensstätten durch (energetische) Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen zählen neben dem Verlust von Schutzgehölzen und Nahrungshabitaten zu den Hauptursachen, wie zahlreiche Experten, u.a. ein Positionspapier des Bundesamtes für Naturschutz feststellt[1].
Inzwischen mussten selbst ehemalige Allerweltsarten wie der Haussperling in Deutschland auf die Vorwarnstufe der Roten Liste, in Hamburg auf die Rote Liste und Mehlschwalben sowie Stare in Deutschland auf die Rote Liste gesetzt werden.
Die Tatsache, dass Fassaden wertvollen Lebensraum für Vögel und Fledermäuse bieten, Öffnungen und Hohlräume unter Dachziegeln von gebäudebrütenden Kulturfolgern wie Mauerseglern, Haussperlingen und auch von Fledermäusen genutzt werden, ist vielfach unbekannt. Doch genau solche Hohlräume werden einer energetischen Sanierung geschlossen und damit gehen die Lebensstätten für auf Gebäude zum Überleben zwingend angewiesene Tierarten durch die Dämmung systematisch verloren. Das geschieht oftmals unbemerkt und nicht selten werden brütende Altvögel und ganze Durchgänge von flugunfähigen Nestlingen im Bauschutt entsorgt und lebendig eingemauert.[2]
Rechtliche Grundlagen
Nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG §44 Abs. 1) und der Europäischen Vogelschutzrichtlinie sind alle europäische Vogelarten (außer der verwilderten Haustaube) besonders geschützt. Alle Fledermausarten gelten lt. Anhang IV der FFH-Richtlinie als streng zu schützende Arten. Die Lebensstätten (Fortpflanzungs- und Ruhestätten) von gebäudebewohnenden Vogel- und Fledermausarten sind sogar ganzjährig geschützt, weil sie entweder ganzjährig oder regelmäßig wiederkehrend standorttreu genutzt werden.
Von den gesetzlichen Zugriffs- und Zerstörungsverboten kann bei Sanierungen eine Befreiung erteilt werden, die vor Baubeginn oder Abriss bei der Naturschutzbehörde beantragt werden muss. Mit der Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung sind das Tötungsverbot und in der Regel die Auflage verbunden, geeignete Ersatznisthilfen anzubringen.
Abwärtsspirale: Mangel an Kontrollen, Standards und Vollzugsdefizite
Der gesetzliche Schutz der Arten und ihrer Fortpflanzungsstätten läuft in der Praxis weitgehend ins Leere. Dass die Vernichtung von Lebensstätten gesetzlich verboten ist, wissen Bauherr*Innen oft nicht bzw. stoßen artenschutzrechtliche Belange auf Vorbehalte und Mangel an Anreizen seitens der Bauherrenschaft.
Nicht nur die Rechtslage ist oft unbekannt, es wird auch so gut wie nicht kontrolliert, da Behörden keine systematischen Kenntnisse von Bauvorhaben bzw. bedrohten Lebensstätten haben und die Meldung von Niststätten und diesbezügliche Initialisierung artenschutzfachlicher Maßnahmen in der kompletten Eigenverantwortung der Bauherrenschaft liegt.[3]
Hinzu kommt, dass Bauherren als ornithologische Laien kaum befähigt sind, tief hinter Fassadenfugen oder unter Dachziegeln versteckte Quartiere von Vögeln und Fledermäusen zu entdecken. Generell gilt jedoch: Je sanierungsbedürftiger die Immobilie ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Spalten und Hohlräume vorhanden sind und Vögel und Fledermäuse diese nutzen. Häufig werden z.B. Mauersegler und insbesondere Fledermäuse erst von den mit der Sanierung beauftragten Handwerksbetrieben im Zuge der Baumaßnahme bemerkt und lösen Konflikte sowie Baustopps aus oder es werden auf Grund von Druck und Angst um den Arbeitsplatz, Straftaten begangen.
Werden Nistplätze an Sanierungsvorhaben den Behörden gemeldet, was häufig erst durch Anwohnende oder Ehrenamtliche der Fall ist, greifen behördliche Vollzugsdefizite, da gegenüber den Bauherr*Innen eine Nachweispflicht für geschützte Lebensstätten besteht, die allerdings im Zuge fortlaufender Baumaßnahmen nur schwer oder gar nicht zu erbringen ist.
Werden Gutachter*Innen (die keinerlei Fachkenntnisse zur Zulassung benötigen) durch Bauherren beauftragt, um Niststätten zu erfassen und ein Konzept für den ökologischen Ausgleich zu erstellen, kommt es häufig zu gravierenden Mängeln bei der Erfassung der Arten und Brutplätze.
Durch das Land Berlin werden den Bauherren/ Gutachtenden keinerlei objektive Standards und Kriterien für die fachgerechte Erfassung und Dokumentation von Lebensstätten am Gebäude vorgegeben und es besteht keine schriftliche Dokumentationspflicht von Lebensstätten.
Des weiteren können Behörden im Rahmen der Berliner Gebäudebrüterverordnung[4] nur schwer Alternativenprüfungen vornehmen und Vermeidungs- bzw. Verminderungsmaßnahmen von den gesetzlichen Zugriffsverboten im Vorfeld von Baumaßnahmen beauflagen, damit aktive Aufzuchten während laufender geschützt und der Erhalt der Populationen bei langen Bauzeiten gesichert wird.
Der Mangel an qualitativ ausreichenden Gutachten und damit an juristisch nachprüfbaren Informationen über die genaue Lage und Anzahl von Niststätten, die bei Bauvorhaben zerstört werden bedeutet in der Vollzugspraxis, dass Behörden oftmals wirksame Instrumente fehlen, um Bußgeldbescheide zu erlassen, bei etwaigen Verstößen einzugreifen und Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen. Bauherren können auf Grund der derzeitigen Defizite in Berlin häufig davon ausgehen, dass sie ohne Strafen und Ahndung zu befürchten, gegen Bundes- und Europarecht verstoßen können.
Ersatzmaßnahmen werden nicht umgesetzt
Es kommt in den meisten Fällen der energetischen Sanierungen nicht zur Umsetzung der gesetzlich vorgeschriebenen ökologischen Ersatzmaßnahmen, wie z.B., dem Anbringen von Nisthilfen an Fassaden. Das Artenschutzbelange bei energetischen Sanierungen nur unzureichend berücksichtigt werden, indem sowohl die Brutplätze am Gebäude als auch die dazugehörigen grünen Habitatstrukturen vernichtet werden, hat auch eine Studie der TU Berlin unter Leitung von Bernd Demuth nachgewiesen. [5]
Diese Konflikte sowohl in artenschutzrechtlicher, als auch in sozialer Dimension wie z.B. die Frustrationen von Anwohnenden, wenn ‚ihre‘ Vögel wegsaniert werden und Behörden sich handlungsunfähig zeigen, wären im Vorfeld mit guter Planung und strukturierten Vorgaben durch das Land Berlin vermeidbar. Eine erhöhte Sensibilität für politische ‚Maßnahmen‘, behördliches ‚Nicht‘-Handeln und geringe Frustrationstoleranz für unliebsame Eingriffe in das Lebensumfeld sind die Folge. Entsprechend kritisch hat sich auch der Dachdeckerverband geäußert und einen besseren Artenschutz am Haus gefordert.[6]
Gebäudebrüter – Im freien Fall!
Die Konzepte zur nachhaltigen Gebäudesanierung sehen vor, das offene Fugen und Bereiche vollständig verschlossen werden, dies ist auch bei Neubauten der Fall. An den glatten, modernen Fassaden können Gebäudebrüter nicht mehr siedeln und ohne Bruterfolg gibt es keinen Nachwuchs.[7]
Erschwerend hinzukommt, dass gebäudebewohnende Tierarten fast nur in Kolonien brüten und bei unbedachten Sanierungen immer gleich ganze Standorte unwiderruflich verloren gehen. Aber nicht nur auf Grund ihrer Standorttreue haben Gebäudebrüter große Schwierigkeiten neue Quartiere mit geeigneter Lebensraumausstattung zu finden, sondern meistens wird in der unmittelbaren Nachbarschaft auch saniert bzw. wird entsprechend der Klimaschutzziele noch saniert werden[8] und damit verschwinden Zug um Zug die Möglichkeiten zur Eigenumsiedlung der Tiere.
Artenschutz und Energiewende sind sehr gut vereinbar – bei rechtzeitiger Planung
Energetische Gebäudesanierungen sind für den Klimaschutz unerlässlich und auch für den Wohnkomfort von großer Bedeutung.
Um Gebäudesanierung und Artenschutz miteinander in Einklang zu bringen, kann auf zahlreiche, praxiserprobte Lösungen zurückgegriffen werden, die häufig kostengünstig und ästhetisch ansprechend umzusetzen sind und ein rechtssicheres Planen und Bauen ermöglichen. Entsprechende Maßnahmen werden für Architekten mit der Zeit zur Routine und fallen bei den Kosten kaum ins Gewicht, wenn der Artenschutz bereits im Planungs- und Ausschreibungsprozess berücksichtigt wird.[9]
So können an zu sanierenden Gebäuden Lebensstätten für Haussperlinge, Mauersegler, Zwergfledermäuse und andere im Rückgang begriffene Arten erhalten bzw. ersetzt/ integriert bzw. nachträglich angebracht werden. Dass sich Artenschutz und Bauen nicht ausschließen und durch entsprechende Anreize befördert werden, belegen zudem auch diverse Erfahrungen und Best Practises. Maßnahmen für Gebäudebrüter sind sogar relativ einfach beim Bauen und Sanieren umzusetzen[10], fördern den Mittelstand und das Gewerbe. Derzeit werden im Rahmen eines Projektes von BMBF und BMU Standards für Wärmeverbundsysteme mit Nistkästen entwickelt.
Andere Städte wie München, Köln, Hamburg, Hannover setzen teure Schutzmaßnahmen z.B. auch für Haussperlinge um, was aber erst passiert ist, nachdem dort nach Jahren naturferner Stadtentwicklung fast nichts mehr zu retten ist. In Berlin haben wir noch die Chance, die Bestände der Gebäudebrüter angesichts der flächendeckenden Sanierungen rechtzeitig zu schützen, damit die Populationen nicht weiter in großem Umfang ausgelöscht werden. Werden diese Maßnahmen im Zuge von Sanierungen rechtzeitig eingeplant, können sie mit wenig Aufwand umgesetzt werden und die Bestände der dort nistenden Arten stabilisieren.
Lösungen
Bei der Berücksichtigung von Tier- und Artenschutzbelangen muss es um alle Modernisierungs-, Wärmedämm- bzw. Neubaumaßnahmen und das städtebauliche Entwicklungskonzept gehen.
Durch Nistkästen und Fledermausquartiere - entweder außen an der Fassade angebracht oder integriert in die Dämmung lassen sich Brut- und Lebensstätten erhalten, ersetzen und neue schaffen. Hierfür gibt es auch optisch gute Lösungen.
Die Aufnahme des Artenschutzes in die Berliner Bauordnung ist eine Maßnahme, die den Informationsfluss bezüglich Artenschutz vom Gesetz zum Bauherren und Bauplaner gewährleisten und konkrete Vorgaben für die Implementierung von Nistkästen bzw. Habitaten machen kann.
Vorschläge:
-Die Stadt Berlin nimmt ihre Vorbildfunktion wahr und richtet bei allen Modernisierungs-, Wärmedämm- bzw. Baumaßnahmen im eigenen Gebäudebestand Nistplätze für Gebäudebrüter, z.B. für den Mauersegler, den Haussperling, den Hausrotschwanz und den Star, sowie verschiedene Fledermausarten ein. Hierbei darf es durch die Maßnahmen selbstverständlich zu keiner Einschränkung der Funktionalität des Gebäudes oder zu deutlichen Verzögerungen im Bau kommen.
