Veranstaltung: | LDK 6. April 2019 |
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Tagesordnungspunkt: | 10 Weitere Anträge |
Antragsteller*in: | Jan Fährmann + Lara Liese (LAG Demokratie und Recht + KV Mitte) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 01.03.2019, 17:59 |
V-04: Kriminalität effektiv und nachhaltig reduzieren
Titel
Antragstext
Kriminalität effektiv und nachhaltig reduzieren
Auch wenn die Kriminalität immer weiter sinkt und die Justiz in Berlin erfolgreich arbeitet,
ist noch einiges zu tun. Neben der Arbeit von Justiz und Polizei ist die Prävention von
Straftaten ein essentieller Baustein der Verbrechensbekämpfung. Gelungene Präventionsarbeit
und die Resozialisierung straffällig gewordener Menschen schützen die Bevölkerung am
effektivsten.
Daher setzen wir uns für eine wirksame und nachhaltige Arbeit innerhalb des Strafvollzuges
und der Straffälligenhilfe ein.
Erfolgreiche Projekte wie der offene Vollzug müssen beibehalten werden, da Gefangene im
offenen Vollzug wesentlich besser in die Gesellschaft eingegliedert werden können. Dazu soll
die Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung prüfen,
wie der Zugang zum offenen Vollzug für geeignete Gefangene verbessert werden kann.
Zudem müssen für Gefangene, die (noch) nicht für den offenen Vollzug geeignet sind, die
Kommunikationsmöglichkeiten nach außen verbessert werden. Dazu gehört insbesondere, dass der
Zugang zum Telefon und dem Internet gesetzlich klar und für die Gefangenen bezahlbar
geregelt wird, um erfolgreiche Projekte – wie etwa das Projekt der Senatsverwaltung
„Internet im Strafvollzug“ – dauerhaft zu etablieren. Es gibt keinen Grund, Gefangenen, bei
denen ein Missbrauch nicht zu befürchten ist, die Nutzung des Internets zu untersagen. Das
gilt nicht zuletzt, da die Eingliederung in die Gesellschaft ansonsten nahezu unmöglich ist:
der Umgang mit dem Internet wird mittlerweile in allen gesellschaftlichen Bereichen
verlangt. Darüber hinaus gewährleistet auch nur eine klar geregelte Internetnutzung die
effektive Umsetzung des Grundrechts auf Informationsfreiheit im digitalen Kommunikations-
und Informationszeitalter.
Daneben sind die Bewährungshilfe und die freien Träger der Straffälligenhilfe weiter
konsequent zu stärken, damit auch außerhalb des Vollzuges die Resozialisierung von
straffälligen Menschen weiterhin effektiv umgesetzt und verbessert werden kann. Neben
bereits in der Praxis etablierten Projekten wollen wir auch neue Projekte umsetzen und dabei
auf erfolgreiche Ansätze aus dem Ausland zurückgreifen, um auch in Berlin die Rückfallraten
langfristig und nachhaltig zu reduzieren.
Dazu möchten wir das Messengerprojekt des Vereins „Tatort Zukunft – Verein für
Resozialisierung und Kriminalprävention e.V.“ in Berlin umsetzen. Der von dem Verein
verfolgte Programmansatz stammt aus New York und hat dort im Bereich der Gang-Kriminalität
zu großen Erfolgen geführt. Erste wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass dadurch die
Rückfälle in den ersten Jahren teilweise um die Hälfte reduziert werden konnten. Der Ansatz
wird daher mittlerweile auch in Europa verfolgt und wird auch in Berlin dazu beitragen, die
Kriminalität weiter zu reduzieren.
Kern des Projekts ist die Resozialisierung straffällig gewordener Menschen durch den Einsatz
von Mentor*innen mit einer vergleichbaren Biografie und Erfahrungen mit dem Justizsystem,
die mittlerweile aber wieder erfolgreich in die Gesellschaft eingegliedert worden sind.
Ausgangspunkt des Projekts ist die folgende Beobachtung: Straffällige junge Menschen haben
oft Probleme, sich konventionellen Programmen anzuschließen. Der Grund hierfür liegt aber
nicht in den vermittelten Inhalten (= Message), sondern bei den diese vermittelnden Menschen
(= Messenger). Oft kommen gerade Sozialarbeiter*innen aus einer anderen Bevölkerungsschicht
mit einem anderen Bildungshintergrund. Mentor*innen und die von ihnen betreuten Mentees
teilen hingegen einen ähnlichen sozio-kulturellen Hintergrund und haben vergleichbare
Erfahrungen mit dem Justizsystem. Die Mentor*innen treten den Mentees deshalb glaubhaft
gegenüber, sodass ein vertrauenswürdiger und intensiver Beziehungsaufbau gelingt.
