Veranstaltung: | LDK am 28. Oktober 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 8 Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Bettina Jarasch (KV Berlin-Pankow) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 21.02.2020, 20:00 |
V25: Siemensstadt 2.0 zum Modellquartier für nachhaltige Stadtentwicklung machen
Antragstext
Im Nordosten Spandaus entsteht auf rund 70 ha mit dem Siemens Innovationscampus - der
sogenannten Siemensstadt 2.0 - ein Stadtquartier, das Berlin insgesamt als Forschungs- und
Wirtschaftsstandort stärken soll und mit Wohnnutzung verbunden wird. Dies hat große
Auswirkungen auf die Entwicklung und Lebensqualität von Siemensstadt, Haselhorst und der
künftigen Entwicklung von Gartenfeld ebenso wie für die angrenzenden Bezirke Spandau,
Charlottenburg-Wilmersdorf und Reinickendorf insgesamt. Im Memorandum of Understanding, das
der Senat von Berlin mit dem Siemens-Konzern am 31. Oktober 2018 geschlossen hat, heißt es,
dass „von diesem Standort in Zukunft eine enge Verknüpfung von Wissenschaft und Forschung
mit der Wirtschaft“ ausgehen soll, „die im Zuge einer ganzheitlichen Entwicklung prägend für
das gesamte Stadtquartier mit überregionaler Ausstrahlung sein wird.“
Bündnis 90/Die Grünen Berlin teilen das Ziel, dass mit dem Siemens-Campus ein
wirtschaftlicher Zukunftsort und ein neues Stadtquartier der besonderen Art entstehen soll,
in dem Wirtschaft, Wissenschaft und Wohnen integriert werden - so haben wir es auf dem
Parteitag vor einem Jahr beschlossen. Die Kreisverbände Spandau, Reinickendorf und
Charlottenburg-Wilmersdorf haben Ende 2019 gemeinsam mit vielen grünen Fachpolitiker*innen
eine öffentliche Zukunftswerkstatt vor Ort organisiert, um Ziele und Leitplanken für die
Entwicklung der Siemensstadt 2.0 zu diskutieren.
Entscheidend sind für uns zwei Ziele:
- Die Siemensstadt 2.0 muss zum Modellquartier für klima- und naturgerechtes,
ressourcensparendes und gleichzeitig bezahlbares Planen und Bauen werden, mit guten
Infrastrukturen und positiven Impulsen auch für die Nachbarquartiere.
- Die Öffnung und Umnutzung des Industrieareals muss für eine optimale Vernetzung des
umgebenden Nord-West-Raums von Berlin genutzt werden und hier die Bezirke Spandau,
Charlottenburg-Wilmersdorf und Reinickendorf mit ihren neuen Entwicklungsschwerpunkten
ebenso wie mit ihren Grün- und Wasserräumen durch ÖPNV, Fuß- und Radwege gut
miteinander verbinden.
Bei der grünen Zukunftswerkstatt hat die Konzernvertreterin Dr. Katerina Rigby betont, dass
Siemens diese Ziele teilt. An diesem Anspruch werden wir Siemens messen Wir erwarten daher,
dass Siemens, Senat und Bezirke in der Umsetzung des Siegerentwurfs des städtebaulichen
Wettbewerbs offen sind für konkrete Ideen und Forderungen, die geeignet sind, diese Ziele zu
realisieren.
Für die weitere Entwicklung des Siemens-Innovationscampus fordern wir:
Planungsgrundlagen vor Bauphase schaffen
Wir begrüßen eine zügige Realisierung dieses Großprojekts. Um eine sinnvolle Vernetzung der
Nord-West-Region Berlins mit der Siemensstadt 2.0 und den Nachbargebieten zu ermöglichen,
ist es allerdings erforderlich, dass Berlin mit Priorität die Ziele der Verkehrsplanung
erarbeitet und ein Konzept für integrierte Stadtentwickluhgsplanung (ISEK) vorlegt, bevor
der erste Bauwettbewerb ausgelobt wird. Die Ergebnisse müssen in die vereinbarten
Bebauungspläne, die städtebaulichen Verträge sowie die weiteren Gespräche und Verhandlungen
mit Siemens und den angrenzenden Bezirken einfließen und so die konkreten Rahmenbedingungen
für die Erreichung dieser Ziele setzen. Wir erwarten außerdem, dass Siemens als Eigentümer
die nach dem Bundesbodenschutzgesetz auf dem bisherigen Industriegelände erforderlichen
Altlastenuntersuchungen und Altlastensanierungen frühzeitig organisiert.
Stadtrendite sichern
Mit der planungsrechtlichen Aufwertung der bisherigen Industrieflächen zu Wohn-, Misch- und
Kerngebietsnutzung ist nach der Altlastensanierung eine große Bodenwertsteigerung verbunden.
Wir wollen, dass Berlin diese Bodenwertsteigerungen zeitnah ermittelt und dass - über die im
Memorandum vereinbarten Leistungen hinaus - ein Teil davon sozialen und verkehrlichen
Infrastrukturinvestitionen zugute kommt. Dies gilt insbesondere für das Grundstück und den
Bau der öffentlichen Schule, für die Abgabe von Grundstücken an städtische
Wohnungsunternehmen und -genossenschaften zum Ausgangswert und für eine Beteiligung an den
Kosten der notwendigen Verkehrsinvestitionen zur Vernetzung des Areals mit der Stadt. Solche
Leistungen sind im Rahmen der Kooperativen Baulandentwicklung in den städtebaulichen
Verträgen zu vereinbaren.
Mobilitätswende auf dem Gelände umsetzen
Siemensstadt 2.0 soll ein CO2-neutrales Quartier und ein Experimentierfeld für nachhaltige
Mobilität werden. Dafür genügt es nicht, die Verbrennungsmotoren der Fahrzeuge durch
Elektromotoren zu ersetzen. Zur Verbindung des Geländes mit den angrenzenden Quartieren sind
zwei bis drei Querstraßen in Ost-West-Richtung von der Paulsternstraße bis zum Straßennetz
östlich der Siemensbahn notwendig mit weiteren Rad- und Fußwegen, die durch das Gelände
hindurchführen und Verbindungen zu den angrenzenden Quartieren schaffen. An den S-
Bahnstationen sollen Mobilitätshubs eingerichtet werden. Der Stellplatz-Schlüssel in der
Auslobung des städtebaulichen Wettbewerbs sieht 6500 Parkplätze vor. Das konterkariert das
Ziel eines CO2-neutralen Quartiers. Die Parkplätze müssen daher deutlich reduziert werden.
Auch schon für den Baustellenverkehr, später aber auch für den Wirtschaftsverkehr braucht es
neue und innovative Lösungen: Um LKW-Verkehr in den umliegenden Quartieren zu vermeiden,
plädieren wir für die Nutzung von Wasserwegen (Westhafen, Spandauer Hafen), für die Nutzung
vorhandener und künftiger Schienenwege für den Gütertransport unddie Ver- und Entsorgung
sowiefür dezentrale Güterverteilstationen. Das sollte bereits in der Ausschreibung von
Bauaufträgen und bei der bereits beginnenden Vermarktung von Gewerbeimmobilien
berücksichtigt werden.
Stadtquartiere im Nordwesten gemeinsam entwickeln
Dafür wollen wir beim ÖPNV mutig neue Wege gehen. Die Siemensbahn soll über die Insel
Gartenfeld hinaus gebaut werden. Zentral für die Lösung der Verkehrsprobleme in Spandau
bleibt die Entwicklung eines Tramnetzes, vorübergehend auch als Inselnetz. Wir bekräftigen
daher die Forderung nach einem eigenen Betriebshof in Spandau. Außerdem schlagen wir neben
einem Radschnellweg nach Charlottenburg-Nord 2.0 auch eine Fuß- und Radverbindung in Nord-
Süd-Richtung vor, die nach Norden mit Brücke über den Hohenzollernkanal nach Tegel führt und
nach Süden mit Brücke über die Spree zum Spreewanderweg. Diese Maßnahme muss von Berlin
umgehend geprüft werden, um noch vor der nächsten Stufe der geplanten Bauwettbewerbe für die
Siemensstadt 2.0 die Freihaltung einer Trasse festzulegen.
Die Planung von Einzelhandelsflächen auf dem Campus muss koordiniert werden mit den
existierenden Einkaufszentren an der Paulsternstraße sowie am U-Bhf. Siemensdamm, um deren
Verödung zu verhindern. Damit es durch die Aufwertung des Quartiers nicht zur Verdrängung
der Anwohner*innen kommt, fordern wir die Einrichtung von Milieuschutzgebieten in
Siemensstadt sowie in Charlottenburg-Nord.
