Veranstaltung: | LDK am 28. Oktober 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 8 Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Philmon Ghirmai (KV Berlin-Neukölln) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 22.02.2020, 09:03 |
V38: Gegen Rassismus, Diskriminierung und rechten Terror: Enquete-Kommission zu Berliner Behörden und Verwaltung
Antragstext
Der NSU war kein Einzelfall. Dies hat uns zuletzt der rechte Terror in Hanau, dem zu viele
Menschen zum Opfer fielen, schmerzlich vor Augen geführt. Nur wenige Tage zuvor wurde das
bundesweit agierende rechtsextreme Netzwerk, die sogenannten „Gruppe S“, überführt. Auch sie
planten Morde und Gewalttaten. Von rechtsextremen Gruppierungen und Einzelpersonen, die
Unterstützung in Wort und Tat finden, geht fortwährend eine große Bedrohung aus. Konkret
richten sie sich gegen marginalisierte Gruppen, zivilgesellschaftliche Akteur*innen,
Politiker*innen und Journalist*innen. Sie zielen darauf ab, unser demokratisches Gemeinwesen
zu untergraben, auszuhöhlen und abzuschaffen. Besorgniserregend ist vor allem die
Verharmlosung des Gefährdungspotenzials und die wiederkehrende Verstrickung zwischen
Mitarbeiter*innen von Sicherheitsbehörden auf der einen und rechtsextremen Gruppierungen auf
der anderen Seite.
Rechter Terror in Neukölln
Auch in Berlin geht von Neonazis und Rechtsextremen Gewalt aus. Im Besonderen die Neuköllner
Zivilgesellschaft sieht sich seit Jahren dieser Bedrohung ausgesetzt. Bündnis 90/Die Grünen
Berlin verurteilen diese Angriffe, die sich gezielt gegen People of Color und gegen
Bürger*innen richten, die sich für unsere vielfältige Gesellschaft und gegen faschistisches
und rechtes Gedankengut einsetzen. Alleine zwischen Mai 2016 und März 2019 zählte die Mobile
Beratung gegen Rechtsextremismus in Neukölln 55 Anschläge, die von Sachbeschädigung über
persönliche Bedrohung bis hin zu lebensgefährdender Brandstiftung reichten.
Bündnis 90/Die Grünen Berlin steht solidarisch an der Seite der betroffenen Personen. Um
diesen Gewalttaten zu begegnen, müssen wir uns konsequent mit ihnen auseinandersetzen und
den nationalistischen, faschistischen und rechtsextremen Strukturen entgegentreten.
Wir kritisieren, dass trotz zahlreicher Hinweise auf den Täterkreis bis heute substanzielle
Ermittlungserfolge seitens der Berliner Sicherheitsbehörden fehlen. Gleiches gilt für den
Mord an dem Neuköllner Burak Bektaş im Jahr 2012, der bis heute nicht aufgeklärt ist, und
für die Ermordung von Luke Holland im Jahr 2015, deren Hintergründe noch immer nicht
abschließend ausgeleuchtet sind. Diese Situation ist für die Betroffenen und deren
Angehörigen unerträglich. Durch die bisher erfolglosen Ermittlungen zur
rechtsextremistischen Gewalt-Serie in Neukölln gibt es nachvollziehbare Befürchtungen, dass
es Personen in den Sicherheitsbehörden gibt, die die Täter*innen und deren Taten schützen.
Wir kritisieren Senator Andreas Geisel und die zuständige Senatsverwaltung für Inneres und
Sport dafür, dass sie hierauf zu spät und nicht mit dem gebotenen Aufklärungswillen reagiert
und eine unabhängige Aufarbeitung und Untersuchung bis heute nicht ermöglicht haben.
Die Berliner Polizei ist ein wichtiger Akteur, um die Offenheit unserer Stadt sowie die
Freiheit und Sicherheit aller Berliner*innen zu garantieren. Wir möchten, dass die Täter
überführt werden. Zwar begrüßen wir, dass mit der BAO Fokus die bisherigen Ermittlungen
erneut geprüft und Fehleranalysen betrieben werden. Dennoch gibt es ein berechtigtes
Interesse der Betroffenen nach Aufklärung, dem bis heute nicht umfassend nachgekommen wird.
Rechte Strukturen und Diskriminierung in den Berliner Behörden
Wir nehmen zur Kenntnis, dass verfassungsfeindliche Vorkommnisse in der Berliner
Polizeibehörde endlich systematisch erfasst werden. Wir begrüßen außerdem, dass unsere
Forderung nach der Einrichtung einer*eines unabhängigen Bürger- und Polizeibeauftragten
endlich erfüllt wird. Diese Stelle wird ein wichtiger Anlaufpunkt für Bürger*innen sowie für
Polizist*innen. Sie kann besonders Beamt*innen dabei unterstützen, etwaige rechte
Aktivitäten und Strukturen in ihren eigenen Reihen zu melden und einer unabhängigen
Untersuchung zuzuführen.
Die genannten Maßnahmen sind erste Schritte, um das Vertrauen der Berliner*innen in die
Sicherheitsbehörden zurückzugewinnen. Darüber hinaus erwarten wir, dass Polizei und
Verwaltung systematisch und transparent durchleuchtet werden. Es darf in Zukunft kein
Behördenversagen die lückenlose Aufklärung von rechter Gewalt verhindern! Die Bildung
potentieller rechter Strukturen und Netzwerke in den dortigen Reihen ist zu unterbinden.
Wir erkennen an, dass der rechte Terror auch die Folge rassistischer Kontinuitäten ist, die
von der Politik und Gesellschaft zu lange ignoriert worden sind. Wir verurteilen, dass sich
viele Berliner*innen in ihrem Alltag regelmäßig aufgrund unterschiedlicher Zuschreibungen
Diskriminierung ausgesetzt sind. Und dies leider auch durch staatliche Stellen in der
Berliner Verwaltung. Das von uns vorangetriebene Landesantidiskriminierungsgesetz ist ein
wichtiger Baustein, um dem entgegenzuwirken und Berliner*innen vor Diskriminierung zu
schützen. Aber auch hier gilt: Wir müssen darüber hinaus proaktiv und systematisch
diskriminierende Strukturen in den Berliner Institutionen und in der Verwaltung erkennen und
diese abbauen.
Enquete-Kommission einrichten: Aufklären und neues Vertrauen schaffen
Aus diesem Grund fordern wir die Einrichtung einer parlamentarischen Enquete-Kommission, die
über den begrenzten Bereich der Sicherheitsbehörden hinaus auch systematisch
diskriminierende Strukturen und Ausschlussmechanismen in der Berliner Landesverwaltung
untersucht. Durch die Beteiligung von Vertreter*innen der Zivilgesellschaft als
Sachverständige, ist diese besonders geeignet, eine kritische Bestandsaufnahme und Analyse
sowie ein transparentes Verfahren zu ermöglichen.
Die Kommission soll mindestens die folgenden Aufgaben erfüllen:
- Rassistische bzw. diskriminierende Strukturen in der Berliner Verwaltung
identifizieren und institutionelle und zivilgesellschaftliche Handlungsempfehlungen
erarbeiten, um diese abzubauen. Diese Handlungsempfehlungen müssen insbesondere darauf
abstellen, Bürger*innen und Mitarbeiter*innen wirksam vor Diskriminierung zu schützen.
Kriterien für verbindliche Beschwerdeverfahren und -stellen bei Rassismus und
Diskriminierung müssen entwickelt werden, spezifische Diversitäts- und
Antidiskriminierungsstrategien implementiert, diskriminierungskritische
Organisationsuntersuchungen eingeleitet werden. Besonders in den Blick zu nehmen sind
vulnerable Gruppen und deren Schutz und Empowerment. Systematisch sollten dabei unter
anderem Institutionen und Bereiche untersucht werden, in denen Diskriminierung
besonders häufig auftritt. Hierzu zählen u.a. Schulen, Hochschulen, Sozialbehörden,
Justiz -und Sicherheitsbehörden sowie die Einwanderungsbehörde.
- Rechte und diskriminierende Strukturen in Berliner Sicherheitsbehörden sollen
identifiziert werden, die „Racial Profiling“, Rassismus und andere Formen der
gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit befördern. Institutionelle und
zivilgesellschaftliche Handlungsempfehlungen sollen erarbeitet werden, um diese
abzubauen. Dabei sollen insbesondere die Polizeiausbildung, polizeiliche Richtlinien,
Anweisungen sowie die behördliche Organisationsstruktur bei Sicherheitsbehörden und
Justiz untersucht werden.