Der Ansatz wird an zwei Stellen wirksam: einerseits entwickeln die Mentees die Fähigkeit
kriminellen Versuchungen und negativem sozialem Druck zu widerstehen. Zusätzlich erhalten
die Mentor*innen Arbeit und die Möglichkeit zu einer professionellen Entwicklung und
stabilisieren damit ihren eigenen Resozialisierungsprozess.
Deshalb sollen resozialisierte Personen, die in der Vergangenheit selbst mit dem
Justizsystem zu tun hatten, als Mentor*innen angestellt werden, um die Arbeit von
Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen und Pädagogen*innen aus der Straffälligen- und
Bewährungshilfe zu unterstützen.
Begründung
Jahrelange Erfahrungen zeigen, dass der offene Vollzug der beste Weg ist, um straffällige Menschen zu resozialisieren. Daher ist das Selbststeller-Modell sehr zu begrüßen, da es Verurteilten auf freiem Fuß (d. h. solche, gegen die keine Untersuchungshaft verhängt wurde) erlaubt, sich selbst zur Haft im offenen Vollzug zu stellen. Da sich der offene Vollzug als erfolgreich erwiesen hat, sollte zusätzlich geprüft werden, wie der Weg in den offenen Vollzug für geeignete Gefangene vereinfacht werden kann.
Auch zeigen Erfahrungen aus Forschung und Praxis, dass der Kontakt nach außen für die Resozialisierung vieler Gefangener essentiell ist. Nach der erfolgreichen Durchführung des Projektes „Internet im Strafvollzug“ ist es nun geboten, die Kommunikationsmöglichkeiten der Gefangenen auch gesetzlich klarer festzulegen, damit Gefangene, bei denen keine Hinweise darauf bestehen, dass sie die Kommunikationsmöglichkeiten missbrauchen werden, problemlos auf unterschiedlichen Wegen – Telefon, Internet, Besuche – Kontakt nach außen aufnehmen und Informationsangebote nutzen können.
Wir unterstützen ferner das Messengerprojekt, weil es durch die Senkung von Rückfallquoten einen wichtigen Beitrag zur Kriminalitätsreduktion in Berlin leisten wird. Die Justiz hat nämlich häufig mit Täter*innen zu tun, die mehrfach straffällig werden, sodass gelungene Resozialisierungsmaßnahmen auch bei einzelnen Person einen bedeutenden Einfluss auf die insgesamt verübten Straftaten haben.
Der Programmansatz ist wissenschaftlich evaluiert und konzeptionell ausgereift. Der Verein Tatort Zukunft e.V. hat bereits Projekte im Bereich der Resozialisierung realisiert und wird durch eine umfassende wissenschaftliche Betreuung unterstützt. Qualifizierte Mentor*innen konnten bereits gewonnen werden und werden zukünftig über Sozialarbeiter*innen ausgewählt.
Es fehlt jetzt nur noch an einer Anschubfinanzierung, die gebraucht wird, um das Projekt zu beginnen. Um diese zu erreichen und damit einen Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung zu leisten, unterstützen wir das Messengerprojekt.
Konkret ist das Programm wie folgt konzipiert: Die Mentees sind junge Menschen, die zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurden. Ein*e auf 450-Euro-Basis angestellte Mentor*in betreut maximal fünf Mentees. Es finden wöchentliche, zweistündige Gruppentreffen an ausgewählten, neutralen Orten statt. Zusätzliche Einzelkontakte werden individuell auf die Mentees abgestimmt. Die Treffen werden durch die Mentor*innen dokumentiert. Die Mentor*innen werden durch den Verein geschult und während der Programmzeit unterstützt und betreut. Die Mentor*innen sollen eine mit den Mentees vergleichbare Biografie haben. Die Mentor*innen müssen seit mindestens drei Jahren straffrei sein, dürfen keine Drogen konsumieren und müssen ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Vor allem bringen sie die Absicht mit, eine Vorbildfunktion zu übernehmen und sich persönlich zu engagieren.
Dieses Bündel von Ansätzen wird zu einer weiteren effektiven und nachhaltigen Reduktion der Kriminalität in Berlin führen.