Spandau und Charlottenburg-Wilmersdorf müssen ein abgestimmtes Radwegenetz entwickeln, das
Siemensstadt 2.0 einbezieht. Dafür braucht es gemeinsame Planungen mit Siemens. Nach dem
Vorbild der Steuerungsgruppe auf Landesebene schlagen wir eine Steuerungsgruppe zwischen
Siemens und den beiden Bezirken vor, um die ganzheitliche Entwicklung des Spandauer und
Charlottenburger Nordens zu gewährleisten.
Angebote für urbanes Leben schaffen
Als lebendiges Quartier braucht Siemensstadt 2.0 eine soziale Infrastruktur über die bislang
geplante öffentliche Schule auf dem Gelände hinaus. Ein sozialer Anker für künftige und
jetzige Bewohner*innen sollte ein Gemeinwesenzentrum sein, für das Siemens ein Gebäude zur
Verfügung stellt. Dort wäre Raum für Begegnung, kulturelle und religiöse Angebote. Die
Erdgeschoßflächen der Wohngebäude sollten nicht nur für Einzelhandel und Gastronomie,
sondern auch für soziale Träger, Arztpraxen oder Kleingewerbe genutzt werden. Auf den
industriell und gewerblich genutzten Flächen des Campus können Clubs bzw. eine auch für
Musik und Partys nutzbare Fläche vorgehalten werden, denn in Spandau und Charlottenburg-Nord
gibt es bislang zu wenig Angebote insbesondere für junge Menschen.
Bezahlbares Wohnen und gemischte Nutzung ermöglichen
Wie aktuell das Beispiel der Europa-City am Hauptbahnhof zeigt, führt die Entwicklung von
sehr großen Arealen durch einen einzigen Privatinvestor zu leblosen Stadtquartieren und oft
auch zu schleppenden Baufortschritten. Wir halten eine angemessene Parzellierung und
teilweise auch den Verkauf vorder Bebauung an andere Eigentümer für ein wichtiges
Instrument, um gemischte Nutzung und eine sichtbare Vielfalt für das Quartier zu erreichen.
Bei der Auswahl künftiger Eigentümer dürfen aber nicht anonyme Investoren die
Hauptzielgruppe sein, sondern eine lebendige Mischung aus Baugemeinschaften,
Selbsthilfegruppen, Genossenschaften, sozial und kirchlich engagierten und öffentlichen
Wohnungsunternehmen. Eine ähnliche Vielfalt auch im gewerblichen Bereich wird dem neuen
Stadtteil Lebendigkeit geben.
Es sind 200.000 qm für Wohnen sowie weitere Flächen für studentisches Wohnen auf dem Gelände
vorgesehen, mit kooperativer Baulandentwicklung. Für eine echte Nutzungsmischung braucht es
über die vereinbarten 30% Sozialwohnungen hinaus weitere 30% der Wohnungen im mittleren
Preissegment, Barrierefreiheit und eine Mischung der Wohnungsgrößen. Bezahlbare Mieten
brauchen gerade auch Start-Up-Gründer*innen, die ihre innovativen Ideen auf dem Campus
umsetzen sollen. Dasselbe gilt natürlich für bezahlbare Gewerbeflächen und Arbeitsräume.
Daneben können auch Eigentumswohnungen entstehen.
Nachhaltig und klimaneutral bauen
Beim Klimaschutz darf es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Nachhaltigkeit beginnt mit
dem Recyceln von Baumaterial. Dazu gehört auch die Verwendung des Bodenaushubs innerhalb des
Geländes sowie innovative, auf Kreislaufwirtschaft ausgerichtete Bauweisen. Dafür könnte ein
Modellprojekt in Zusammenarbeit mit dem Zentralverband für das Baugewerbe und dem
benachbarten OSZ Bautechnik entwickelt werden. Die Wohn- und Gewerbequartiere ebenso wie der
Firmensitz müssen zudem im Standard bnb Gold bzw. DGNB Platin gebaut und zertifiziert
werden. Die Dächer der Neubauten und wo möglich auch beim gewerblichen Bestand sollen für
Grün, Erholung, Regenwasserrückhalt, Sport und die Gewinnung Erneuerbarer Energien genutzt
werden.Die Grünzüge Jungfernheide und Siemenspark sollten durchs Gelände weiter gezogen
werden. Die Bäume und die kleine Grünanlage im Bereich der Straße am Schaltwerk sind
unbedingt zu erhalten und in die Neuplanung einzubeziehen.
