Antrag: | Bildungsgerechtigkeit – Garantie eines Bildungsfundaments für alle |
---|---|
Antragsteller*in: | Tonka Wojahn (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 19.11.2024, 15:44 |
V-7-088: Bildungsgerechtigkeit – Garantie eines Bildungsfundaments für alle
Antragstext
Von Zeile 87 bis 88 einfügen:
Deutschunterricht auf die sprachlichen Anforderungen in der Ausbildung eingehen, Gebrauchstexte und Tabellen einbeziehen und die mündliche Kommunikation stärken. Schulen sollen weiterhin duale Lernformen (Produktives Lernen, Praxislernklassen), die Theorie und Praxis verbinden, anbieten können. Die Berufsorientierung muss an alle Fächer gekoppelt und praxisnah gestaltet werden. Zukünfitig ist die Berufsorientierung in engerer Zusammenarbeit mit der Jugendberufsagentur verpflichtend an allen weiterführenden Schulformen anzubieten.
Es ist ein Skandal: Auch mehr als 20 Jahre nach Vorliegen der ersten PISA-Ergebnisse ist es
nicht gelungen, den viel zu hohen Anteil an Jugendlichen spürbar zu senken, die nach zehn
und mehr Jahren die Schule ohne ausreichende Grundlagen für ein eigenständiges und
eigenverantwortliches Leben verlassen. In Berlin haben in diesem Jahr fast die Hälfte der
Schüler:innen der 8. Klassen nicht die Mindeststandards in Mathematik erreicht, an den
Sekundar- und Gemeinschaftsschulen sind es sogar 74%. Das ist eine nicht hinnehmbare
Ungerechtigkeit!
Wer die Schule ohne ausreichende Basiskompetenzen verlässt, hat deutlich geringere Chancen
auf eine gleichberechtigte Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben. Wir sind es
allen Jugendlichen schuldig, dass sie erfolgreich von der Schule ins Berufsleben starten
können und mindestens ein Bildungsfundament – ein Bildungsminimum - erlangen, das
Perspektiven für die eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens eröffnet. Dabei geht es uns
vor allem um das individuelle Schicksal der Jugendlichen, aber aus dieser seit Jahren
anhaltenden bzw. sich verschärfenden Entwicklung entsteht auch ein großer Schaden für unsere
Gesellschaft und Demokratie.
Hier sind die Schulen wie viele weitere Akteure – z.B. der Jugend- und Sozialbereich –
gefordert. In der Schule müssen aber die Weichen gestellt werden. Der Staat hat die Pflicht,
das Bildungsminimum zu garantieren, und zwar schon ab der Kita! Wir wollen den Berliner
Senat in die Pflicht nehmen, diese Ungerechtigkeit jetzt zu beenden und legen dazu mit
diesem Antrag und daraus abgeleiteten Initiativen im Parlament ein machbares Konzept vor,
das von den Schulen angenommen und umgesetzt werden sollte.
Dass ein Bildungsfundament bislang nicht für alle garantiert wird, ist der zentrale Punkt
der Bildungsungerechtigkeit in Deutschland und besonders in Berlin.
Wer Bildungsgerechtigkeit will, muss dieses Bildungsminimum sichern. Hierzu gehört in der
Sekundarstufe I das Erreichen der Mindeststandards in den Basiskompetenzen (Deutsch,
Mathematik, erste Fremdsprache / Erstsprache und Naturwissenschaften). Es gehören dazu aber
auch personale und soziale Kompetenzen. Das sind Lernmotivation, Selbstregulation und
Zuverlässigkeit, die zu einer eigenständigen Lebensführung befähigen und auch zur
Ausbildungsfähigkeit gehören.
Um nicht weitere Generationen zu verlieren, wollen wir nicht warten, bis die notwendigen
Veränderungen in den Kitas und Grundschulen, die jetzt in Angriff genommen werden (z.B. das
Startchancenprogramm) wirksam werden, sondern fordern sofortige Veränderungen in den Schulen
der Sekundarstufe I, um in den letzten vier Schuljahren wenigstens das genannte
Bildungsminimum zu sichern.
Die Betonung der Sicherung eines Bildungsminimums für alle bedeutet aber nicht, dass sich
Schulen damit zufriedengeben oder Schüler:innen auf diesen Status festlegen sollen. Alle
folgenden Maßnahmen haben vielmehr das Ziel, den Kindern und Jugendlichen eine
gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Daher ist trotz aller
Herausforderungen der Tendenz entgegenzutreten, bei Problemen die Anforderungen an die
Kinder abzusenken. Wir wollen allen Kindern und Jugendlichen etwas zutrauen. Wir wollen
gemeinsam mit den Akteuren vor Ort nach Wegen suchen, die es ermöglichen, die mit
Leistungsfähigkeit verbundene Lernfreude zu fördern. Dafür ist es unerlässlich, dass
Lehrpersonen und anderes pädagogisches Personal die Kompetenzstandards kennen und sich
gemeinsam daran orientieren.Wir sind davon überzeugt, dass es immer auch um ein Lernen mit
allen Sinnen, um ein Lernen mit Herz und Verstand, mit Bewegung und mit kulturell-musisch-
künstlerischen Alternativen zu Sprache als Ausdrucksmöglichkeiten geht.
Maßnahmen, um in der SEK I ein Bildungsfundament zu sichern:
Folgende Umsetzungsschritte sollen auf allen Ebenen von der Bildungsverwaltung bis zu den
Schulen angewandt werden:
- Zu Beginn der Sekundarstufe I wird – wie vorgesehen - die Lernausgangslage aller
Schüler:innen erfasst, um so gezielt und systematisch die Förderung insbesondere der
Jugendlichen mit erkennbaren Kompetenzrückstünden vornehmen zu können. Eine weitere
Feststellung sollte nach zwei Jahren erfolgen, um Lernfortschritte zu erkennen und
weitere Förderungen einzuleiten. Für die regelmäßige Diagnostik sind online-tools
vorhanden, die leicht anzuwenden und auszuwerten sind.
- Die für diese Jugendlichen spezifischen Förderangebote können sowohl im regulären
Unterricht als auch additiv (zum Beispiel im Rahmen des schulischen Ganztags) gemacht
werden. Die Förderprogramme müssen auch die personalen und sozialen Kompetenzen sowie
die Fähigkeit zur Selbstregulierung beinhalten. Dafür sollen auch geeignete
Trainingsprogramme angewandt werden. Für eine differenzierte Förderung können auch KI-
generierte Tools verwendet werden, für die es mittlerweile ein breites Angebot gibt.
Hierfür müssen die Schulen der Sekundarstufe I ertüchtigt und gezielt ausgestattet
sein. Dazu gehören auch entsprechende Fortbildungsangebote für die Lehrkräfte.
- Die Jugendlichen mit erkennbaren Kompetenzrückständen brauchen auch mehr Lernzeit,
z.B. durch Programme in den Schulferien oder auch durch äußere Differenzierung. In den
Abschlussjahren kann auch eine verstärkte Förderung der Basiskompetenzen (und der
Verzicht auf Unterricht in anderen Fächern) notwendig werden. Die dafür notwendigen
curricularen Vorgaben müssen von der Bildungsverwaltung erarbeitet werden.
Notwendige inhaltliche und organisatorische Schwerpunktsetzungen in den Schulen der
Sekundarstufe I:
- Duales Lernen in der Sek I: Um den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen nach
erlebbaren Erfolgen und angemessener Verantwortungsübernahme zu entsprechen, sollen künftig
in der Sekundarstufe I schon ab der 7. Klasse auch Formen des „dualen Lernens“, in denen
sich theoretisches und praktisches Lernen abwechseln, stärker als bisher an allen Schulen
der SEK I zum Einsatz kommen. Von diesem Wechsel zwischen Wissenserwerb, Reflexion und
praktischer Anwendung können die Jugendlichen mit erkennbaren Kompetenzrückständen besonders
profitieren. Voraussetzung dafür ist, dass die praktischen Tätigkeiten auch kognitiv
herausfordernd und gut mit dem schulischen Unterricht verzahnt sind. In diesem Zusammenhang
müssen bereits bestehende Formen der dualen Bildung (Produktives Lernen, Praxisklassen etc.)
evaluiert werden und wenn nötig in veränderter und verstärkter Form zum Einsatz kommen.
- Berufsorientierung: Für gelingende Übergänge in die Ausbildung ist eine bessere Be-
rufsorientierung notwendig. Zur Berufsorientierung gehören nicht nur Informationen über
Berufe und ihre Anforderungen, sondern auch die bessere Abstimmung der individuellen
Fähigkeiten und Interessen auf die Anforderungen in potenziellen Berufsfeldern. Dazu gehört
auch die Zusammenarbeit mit Arbeitgebern, damit z.B. auch Praktika angeboten werden können.
Die Berufsorientierung ist auch Aufgabe aller Fächer. So sollte zum Beispiel der
Deutschunterricht auf die sprachlichen Anforderungen in der Ausbildung eingehen,
Gebrauchstexte und Tabellen einbeziehen und die mündliche Kommunikation stärken. Schulen sollen weiterhin duale Lernformen (Produktives Lernen, Praxislernklassen), die Theorie und Praxis verbinden, anbieten können. Die Berufsorientierung muss an alle Fächer gekoppelt und praxisnah gestaltet werden. Zukünfitig ist die Berufsorientierung in engerer Zusammenarbeit mit der Jugendberufsagentur verpflichtend an allen weiterführenden Schulformen anzubieten.
- Anwendungsorientierung in der Schule: Über die Berufsorientierung hinaus muss vor
allem in den Fächern Deutsch und Mathematik erheblich mehr an die Lebenswelt der
Jugendlichen angeknüpft werden. Ein Schreiben der Ausländerbehörde, die jährliche
Heizkostenabrechnung, Fanpost oder ein Bußgeldbescheid u. ä. sollten neben literarisch
hochwertigen Texten Lernanlässe im Unterricht sein. Je stärker Schreib- und
Sprechanlässe mit Anliegen der Jugendlichen verbunden werden, umso mehr erhalten sie
einen „Gebrauchswert“ im Alltag. Wenn es gelingt, diese mit gemeinsamen Auftritten,
wie zB Theater, zu verbinden, kann die nachhaltige Wirkung umso größer sein und
Selbstwirksamkeit stärken. Die bestehenden Rahmenpläne sind entsprechend anzupassen.
- Nutzung des Ganztags: Die Möglichkeiten des schulischen Ganztags müssen deutlich
besser als bisher auch zur Förderung der Basiskompetenzen sowie der sozialen und
personalen Kompetenzen genutzt werden. Dafür muss der Ganztag als Einheit konzipiert
werden, was eine intensive Abstimmung zwischen Unterricht und außerunterrichtlichen
Angeboten sowie ergänzenden Fördermaßnahmen erfordert. Dazu braucht es beim
multiprofessionellen Personal der Schule eine verbindliche Kooperation und die
Verständigung auf gleiche Ziele und Fördermaßnahmen hinsichtlich des Lernerfolgs. Im
Verbund von Unterricht und Ganztag muss Schule insbesondere für die Jugendlichen mit
erkennbaren Kompetenzrückständen das bieten, was anderen in ihrem familiären Umfeld
ermöglicht wird. Dazu braucht es eine Gesamtverantwortung der Schulleitung für den
ganzen Tag.
- Einbeziehung des sozialen Umfelds, Zusammenarbeit mit dem Jugendbereich: Neben den
Möglichkeiten, die der Ganztag der Schule zur emotionalen und sozialen Stabilisierung
der Kinder und Jugendlichen bietet, ist es vor allem für Kinder und Jugendlichen aus
schwierigen Lebensverhältnissen, unabdingbar, ein soziales Netz zu schaffen, das
Lernmotivation unterstützt und Auffangmöglichkeiten in Gefährdungssituationen schafft.
Dafür müssen z.B. Jugendfreizeitheime und Streetworker, aber auch Sportvereine oder
Kultureinrichtungen für die gemeinsamen Ziele gewonnen werden, damit die Kinder und
Jugendlichen die Chancen der für sie angepassten unterrichtlichen Situation besser
nutzen können. Auf diese Weise könnte die Schule vieles von dem, was sie bisher
voraussetzt, durch andere bewirken lassen und soziale Benachteiligung weiter
ausgleichen. Die bestehenden Vereinbarungen und Strukturen sind darauf zu überprüfen,
ob sie dem Ziel ein stabiles Bildungsfundament zu legen, genügend verpflichtet sind.
- Diagnostik auch beim Eintritt in den Übergangssektor: Wie zu Beginn der Sekundar-
stufe I ist auch beim Eintritt in den Übergangssektor eine aussagekräftige, auf gezielte
Förderung gerichtete Diagnostik für die Jugendlichen erforderlich, die nicht sofort eine
betriebliche Ausbildung beginnen. Zudem müssen ausbildungsbegleitende Hilfen gerade für
Klein- und Kleinstbetriebe unbürokratisch ermöglicht werden. Die geplante Verlängerung der
Schulzeit auf elf Jahre wird dann zum Erfolg, wenn die Angebote auf die Bedarfe und
Bedürfnisse dieser Jugendlichen ausgerichtet werden. Es darf kein „Vom Gleichen, nur mehr“
sein. Unser Ziel ist: „Kein Abschluss ohne Anschluss“.
- Aussagekräftige Abschlüsse: Es bedarf einer Überprüfung der bisherigen Zertifizie-
rungen in der Schule (vor allem bei Übergängen und Abschlüssen). Insgesamt sollten die
Zeugnisse breiter angelegt werden und neben kognitiven Leistungsständen auch personale und
soziale Fähigkeiten wie Selbstregulation und -organisation, Ausdauer, Zuverlässigkeit,
Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein berücksichtigen. Denn
hier geht es auch um die Attestierung der „Ausbildungsreife“. In diesem Zusammenhang gehören
auch die bisherigen Abschlüsse der Sekundarstufe I auf den Prüfstand. Hierzu sollte eine
multiprofessionelle Expertengruppe eingesetzt werden, um entsprechende Vorschläge zu
erarbeiten.
Zusammengefasst:
Gerade auch für Jugendliche aus schwierigen Lebensverhältnissen und mit erkennbaren
Kompetenzrückständen müssen Lernerfolg und schulische Leistung in einen positiven Kontext
gestellt werden, verbunden mit einem lernfreundlichen Klima.
Für alle Jugendlichen muss ein Bildungsfundament zur Lebensbewältigung garantiert werden.
Unterstützer*innen
- Klara Schedlich (LV Grüne Jugend Berlin)
- Daniel Eliasson (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf)
- Christoph Wapler (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Louis Krüger (KV Berlin-Pankow)
- Jan Schönrock (KV Berlin-Kreisfrei)
- Meike Paula Berg (KV Berlin-Neukölln)
- Manuel Honisch (KV Berlin-Kreisfrei)
- Kübra Beydas (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
- Johannes Mihram (KV Berlin-Mitte)
- Christoph Lorenz (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf)
Von Zeile 87 bis 88 einfügen:
Deutschunterricht auf die sprachlichen Anforderungen in der Ausbildung eingehen, Gebrauchstexte und Tabellen einbeziehen und die mündliche Kommunikation stärken. Schulen sollen weiterhin duale Lernformen (Produktives Lernen, Praxislernklassen), die Theorie und Praxis verbinden, anbieten können. Die Berufsorientierung muss an alle Fächer gekoppelt und praxisnah gestaltet werden. Zukünfitig ist die Berufsorientierung in engerer Zusammenarbeit mit der Jugendberufsagentur verpflichtend an allen weiterführenden Schulformen anzubieten.
Es ist ein Skandal: Auch mehr als 20 Jahre nach Vorliegen der ersten PISA-Ergebnisse ist es
nicht gelungen, den viel zu hohen Anteil an Jugendlichen spürbar zu senken, die nach zehn
und mehr Jahren die Schule ohne ausreichende Grundlagen für ein eigenständiges und
eigenverantwortliches Leben verlassen. In Berlin haben in diesem Jahr fast die Hälfte der
Schüler:innen der 8. Klassen nicht die Mindeststandards in Mathematik erreicht, an den
Sekundar- und Gemeinschaftsschulen sind es sogar 74%. Das ist eine nicht hinnehmbare
Ungerechtigkeit!
Wer die Schule ohne ausreichende Basiskompetenzen verlässt, hat deutlich geringere Chancen
auf eine gleichberechtigte Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben. Wir sind es
allen Jugendlichen schuldig, dass sie erfolgreich von der Schule ins Berufsleben starten
können und mindestens ein Bildungsfundament – ein Bildungsminimum - erlangen, das
Perspektiven für die eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens eröffnet. Dabei geht es uns
vor allem um das individuelle Schicksal der Jugendlichen, aber aus dieser seit Jahren
anhaltenden bzw. sich verschärfenden Entwicklung entsteht auch ein großer Schaden für unsere
Gesellschaft und Demokratie.
Hier sind die Schulen wie viele weitere Akteure – z.B. der Jugend- und Sozialbereich –
gefordert. In der Schule müssen aber die Weichen gestellt werden. Der Staat hat die Pflicht,
das Bildungsminimum zu garantieren, und zwar schon ab der Kita! Wir wollen den Berliner
Senat in die Pflicht nehmen, diese Ungerechtigkeit jetzt zu beenden und legen dazu mit
diesem Antrag und daraus abgeleiteten Initiativen im Parlament ein machbares Konzept vor,
das von den Schulen angenommen und umgesetzt werden sollte.
Dass ein Bildungsfundament bislang nicht für alle garantiert wird, ist der zentrale Punkt
der Bildungsungerechtigkeit in Deutschland und besonders in Berlin.
Wer Bildungsgerechtigkeit will, muss dieses Bildungsminimum sichern. Hierzu gehört in der
Sekundarstufe I das Erreichen der Mindeststandards in den Basiskompetenzen (Deutsch,
Mathematik, erste Fremdsprache / Erstsprache und Naturwissenschaften). Es gehören dazu aber
auch personale und soziale Kompetenzen. Das sind Lernmotivation, Selbstregulation und
Zuverlässigkeit, die zu einer eigenständigen Lebensführung befähigen und auch zur
Ausbildungsfähigkeit gehören.
Um nicht weitere Generationen zu verlieren, wollen wir nicht warten, bis die notwendigen
Veränderungen in den Kitas und Grundschulen, die jetzt in Angriff genommen werden (z.B. das
Startchancenprogramm) wirksam werden, sondern fordern sofortige Veränderungen in den Schulen
der Sekundarstufe I, um in den letzten vier Schuljahren wenigstens das genannte
Bildungsminimum zu sichern.
Die Betonung der Sicherung eines Bildungsminimums für alle bedeutet aber nicht, dass sich
Schulen damit zufriedengeben oder Schüler:innen auf diesen Status festlegen sollen. Alle
folgenden Maßnahmen haben vielmehr das Ziel, den Kindern und Jugendlichen eine
gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Daher ist trotz aller
Herausforderungen der Tendenz entgegenzutreten, bei Problemen die Anforderungen an die
Kinder abzusenken. Wir wollen allen Kindern und Jugendlichen etwas zutrauen. Wir wollen
gemeinsam mit den Akteuren vor Ort nach Wegen suchen, die es ermöglichen, die mit
Leistungsfähigkeit verbundene Lernfreude zu fördern. Dafür ist es unerlässlich, dass
Lehrpersonen und anderes pädagogisches Personal die Kompetenzstandards kennen und sich
gemeinsam daran orientieren.Wir sind davon überzeugt, dass es immer auch um ein Lernen mit
allen Sinnen, um ein Lernen mit Herz und Verstand, mit Bewegung und mit kulturell-musisch-
künstlerischen Alternativen zu Sprache als Ausdrucksmöglichkeiten geht.
Maßnahmen, um in der SEK I ein Bildungsfundament zu sichern:
Folgende Umsetzungsschritte sollen auf allen Ebenen von der Bildungsverwaltung bis zu den
Schulen angewandt werden:
- Zu Beginn der Sekundarstufe I wird – wie vorgesehen - die Lernausgangslage aller
Schüler:innen erfasst, um so gezielt und systematisch die Förderung insbesondere der
Jugendlichen mit erkennbaren Kompetenzrückstünden vornehmen zu können. Eine weitere
Feststellung sollte nach zwei Jahren erfolgen, um Lernfortschritte zu erkennen und
weitere Förderungen einzuleiten. Für die regelmäßige Diagnostik sind online-tools
vorhanden, die leicht anzuwenden und auszuwerten sind.
- Die für diese Jugendlichen spezifischen Förderangebote können sowohl im regulären
Unterricht als auch additiv (zum Beispiel im Rahmen des schulischen Ganztags) gemacht
werden. Die Förderprogramme müssen auch die personalen und sozialen Kompetenzen sowie
die Fähigkeit zur Selbstregulierung beinhalten. Dafür sollen auch geeignete
Trainingsprogramme angewandt werden. Für eine differenzierte Förderung können auch KI-
generierte Tools verwendet werden, für die es mittlerweile ein breites Angebot gibt.
Hierfür müssen die Schulen der Sekundarstufe I ertüchtigt und gezielt ausgestattet
sein. Dazu gehören auch entsprechende Fortbildungsangebote für die Lehrkräfte.
- Die Jugendlichen mit erkennbaren Kompetenzrückständen brauchen auch mehr Lernzeit,
z.B. durch Programme in den Schulferien oder auch durch äußere Differenzierung. In den
Abschlussjahren kann auch eine verstärkte Förderung der Basiskompetenzen (und der
Verzicht auf Unterricht in anderen Fächern) notwendig werden. Die dafür notwendigen
curricularen Vorgaben müssen von der Bildungsverwaltung erarbeitet werden.
Notwendige inhaltliche und organisatorische Schwerpunktsetzungen in den Schulen der
Sekundarstufe I:
- Duales Lernen in der Sek I: Um den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen nach
erlebbaren Erfolgen und angemessener Verantwortungsübernahme zu entsprechen, sollen künftig
in der Sekundarstufe I schon ab der 7. Klasse auch Formen des „dualen Lernens“, in denen
sich theoretisches und praktisches Lernen abwechseln, stärker als bisher an allen Schulen
der SEK I zum Einsatz kommen. Von diesem Wechsel zwischen Wissenserwerb, Reflexion und
praktischer Anwendung können die Jugendlichen mit erkennbaren Kompetenzrückständen besonders
profitieren. Voraussetzung dafür ist, dass die praktischen Tätigkeiten auch kognitiv
herausfordernd und gut mit dem schulischen Unterricht verzahnt sind. In diesem Zusammenhang
müssen bereits bestehende Formen der dualen Bildung (Produktives Lernen, Praxisklassen etc.)
evaluiert werden und wenn nötig in veränderter und verstärkter Form zum Einsatz kommen.
- Berufsorientierung: Für gelingende Übergänge in die Ausbildung ist eine bessere Be-
rufsorientierung notwendig. Zur Berufsorientierung gehören nicht nur Informationen über
Berufe und ihre Anforderungen, sondern auch die bessere Abstimmung der individuellen
Fähigkeiten und Interessen auf die Anforderungen in potenziellen Berufsfeldern. Dazu gehört
auch die Zusammenarbeit mit Arbeitgebern, damit z.B. auch Praktika angeboten werden können.
Die Berufsorientierung ist auch Aufgabe aller Fächer. So sollte zum Beispiel der
Deutschunterricht auf die sprachlichen Anforderungen in der Ausbildung eingehen,
Gebrauchstexte und Tabellen einbeziehen und die mündliche Kommunikation stärken. Schulen sollen weiterhin duale Lernformen (Produktives Lernen, Praxislernklassen), die Theorie und Praxis verbinden, anbieten können. Die Berufsorientierung muss an alle Fächer gekoppelt und praxisnah gestaltet werden. Zukünfitig ist die Berufsorientierung in engerer Zusammenarbeit mit der Jugendberufsagentur verpflichtend an allen weiterführenden Schulformen anzubieten.
- Anwendungsorientierung in der Schule: Über die Berufsorientierung hinaus muss vor
allem in den Fächern Deutsch und Mathematik erheblich mehr an die Lebenswelt der
Jugendlichen angeknüpft werden. Ein Schreiben der Ausländerbehörde, die jährliche
Heizkostenabrechnung, Fanpost oder ein Bußgeldbescheid u. ä. sollten neben literarisch
hochwertigen Texten Lernanlässe im Unterricht sein. Je stärker Schreib- und
Sprechanlässe mit Anliegen der Jugendlichen verbunden werden, umso mehr erhalten sie
einen „Gebrauchswert“ im Alltag. Wenn es gelingt, diese mit gemeinsamen Auftritten,
wie zB Theater, zu verbinden, kann die nachhaltige Wirkung umso größer sein und
Selbstwirksamkeit stärken. Die bestehenden Rahmenpläne sind entsprechend anzupassen.
- Nutzung des Ganztags: Die Möglichkeiten des schulischen Ganztags müssen deutlich
besser als bisher auch zur Förderung der Basiskompetenzen sowie der sozialen und
personalen Kompetenzen genutzt werden. Dafür muss der Ganztag als Einheit konzipiert
werden, was eine intensive Abstimmung zwischen Unterricht und außerunterrichtlichen
Angeboten sowie ergänzenden Fördermaßnahmen erfordert. Dazu braucht es beim
multiprofessionellen Personal der Schule eine verbindliche Kooperation und die
Verständigung auf gleiche Ziele und Fördermaßnahmen hinsichtlich des Lernerfolgs. Im
Verbund von Unterricht und Ganztag muss Schule insbesondere für die Jugendlichen mit
erkennbaren Kompetenzrückständen das bieten, was anderen in ihrem familiären Umfeld
ermöglicht wird. Dazu braucht es eine Gesamtverantwortung der Schulleitung für den
ganzen Tag.
- Einbeziehung des sozialen Umfelds, Zusammenarbeit mit dem Jugendbereich: Neben den
Möglichkeiten, die der Ganztag der Schule zur emotionalen und sozialen Stabilisierung
der Kinder und Jugendlichen bietet, ist es vor allem für Kinder und Jugendlichen aus
schwierigen Lebensverhältnissen, unabdingbar, ein soziales Netz zu schaffen, das
Lernmotivation unterstützt und Auffangmöglichkeiten in Gefährdungssituationen schafft.
Dafür müssen z.B. Jugendfreizeitheime und Streetworker, aber auch Sportvereine oder
Kultureinrichtungen für die gemeinsamen Ziele gewonnen werden, damit die Kinder und
Jugendlichen die Chancen der für sie angepassten unterrichtlichen Situation besser
nutzen können. Auf diese Weise könnte die Schule vieles von dem, was sie bisher
voraussetzt, durch andere bewirken lassen und soziale Benachteiligung weiter
ausgleichen. Die bestehenden Vereinbarungen und Strukturen sind darauf zu überprüfen,
ob sie dem Ziel ein stabiles Bildungsfundament zu legen, genügend verpflichtet sind.
- Diagnostik auch beim Eintritt in den Übergangssektor: Wie zu Beginn der Sekundar-
stufe I ist auch beim Eintritt in den Übergangssektor eine aussagekräftige, auf gezielte
Förderung gerichtete Diagnostik für die Jugendlichen erforderlich, die nicht sofort eine
betriebliche Ausbildung beginnen. Zudem müssen ausbildungsbegleitende Hilfen gerade für
Klein- und Kleinstbetriebe unbürokratisch ermöglicht werden. Die geplante Verlängerung der
Schulzeit auf elf Jahre wird dann zum Erfolg, wenn die Angebote auf die Bedarfe und
Bedürfnisse dieser Jugendlichen ausgerichtet werden. Es darf kein „Vom Gleichen, nur mehr“
sein. Unser Ziel ist: „Kein Abschluss ohne Anschluss“.
- Aussagekräftige Abschlüsse: Es bedarf einer Überprüfung der bisherigen Zertifizie-
rungen in der Schule (vor allem bei Übergängen und Abschlüssen). Insgesamt sollten die
Zeugnisse breiter angelegt werden und neben kognitiven Leistungsständen auch personale und
soziale Fähigkeiten wie Selbstregulation und -organisation, Ausdauer, Zuverlässigkeit,
Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein berücksichtigen. Denn
hier geht es auch um die Attestierung der „Ausbildungsreife“. In diesem Zusammenhang gehören
auch die bisherigen Abschlüsse der Sekundarstufe I auf den Prüfstand. Hierzu sollte eine
multiprofessionelle Expertengruppe eingesetzt werden, um entsprechende Vorschläge zu
erarbeiten.
Zusammengefasst:
Gerade auch für Jugendliche aus schwierigen Lebensverhältnissen und mit erkennbaren
Kompetenzrückständen müssen Lernerfolg und schulische Leistung in einen positiven Kontext
gestellt werden, verbunden mit einem lernfreundlichen Klima.
Für alle Jugendlichen muss ein Bildungsfundament zur Lebensbewältigung garantiert werden.
Unterstützer*innen
- Klara Schedlich (LV Grüne Jugend Berlin)
- Daniel Eliasson (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf)
- Christoph Wapler (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Louis Krüger (KV Berlin-Pankow)
- Jan Schönrock (KV Berlin-Kreisfrei)
- Meike Paula Berg (KV Berlin-Neukölln)
- Manuel Honisch (KV Berlin-Kreisfrei)
- Kübra Beydas (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
- Johannes Mihram (KV Berlin-Mitte)
- Christoph Lorenz (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf)