Veranstaltung: | LDK am 04. Mai 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 10 Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Benjamin Budt (KV Berlin-Pankow) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 30.03.2024, 09:25 |
V-24: Juristisches Ehrenamt schützen - Rechtsextremist*innen raus aus den Gerichten!
Antragstext
Unsere Verantwortung ist die Verteidigung und Belebung unserer wehrhaften Demokratie. Das
heißt, alle uns zur Verfügung stehenden Mittel im Kampf gegen Verfassungsfeind*innen zu
nutzen. Der Zustand des Rechtsstaats und seiner Gerichte sind dabei ein Gradmesser, wie
wehrhaft eine Demokratie wirklich ist. Das Recht ist dabei unser schärfstes Schwert im Kampf
gegen Feind*innen der Demokratie und auch im Rechtsstab spielt das Ehrenamt eine wichtige
Rolle, denn die rund 60.000 Laienrichter*innen tragen in Deutschland maßgeblich zu einem
funktionierenden Rechtsstaat bei und unterstützen die hauptberufliche Justiz in
verschiedenen Gerichtsbarkeiten. Den Schöff*innen kommt dabei ganz persönlich eine besondere
Verantwortung zu. Da die Urteile regelmäßig eine ⅔ Mehrheit erfordern, können die
Berufsrichter*innen selten ohne deren Zustimmung entscheiden. Ehrenamtliche Richter*innen
können die hauptamtlichen Richter*innen somit überstimmen. Wir sind dankbar, dass sich
Menschen als ehrenamtliche Richter*innen engagieren. Klar ist aber auch, dass sie eine große
Verantwortung für unseren Rechtsstaat und für unsere Demokratie tragen und dass Menschen mit
klar antidemokratischer oder rechtsextremer Grundhaltung in Berlin Recht sprechen dürfen,
nicht hinnehmbar und eine bisher zu wenig wahrgenommene Gefahr für unsere liberale
Demokratie ist.
Besorgniseregender Weise ist zu beobachten, dass extremistische – insbesondere rechte,
rechtsradikale und rechtsextremistische – Gruppen und Vereinigungen auch in Berlin immer
häufiger und erfolgreicher ihre Anhänger*innen dazu aufrufen, sich auf demokratischem Weg
als Schöff*innen wählen zu lassen. Aus einem verantwortungsvollen,
demokratiekonstituierenden Ehrenamt wird so ein Instrument der Extremist*innen, um
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Hass und Hetze zu verbreiten und mit Hilfe der
Gerichte durchzusetzen. Wenn die Justiz instrumentalisiert wird, darf nicht einfach tatenlos
zugeschaut werden. Stattdessen muss man diesen Entwicklungen entschieden entgegen treten.
Daher unterstützt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berlin ausdrücklich die bundespolitischen
Bemühungen, das Richtergesetz (DRiG) zu ändern und den bereits 2008 vom
Bundesverfassungsgericht formulierten Grundsatz der Verfassungsbindung von
Laienrichter*innen deklaratorisch zu konkretisieren. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berlin fordert
den Senat von Berlin auf, unter anderem folgende Maßnahmen schnellstmöglich zu ergreifen:
Das Land Berlin setzt sich im Bundesrat dafür ein, die Gesetzesinitiative der
Bundesregierung zur Änderung des § 44a DRiG zur Ergänzung des Tatbestandes des
Nichteintretens für die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beschließen. Zudem
setzt sich das Land Berlin für die Änderung des § 44a DRiG von einer “Soll-Vorschrift”
zu einer “Muss-Vorschrift” ein.
Die Einführung und gesicherte Fortschreibung eines Tages des Ehrenamtes und
Ehrenamtspreises für demokratisch engagierte Menschen in allen Bereichen der Berliner
Justiz.
Erarbeitung einer Umsetzungsstrategie zur systematischen Überprüfungen der
Bewerber*innen für das Schöff*innenamt durch den Senat zur Unterstützung aller
zuständigen Stellen als Extremismusprävention. Der Senat soll mit den für die Berufung
zuständigen Stellen eine effektive Art der Überprüfung der Bewerber*innen für das
Schöff*innenamt entwickeln. Dabei soll besonders die Überprüfung der
Verfassungsbindung, wie sie durch die sich im Prozess befindende Änderung des § 44a
DRiG geplant ist, beachtet werden. Zudem soll der Bewerbungsprozess eine stärkere
Begleitung und Zentralisierung durch die zuständige Senatsverwaltung erfahren.
Außerdem wird die zuständige Stelle beauftragt, die Schöff*innen zumindest einmal nach
der Hälfte ihrer Amtszeit erneut zu überprüfen. Alle dafür nötigen (verwaltungs-
)rechtlichen Änderungen sind zu veranlassen.
Das Land Berlin regt in der Justizminister*innenkonferenz an, bis zum Beginn der
nächsten Schöff*innenwahlperiode Maßnahmen zu entwickeln, um die Anzahl und die
Diversität der Schöff*innen zu steigern, damit möglichst viele Lebensrealitäten
abgebildet werden.
Der Senat stellt sicher, dass die Schöff*innenwahl sowie vorausgehende Werbekampagnen
und der sich anschließende Überprüfungsprozess langfristig finanziell durch einen
stetigen Aufwuchs des entsprechenden Ansatzes im Haushalt abgesichert sind. Außerdem
wird empfohlen, eine Begleitung durch den Verband der ehrenamtlichen Richterinnen und
Richter Berlin e.V. finanziell mit einzubeziehen.
Begründung
Aktuell befindet sich der neue Entwurf des Richtergesetzes (DRiG) im Gesetzgebungsverfahren und wurde vom Bundesrat zurück an den Bundestag überwiesen. Bereits 2008 hatte auch das Bundesverfassungsgericht in dem Fall aus Baden-Württemberg entschieden, dass die Pflicht zur Verfassungstreue nicht nur für Berufsrichter*innen, sondern auch für ehrenamtliche Richterinnen und Richter gilt. Anders als für die Berufsrichter*innen steht das bislang so nicht im Gesetz. Das soll sich nun ändern. Aus dem Bundesministerium der Justiz (BMJ) kommt dazu ein Formulierungsvorschlag. Bisher sind Hindernisse für die Berufung ehrenamtlicher Richter*innen in § 44a DRiG geregelt. Sie sollen Schöff*innenen ausschließen, die gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder des Rechtsstaats verstoßen oder die eine Stasi-Vergangenheit haben. Der Katalog soll nach den Plänen des BMJ um den folgenden Zusatz erweitert werden: Nicht berufen werden soll, wer „keine Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Klar muss sein, dass Demokratiefeind*innen nicht ohne Weiteres die Demokratie von innen heraus abschaffen können. Wir stehen für eine wehrhafte Demokratie. Daher ist die bisherige Formulierung nicht streng genug. Denn im § 44a I DRiG, in dem es heißt „soll nicht berufen werden“, muss es heißen „darf nicht berufen werden“. Mit der vom Bundesjustizminister geplanten 'Soll-Regelung' bei der Einstellung dieser Richterinnen und Richter akzeptiert er Ausnahmen von der Verfassungstreue dieser Personen. Dazu ist deutlich zu sagen: Ein so verantwortungsvolles und wichtiges Amt lässt keine Ausnahmen zu.
Das Ehrenamt ist unbezahlbar für unsere Demokratie, und engagierte Menschen finden sich in allen Bereichen des Lebens, auch in der Justiz. Hier engagieren sich Ehrenamtliche in den Gerichtssälen, in den JVA oder in anderen Einrichtungen. Sie alle tragen dazu bei, dass unser Rechtsstaat funktioniert und bereichert wird. Diese Preisverleihung soll auch dazu dienen, das breite Spektrum der ehrenamtlichen Tätigkeit in der und für die Justiz aufzuzeigen. Manche sind seit vielen Jahren und sogar Jahrzehnten im Ehrenamt tätig. Bereits jetzt zeigt Mecklenburg-Vorpommern, wie erfolgreich ein solcher Tag des Ehrenamtes sein kann.
Die Änderungen sind wichtig und richtig, doch im Kern geht es darum, dass es eine effektive Überprüfung der Bewerber*innen gibt. Aktuell findet diese nur in sehr begrenztem Maße und intransparent statt. In den entsprechenden Bezirksverordnetenversammlungen und Bezirksämtern sind die selbst teils ehrenamtlich Tätigen häufig maßlos überfordert mit der Menge und mit dem Verfahren. Somit kommt es zu keiner nachhaltigen Prüfung der Bewerberinnen und Bewerber. Auch die zuständigen Stellen in den Bezirksämtern sind in ihren Ressourcen äußerst begrenzt und können einer verfassungsmäßigen Pflicht nicht in vollem Umfang gerecht werden. Daher ist es dringend notwendig, dass der Senat aktiv wird und gemeinsam mit den in den Bezirken zuständigen Stellen anhand ihrer Kapazitäten Maßnahmen zur effektiven Umsetzung der Überprüfung der Bewerberinnen und Bewerber erarbeitet. Indem der Bewerbungs- und Wahlprozess der Schöff*innen stärker von der zuständigen Senatsverwaltung koordiniert und zentralisiert wird, werden bezirkliche Strukturen entlastet und Verfahren standardisiert und folglich vereinfacht. In § 44a II DRiG ist bereits festgeschrieben, dass die zuständige Stelle zur Überprüfung der Bewerberinnen und Bewerber vor der Ernennung eine schriftliche Erklärung über ihre Verfassungstreue einholen kann. Klar ist jedoch, dass sich Einstellungen und Weltsichten ändern können. Daher reicht es bei einer Wahlperiode von fünf Jahren nicht einfach aus, von stetiger Verfassungstreue auszugehen. Eine Wiederholungsüberprüfung ist somit gerechtfertigt. Diese einmal durchzuführen und lediglich mindestens nach der Hälfte der Amtszeit gibt den zuständigen Stellen den nötigen Spielraum, um Demokratiefeind*innen zu identifizieren. Bereits in der Vergangenheit kamen solche Fälle ans Licht. Zu denken ist dabei an eine Berliner Schöffin, die auf Facebook über Asylbewerberinnen und Asylbewerber als „Halbwilde und Tiere“ schrieb oder an einen Schöffen, der 2016 auf seiner heimischen Terrasse eine Reichsflagge hisste.
Jede Wahlperiode sucht Deutschland rund 60.000 Menschen, die sich als Schöffinnen und Schöffen engagieren. Bereits jetzt sind es regelmäßig zu wenige, die sich für dieses verantwortungsvolle Amt bewerben. Wenn man versuchen möchte, den Querschnitt der Gesellschaft abzubilden, ist es notwendig, dass aus der Mitte der Gesellschaft mehr Bewerbungen eingehen. Gleichzeitig erhöht es den Gerechtigkeitsgehalt der Urteile, indem Menschen auf den Richter*innenbänken der Republik sitzen, die die Vielfältigkeit Deutschlands auch abbilden. Zudem wird so den Extremist*innen der Platz auf der Richter*innenbank genommen, denn wo ein Körper ist, kann kein zweiter sein.
Ein System kann nur dann funktionieren, wenn genug finanzielle Mittel für dessen Durchführung und Durchsetzung bereitgestellt werden. Eine langfristige finanzielle Absicherung im Haushalt ist somit eine unerlässliche Voraussetzung für ein nachhaltiges und demokratisches Schöff*innensystem, wie es bereits erörtert wurde. Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, die zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich vehement für dieses Thema engagieren, angemessen zu unterstützen. Diese Unterstützung ermöglicht es ihnen, das Thema weiterhin gesamtgesellschaftlich voranzutreiben und, falls erforderlich, auf der politischen Agenda zu positionieren.