Smart City: Transparenz, Datensparsamkeit und Schutz der Privatsphäre garantieren
Laut Memorandum of Understanding soll Siemensstadt 2.0 ein Zukunftsort für Digitalisierung,
Automatisierung und Elektrifizierung werden. Auf dem Gelände sollen Smart City-Technologien
erprobt werden. Smart City kann ein Konzept für Klimaschutz und Energieeffizienz sein, für
bürgernahe Verwaltung, bessere öffentliche Daseinsvorsorge und moderne Mobilität. Es wirft
aber auch grundrechtliche Fragen im Umgang mit den Daten auf, die ständig erhoben und
gemessen werden. Angesichts der Verwertungsinteressen von Konzernen betrifft das
insbesondere den Umgang mit personalisierten Daten. Deshalb müssen die Prinzipien der
Transparenz, der Datenminimierung und der Schutz der Privatsphäre in den Vereinbarungen des
Landes Berlin mit Siemens verankert werden. Diese Prinzipien sollten bereits bei
Entscheidungen über die zu Grunde liegenden Infrastrukturen berücksichtigt werden (etwa im
Hinblick auf die Verwendung von datenschutzfreundlichen Smartmeter-Gateways für die
Steuerung und Abrechnung der Energieversorgung und bei Ladeinfrastrukturen für eMobilität).
Die entsprechenden Lösungen sollen die digitale Souveränität der Bewohner*innen, der auf dem
Gelände Arbeitenden und der Nutzer*innen der dort entwickelten und angebotenen digitalen
Dienste gewährleisten. Die digitale Infrastruktur und die über sie angebotenen Dienste
sollten von allen genutzt werden können (Open Data, Open Standards).
Der Senat hat mit Siemens, der TU Berlin, der Fraunhofer-Gesellschaft und der Bundesanstalt
für Materialforschung und –prüfung vereinbart, dass am Standort ein Industrie- und
Wissenschaftscampus insbesondere für die Entwicklung neuer Produkte im Bereich der
Digitalisierung, neuer Materialien und des additive Manufacturing entstehen soll.
Gleichzeitig ist die frühere Technikadademie von Siemens geschlossen worden, die
Werkberufsschule wird verlagert. Dafür braucht es einen Ersatz: Der Wissenschaftscampus
sollte auch Ausbildungsort für neue Technologiefelder werden und so die Industriekultur von
Siemens ins 21. Jahrhundert tragen.
Bürgerbeteiligung wirksam gestalten
Bislang gab es zur Entwicklung des Geländes viele Informationsveranstaltungen, aber keine
verbindliche Beteiligung. Auf der Grundlage eines ISEK und einer übergreifenden
Verkehrsplanung sollenSenat, Siemens und der Bezirk Spandau in Zusammenarbeit mit den
Bezirken Charlottenburg-Nord und Reinickendorf sowie der von den Bürger*innen aus den
angrenzenden Quartieren selbst organisierten Planungswerkstatt für die zweite Phase des
städtebaulichen bzw. architektonischen Wettbewerbs eine verbindliche Bürgerbeteiligung
gemeinsam organisieren und dabei auch die Bedarfe der angrenzenden Quartiere mit erörtern.
Entscheidend ist, dass die Ergebnisse dieser Beteiligung wirksam in die nächste Phase des
Wettbewerbs und in die Umsetzung einfließen können.
So kann es gelingen, den Siemens-Campus zu einem lebendigen Stück Berlin zu entwickeln, das
sowohl im Umfeld als auch stadtweit zur nachhaltigen Entwicklung unseres Gemeinwesens
beiträgt und Strahlkraft über Berlin hinaus entfaltet.
Unterstützer*innen
- Ansgar Gusy (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Susanne Zissel (KV Berlin-Spandau)
- Peter Schaar (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Nicole Ludwig (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Bodo Byszio (KV Berlin-Spandau)
- Clemens Minnich (KV Berlin-Spandau)
- Herbert Nebel (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Joachim Schmitt (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Christian Rosengart (KV Berlin-Spandau)
- Oliver Gellert (KV Berlin-Spandau)
- Daniela Billig (KV Berlin-Pankow)
- Franziska Eichstädt-Bohlig (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Susanne Jahn (KV Berlin-Kreisfrei)
- Stephan Vierkant (KV Berlin-Spandau)
- Sebastian Weise (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- KV Charlottenburg-Wilmersdorf (KV Charlottenburg-Wilmersdorf)
- Barbara Boeck-Viebig (KV Berlin-Reinickendorf)
- Konrad Hickel (KV Berlin-Spandau)
- KV Spandau (KV Spandau)
- Sibylle C. Centgraf (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Sebastian Sperlich (KV Berlin-Spandau)
- Rudolf Königer (KV Berlin-Spandau)
- Friedemann Dau (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)