-Bei allen Bauvorhaben auf städtischem Grund, auch bei Neubau, Vergabe und Verkauf von Grundstücken (Ausschreibungen) kann eine automatische Schaffung/ Einplanung von Nistangeboten den Verlust von Quartieren im Bestand ‚auffangen‘.
Damit erfüllt die Stadt Berlin auch ihre Verpflichtung, Gebäudebrüter als gefährdete urbane Arten zu fördern, die sich aus der Berliner Strategie zur Biologischen Vielfalt und der Koalitionsvereinbarung ergeben. Zusätzlich bieten die Nistangebote insbesondere an Bildungseinrichtungen sehr gute Beobachtungsmöglichkeiten und erfüllen somit gleichzeitig einen Bildungsauftrag zu Naturerleben und -bildung in der verdichteten Stadt.
Da Gebäude neben Grünflächen auch in der nationalen Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung eine hohe Priorität für den Erhalt der biologischen Vielfalt im besiedelten Bereich besitzen (NBS-BMU)[11] und alle gebäudebewohnende Arten zu den Indikatoren für nachhaltige Entwicklung im Lebensraum Siedlung zählen, gilt es besonders, „…dass die nationalen Klimaschutzziele nicht isoliert, sondern im Einklang mit den Zielen von Naturschutz und Landschaftspflege verfolgt werden.“[12]
-Sinnvoll ist es, o.g. Maßnahmen für Gebäudebrüter im Kontext von energetischen Sanierungen auch für eine private Bauherrenschaft zu implementieren und an Förderkulissen für die energetische Sanierung oder an städtebauliche Programme zu binden, um deutliche und nachhaltig wirkende Anreizsysteme für private Bauherren zu schaffen.
- Verpflichtende Artenschutzgutachten vor Baubeginn können für eine rechtssichere Planung und Baudurchführung städtischer und privater Bauherren sorgen und Konflikte mit dem Artenschutz kostengünstig im Vorfeld vermeiden.
Die Bedürfnisse von Tieren schon im Planungsprozess zu berücksichtigen und als kreativen Entwurfsbaustein zu nutzen, wird bundesweit erfolgreich in diversen Ansätzen verfolgt.[13]
#--
[1] Durch die verstärkte Sanierung und Wärmedämmung von Gebäuden gehen in großem Umfang Quartiere der Tiere verloren, die zu einem Rückgang bzw. einer Stagnation der Bestände siedlungstypischer Vogel- sowie Fledermausarten führen.‘‘, BfN Positionspapier gebäudebewohnende Tierarten, 2016
[2] Spiegel: Küken eingemauert Polizei ermittelt wegen Tierquälerei
[3] Hierzu: NABU Leipzig fordert Einhaltung der Artenschutzgesetze bei Baumaßnahmen
[4] Verordnung über Ausnahmen von Schutzvorschriften für besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten
[5] „Bislang werden Artenschutzbelange bei der Wärmedämmung der Außenfassade jedoch nur unzureichend berücksichtigt, was zu einer zunehmenden Gefährdung gebäudebewohnender Arten führen kann.‘‘ Bernd Demuth: „Klimaschutz und Naturschutz gehen zusammen“ – Offenbach, 28.08.2017
[6]Der Dachdeckerverband greift im November 2018 die Problematik der Zerstörung von Lebensstätten auf und fordert, ‘der Reduzierung der Artenvielfalt entgegenzuwirken‘‘
[7] vgl. BfN: Positionspapier Gebäudebewohnende Arten; LBV München; S.Weber (LBV München) in Der Falke, Sonderheft 2015, Lebensraumansprüche eines Allerweltsvogels: Schutzmaßnahmen für Haussperlinge müssen einsetzen, bevor Bestände unter die kritische Grenze fallen und keine Fortpflanzung mehr stattfindet.
[8] Auch der Senat von Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, dass die Stadt bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden soll.
[9] Vgl. Architekturbüro Hechenbichler: „Nachhaltigkeit beim Bauen bedeutet auch, die Bestände bedrohter und gefährdeter Gebäudebrüter zu erhalten.“
[10] http://region-hannover.bund.net/themen_und_projekte/artenschutz_an_gebaeuden/
[11] Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt