Antrag: | Prävention stärken, Konsument*innen entkriminalisieren - für eine zukunftsgerichtete und menschenzentrierte Drogenpolitik in Berlin |
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Antragsteller*in: | Vasili Franco (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg) |
Status: | Geprüft |
Verfahrensvorschlag: | Übernahme |
Eingereicht: | 19.11.2024, 13:41 |
V-18-125: Prävention stärken, Konsument*innen entkriminalisieren - für eine zukunftsgerichtete und menschenzentrierte Drogenpolitik in Berlin
Antragstext
Von Zeile 124 bis 125:
gewährleisten. Berlin sollte die rechtliche Machbarkeit einer breiten Take-Home-Naloxonvergabe oder Rezeptausstellung auf Landesebene prüfen[Leerzeichen]sowie das geplante Naloxon-Projekt, für das seit mehreren Jahren Mittel im Haushalt eingestellt sind, endlich umsetzen.[Leerzeichen]
Bündnis 90/Die Grünen Berlin setzt sich für eine moderne, wissenschaftsbasierte
Drogenpolitik ein, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und speziell auf die
Herausforderungen in Berlin eingeht. Repressive Maßnahmen führen zu einer Verschärfung der
Problematik und verhindern den Zugang zu Hilfe und Unterstützung, insbesondere in bekannten
Problemzonen wie dem Görlitzer Park, dem Kottbusser Tor, dem Leopoldplatz und dem
Stuttgarter Platz.
Wir streben daher eine Politik an, die auf Gesundheitsförderung, Schadensminimierung (“harm
reduction”) und Entkriminalisierung statt auf Repression setzt. Dies bedeutet, präventive,
therapeutische und niedrigschwellige Hilfsangebote gezielt zu stärken. Unser Ziel ist es,
die Stigmatisierung von drogenkonsumierenden Menschen abzubauen und den Zugang zu
Hilfsangeboten zu erleichtern, um so gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und die
Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
1. Hilfe statt Strafe - Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von Konsument*innen
Drogenkonsum ist in Berlin gesellschaftliche Realität, und die Kriminalisierung von
Konsument*innen richtet großen Schaden an, ohne dass sie einen erkennbaren Nutzen für die
Gesellschaft hat.
Sie führt zu einer schädlichen Stigmatisierung von Drogenkonsument*innen, erschwert den
Zugang zu Hilfsangeboten, behindert die Resozialisierung und erhöht die durch Drogen
verursachten gesundheitlichen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Schäden.
Beschaffungskriminalität, organisierte Kriminalität, hochgefährliche Beimengungen und
überdosierte Präparate auf dem Schwarzmarkt sind nur einige der Gefahren, die vornehmlich
durch die Prohibition und nicht durch Substanzen selbst herbeigeführt werden. Die durch die
Kriminalisierung beabsichtigte generalpräventive Wirkung konnte bis heute nicht hinreichend
wissenschaftlich belegt werden. Der Konsum illegaler Drogen in Berlin hat in den vergangenen
Jahren und Jahrzehnten massiv zugenommen, während er bei den legalen Drogen Alkohol und
Tabak durch Aufklärung, Prävention und eine erhöhte Besteuerung effektiv reduziert werden
konnte.
Nach vielen Jahrzehnten der Prohibition muss anerkannt werden, dass sie grundsätzlich
gescheitert und der bestehende Trend nicht durch repressive Maßnahmen bzw. eine “Law and
Order”-Politik umkehrbar ist. Die Versprechen, mit denen konservative Politiker*innen ihr
schadhaftes Vorgehen gegen Konsument*innen rechtfertigen, konnten nie eingelöst werden.
Wir fordern aktive Maßnahmen des Landes Berlin zur Entkriminalisierung konsumnaher Delikte
und setzen uns für eine Öffentlichkeitsarbeit zur Entstigmatisierung drogenkonsumierender
Menschen ein. Initiativen zur Sensibilisierung und Aufklärung können dabei helfen,
gesellschaftliche Vorurteile abzubauen.
Ein Kernelement dieser Maßnahmen muss aus unserer Sicht sein, dass der Berliner Senat mit
einer Allgemeinen Verfügung dafür Sorge trägt, dass bei konsumnahen Betäubungsmitteldelikten
im Rahmen der aktuellen rechtlichen Möglichkeiten nach §31a Betäubungsmittelgesetz (BtMG),
§37 BtMG und §153a Strafprozessordnung (StPO) von der Strafverfolgung in der Regel abgesehen
wird - insbesondere sind für alle gängigen Betäubungsmittel “Geringe Mengen” nach §31a BtMG
festzulegen. Deren Höhe ist so auszurichten, dass reine Konsument*innen in aller Regel nicht
von Strafverfolgung betroffen sind.
Vorbild hierfür kann die am 26.03.2015 vom Berliner Senat erlassene Allgemeine Verfügung zur
Umsetzung des §31a BtMG in Bezug auf Cannabisdelikte sein. Der aktuelle bundesrechtliche
Rahmen bietet ausreichende Möglichkeiten, bei der Entkriminalisierung auch dem höheren
Risiko anderer Substanzen Rechnung zu tragen und den Fokus auf Beratungs- und
Suchthilfeangebote zu legen, bspw. durch das Absehen von der Strafverfolgung unter
(Therapie-)Auflagen (§153a StPO) - Hilfe statt Strafe, wie es bspw. in Portugal mit dem sog.
“Portugiesischen Modell” seit 2001 erfolgreich praktiziert wird, soll Leitmotiv der Berliner
Drogenpolitik werden.
Die Regulierung und der staatliche Umgang mit Drogen muss sich fakten- und
wissenschaftsbasiert an dem individuellen Risikoprofil und den gesellschaftlichen
Auswirkungen des Konsums der verschiedenen Substanzen orientieren.
Mittel und Ressourcen, die bisher für repressive Maßnahmen und die sinnlose, teure
Inhaftierung zumeist mittelloser oder psychisch kranker Konsument*innen aufgewendet wurden,
sollen künftig in Prävention und Suchthilfe investiert werden. Die Umschichtung von Mitteln
kann durch mehr Aufklärung, Entstigmatisierung und den Ausbau niedrigschwelliger
Beratungsangebote (bspw. Drug-Checking) problematischen Konsummustern besser vorbeugen.
Suchtkranken Menschen können durch mehr Angebote künftig bessere Perspektiven für den
Ausstieg aus der Sucht oder alternativ besserer Zugang zu Substitutionstherapien eröffnet
werden, die ein normales und in die Gesellschaft integriertes Leben ermöglichen.
Berlin soll sich an Modellprojekten zur Abgabe von Cannabis beteiligen und außerdem
wissenschaftliche Modellprojekte zur niedrigschwelligen Abgabe auch anderer Substanzen
prüfen, um den gefährlichen Schwarzmarkt einzudämmen.
2. Entwicklung einer Berliner Sucht- und Drogenstrategie
Die Berliner Drogenpolitik braucht eine umfassende und integrierte Strategie, die
Prävention, Therapie und Schadensminimierung vereint. Diese Strategie muss auf den aktuellen
Herausforderungen und Bedarfen der Stadt basieren und klare Ziele und Maßnahmen zur
Reduktion drogenbedingter Gesundheitsrisiken festlegen. Funktionierende, bestehende
Initiativen wie mobile Beratungseinheiten und Modellprojekte zum Drug-Checking sollten in
diese Strategie integriert und ausgebaut werden.
Die Rolle der Strafverfolgungsbehörden soll sich dabei in erster Linie auf die Verfolgung
der organisierten Kriminalität beschränken. Ein Austausch zwischen Suchthilfe und den
Sicherheitsbehörden muss sichergestellt werden, um gemeinsam auf neue Herausforderungen und
Risiken reagieren zu können; etwa, wenn besonders gefährliche neue psychoaktive Substanzen
in Verkehr gebracht werden.
Suchtmittelabhängige Menschen haben einen Anspruch auf Behandlung, der niedrigschwellig
eingelöst werden können muss.
3. Stärkung und bürokratische Entlastung niedrigschwelliger Hilfsangebote
Vermeintlich niedrigschwellige Hilfsangebote in Berlin wie Drogenkonsumräume und Drug-
Checking-Programme werden unter anderem durch umfangreiche bürokratische Anforderungen
erschwert zugänglich gemacht und erreichen viele Konsument*innen derzeit nicht. Eine der
Zugangsvoraussetzungen für Drogenkonsumräume ist das Ausfüllen des deutschen Kerndatensatzes
zur Dokumentation im Bereich der Suchthilfe (KdS), der zeitintensive und detaillierte
Angaben erfordert. Dies stellt für drogenkonsumierende Menschen eine erhebliche Hürde dar,
da sie sich als Konsumierende registrieren und umfangreiche, sensible persönliche Daten
preisgeben müssen. Angesichts der bestehenden Stigmatisierung und Repression ist dieser
Prozess unangemessen und schreckt viele Betroffene davon ab, die dringend benötigten
Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.
Diese Hürden müssen abgebaut werden, um den Zugang zu erleichtern und die Effizienz zu
steigern. Wir fordern daher einen leichteren Zugang zu bereits bestehenden Hilfsangeboten,
die Erhebung eines vollständigen KdS soll künftig für niedrigschwellige Hilfsangebote
künftig keine Anforderung mehr sein, maximal nur noch stichprobenartig erfolgen und keine
Zugangsvoraussetzung für Konsument*innen sein.
Weiterhin fordern wir die Einführung besonders niedrigschwelliger Express-Drogenkonsumräume
und den verstärkten Einsatz mobiler Beratungseinheiten in Berliner Problemzonen wie am
Leopoldplatz verstärkt eingesetzt werden, um den Konsum aus dem öffentlichen Raum zu
verlagern und Menschen vor Ort schnelle Hilfe zu bieten. Insbesondere die neuen
Herausforderungen durch die zunehmende Verbreitung von Crack in Berlin müssen bei der
Ausgestaltung der Drogenkonsumräume in Berlin berücksichtigt werden.
Betreiber von Drogenkonsumräumen sollen vom Land Berlin in die Lage versetzt werden, längere
Öffnungszeiten und auch Drug-Checking anbieten zu können.
Substitutionstherapien sollen künftig deutlich niedrigschwelliger zugänglich sein, auch für
Patienten ohne Krankenversicherung.
4. Verbesserte Verfügbarkeit von Drug-Checking und Überführung in ein Regelangebot
Drug-Checking ist eine zentrale Maßnahme zur Schadensminimierung, die den sicheren Konsum
fördert und potenzielle Gesundheitsrisiken reduziert. In Berlin wird das seit 2023
bestehende Angebot sehr gut angenommen, aufgrund mangelnder Ressourcen kommt es dort jedoch
zu langen Wartezeiten, die eine zusätzliche Schwelle zur Nutzung des Angebots darstellen.
Wir setzen uns daher für die Ausweitung bestehender Berliner Modellprojekte ein und fordern
deren Überführung in ein Regelangebot. Neben der Erhöhung der Kapazitäten, die derzeit vor
allem von Freizeitkonsument*innen genutzt werden, sollte das Monitoring auch verstärkt auf
Substanzen der harten Drogenszene ausgeweitet werden. Besonders wichtig ist hierbei ein
gezieltes Monitoring von Fentanyl, um die Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen und bei
Veränderungen in der Konsumlage rasch reagieren zu können. Der systematische Einsatz von
Schnelltests spielt dabei eine entscheidende Rolle. Diese Tests zur Analyse von Substanzen
müssen flächendeckend und niedrigschwellig angeboten werden, um eine wirksame
Schadensminimierung für alle Zielgruppen sicherzustellen.
5. Stärkung der Hilfe bei opioidbedingten Drogennotfällen
Die Bereitstellung von Naloxon, einem Notfallmedikament bei Opioid-Überdosierungen, ist
essenziell für Berlin. Wir fordern die Aufhebung der Verschreibungspflicht, die Fortführung
bzw. Ausweitung von Take-Home-Naloxon-Programmen und die Vorhaltung von Naloxon in
Notdienst-Apotheken, um eine bessere Verfügbarkeit und eine schnelle Einsatzmöglichkeit zu
gewährleisten. Berlin sollte die rechtliche Machbarkeit einer breiten Take-Home-
Naloxonvergabe oder Rezeptausstellung auf Landesebene prüfen sowie das geplante Naloxon-Projekt, für das seit mehreren Jahren Mittel im Haushalt eingestellt sind, endlich umsetzen.
Zudem soll ein lokales Warnsystem etabliert werden, das vor gefährlichen Beimengungen und
hohen Konzentrationen warnt (bspw. durch Aushänge an Brennpunkten, Smartphone-Apps, und
Infoscreens in Drogenkonsumräumen). Ferner muss sichergestellt werden, dass Schnelltests für
synthetische Opioide unkompliziert verfügbar sind.
Die Alarmierung von Rettungskräften bei Drogennotfällen darf nicht in eine Strafverfolgung
von Konsument*innen aufgrund des Besitzes von Betäubungsmitteln münden.
6. Umgestaltung des öffentlichen Raums im Sinne der Integration
Der öffentliche Raum in Berlin sollte integrativ gestaltet sein und die Bedürfnisse von
drogenkonsumierenden Personen und Wohnungslosen berücksichtigen. Maßnahmen gegen die
Verdrängung, wie sie etwa am Hermannplatz und in Neukölln beobachtet wurden, sind
kontraproduktiv und führen lediglich zu einer Verlagerung der Problematik in die umliegenden
Kieze.
Stattdessen sollen geschützte und integrierte Bereiche geschaffen werden, die einen sicheren
und würdevollen Konsum ermöglichen. Der Ausbau aufsuchender Sozialarbeit und Prävention im
öffentlichen Raum wird helfen, die Situation langfristig zu verbessern; in jedem Bezirk kann
eine Drogenszene entstehen. Die Gestaltung im Sinne eines Ausgleichs sollte auch im Zuge von
klimabedingten Umstrukturierungsmaßnahmen berücksichtigt werden, die kurz- bis mittelfristig
ohnehin anstehen.
7. Förderung der sektorübergreifenden Zusammenarbeit
Bislang arbeiten verschiedene Akteure in versäulten Strukturen an landesweiten Problemen
nebeneinander. Dies wird der komplexen Situation vor Ort nicht gerecht. Eine effektive
Drogenpolitik erfordert eine enge Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren aus
Präventions- und Suchthilfe, Polizei, Ordnungsamt sowie den übrigen bezirklichen Beteiligten
in Berlin. Modelle zur aktiven Einbeziehung von Betroffenen sollten entwickelt und umgesetzt
werden.
Wir fordern neben der verstärkten sektorenübergreifenden Zusammenarbeit den Aufbau eines
verbesserten Datenaustauschs zwischen Polizei, Suchthilfe und anderen relevanten
Einrichtungen und die verstärkte Förderung und Einbeziehung wissenschaftlicher Studien zu
Problemlösungsstrategien. Insbesondere sollten anonymisierte Daten aus der Suchthilfe
integriert werden, um ein umfassenderes Lagebild zu erstellen, das Maßnahmen besser steuern
kann. Die Berliner Problemzonen könnten durch eine bessere Koordination effektiver
adressiert werden.
Unterstützer*innen
- Catherina Pieroth-Manelli (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)
- Clara Herrmann (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
- Marlene Pacheco (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
- Claudia Leistner (KV Berlin-Treptow/Köpenick)
- Silvia Rothmund (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
Von Zeile 124 bis 125:
gewährleisten. Berlin sollte die rechtliche Machbarkeit einer breiten Take-Home-Naloxonvergabe oder Rezeptausstellung auf Landesebene prüfen[Leerzeichen]sowie das geplante Naloxon-Projekt, für das seit mehreren Jahren Mittel im Haushalt eingestellt sind, endlich umsetzen.[Leerzeichen]
Bündnis 90/Die Grünen Berlin setzt sich für eine moderne, wissenschaftsbasierte
Drogenpolitik ein, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und speziell auf die
Herausforderungen in Berlin eingeht. Repressive Maßnahmen führen zu einer Verschärfung der
Problematik und verhindern den Zugang zu Hilfe und Unterstützung, insbesondere in bekannten
Problemzonen wie dem Görlitzer Park, dem Kottbusser Tor, dem Leopoldplatz und dem
Stuttgarter Platz.
Wir streben daher eine Politik an, die auf Gesundheitsförderung, Schadensminimierung (“harm
reduction”) und Entkriminalisierung statt auf Repression setzt. Dies bedeutet, präventive,
therapeutische und niedrigschwellige Hilfsangebote gezielt zu stärken. Unser Ziel ist es,
die Stigmatisierung von drogenkonsumierenden Menschen abzubauen und den Zugang zu
Hilfsangeboten zu erleichtern, um so gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und die
Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
1. Hilfe statt Strafe - Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von Konsument*innen
Drogenkonsum ist in Berlin gesellschaftliche Realität, und die Kriminalisierung von
Konsument*innen richtet großen Schaden an, ohne dass sie einen erkennbaren Nutzen für die
Gesellschaft hat.
Sie führt zu einer schädlichen Stigmatisierung von Drogenkonsument*innen, erschwert den
Zugang zu Hilfsangeboten, behindert die Resozialisierung und erhöht die durch Drogen
verursachten gesundheitlichen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Schäden.
Beschaffungskriminalität, organisierte Kriminalität, hochgefährliche Beimengungen und
überdosierte Präparate auf dem Schwarzmarkt sind nur einige der Gefahren, die vornehmlich
durch die Prohibition und nicht durch Substanzen selbst herbeigeführt werden. Die durch die
Kriminalisierung beabsichtigte generalpräventive Wirkung konnte bis heute nicht hinreichend
wissenschaftlich belegt werden. Der Konsum illegaler Drogen in Berlin hat in den vergangenen
Jahren und Jahrzehnten massiv zugenommen, während er bei den legalen Drogen Alkohol und
Tabak durch Aufklärung, Prävention und eine erhöhte Besteuerung effektiv reduziert werden
konnte.
Nach vielen Jahrzehnten der Prohibition muss anerkannt werden, dass sie grundsätzlich
gescheitert und der bestehende Trend nicht durch repressive Maßnahmen bzw. eine “Law and
Order”-Politik umkehrbar ist. Die Versprechen, mit denen konservative Politiker*innen ihr
schadhaftes Vorgehen gegen Konsument*innen rechtfertigen, konnten nie eingelöst werden.
Wir fordern aktive Maßnahmen des Landes Berlin zur Entkriminalisierung konsumnaher Delikte
und setzen uns für eine Öffentlichkeitsarbeit zur Entstigmatisierung drogenkonsumierender
Menschen ein. Initiativen zur Sensibilisierung und Aufklärung können dabei helfen,
gesellschaftliche Vorurteile abzubauen.
Ein Kernelement dieser Maßnahmen muss aus unserer Sicht sein, dass der Berliner Senat mit
einer Allgemeinen Verfügung dafür Sorge trägt, dass bei konsumnahen Betäubungsmitteldelikten
im Rahmen der aktuellen rechtlichen Möglichkeiten nach §31a Betäubungsmittelgesetz (BtMG),
§37 BtMG und §153a Strafprozessordnung (StPO) von der Strafverfolgung in der Regel abgesehen
wird - insbesondere sind für alle gängigen Betäubungsmittel “Geringe Mengen” nach §31a BtMG
festzulegen. Deren Höhe ist so auszurichten, dass reine Konsument*innen in aller Regel nicht
von Strafverfolgung betroffen sind.
Vorbild hierfür kann die am 26.03.2015 vom Berliner Senat erlassene Allgemeine Verfügung zur
Umsetzung des §31a BtMG in Bezug auf Cannabisdelikte sein. Der aktuelle bundesrechtliche
Rahmen bietet ausreichende Möglichkeiten, bei der Entkriminalisierung auch dem höheren
Risiko anderer Substanzen Rechnung zu tragen und den Fokus auf Beratungs- und
Suchthilfeangebote zu legen, bspw. durch das Absehen von der Strafverfolgung unter
(Therapie-)Auflagen (§153a StPO) - Hilfe statt Strafe, wie es bspw. in Portugal mit dem sog.
“Portugiesischen Modell” seit 2001 erfolgreich praktiziert wird, soll Leitmotiv der Berliner
Drogenpolitik werden.
Die Regulierung und der staatliche Umgang mit Drogen muss sich fakten- und
wissenschaftsbasiert an dem individuellen Risikoprofil und den gesellschaftlichen
Auswirkungen des Konsums der verschiedenen Substanzen orientieren.
Mittel und Ressourcen, die bisher für repressive Maßnahmen und die sinnlose, teure
Inhaftierung zumeist mittelloser oder psychisch kranker Konsument*innen aufgewendet wurden,
sollen künftig in Prävention und Suchthilfe investiert werden. Die Umschichtung von Mitteln
kann durch mehr Aufklärung, Entstigmatisierung und den Ausbau niedrigschwelliger
Beratungsangebote (bspw. Drug-Checking) problematischen Konsummustern besser vorbeugen.
Suchtkranken Menschen können durch mehr Angebote künftig bessere Perspektiven für den
Ausstieg aus der Sucht oder alternativ besserer Zugang zu Substitutionstherapien eröffnet
werden, die ein normales und in die Gesellschaft integriertes Leben ermöglichen.
Berlin soll sich an Modellprojekten zur Abgabe von Cannabis beteiligen und außerdem
wissenschaftliche Modellprojekte zur niedrigschwelligen Abgabe auch anderer Substanzen
prüfen, um den gefährlichen Schwarzmarkt einzudämmen.
2. Entwicklung einer Berliner Sucht- und Drogenstrategie
Die Berliner Drogenpolitik braucht eine umfassende und integrierte Strategie, die
Prävention, Therapie und Schadensminimierung vereint. Diese Strategie muss auf den aktuellen
Herausforderungen und Bedarfen der Stadt basieren und klare Ziele und Maßnahmen zur
Reduktion drogenbedingter Gesundheitsrisiken festlegen. Funktionierende, bestehende
Initiativen wie mobile Beratungseinheiten und Modellprojekte zum Drug-Checking sollten in
diese Strategie integriert und ausgebaut werden.
Die Rolle der Strafverfolgungsbehörden soll sich dabei in erster Linie auf die Verfolgung
der organisierten Kriminalität beschränken. Ein Austausch zwischen Suchthilfe und den
Sicherheitsbehörden muss sichergestellt werden, um gemeinsam auf neue Herausforderungen und
Risiken reagieren zu können; etwa, wenn besonders gefährliche neue psychoaktive Substanzen
in Verkehr gebracht werden.
Suchtmittelabhängige Menschen haben einen Anspruch auf Behandlung, der niedrigschwellig
eingelöst werden können muss.
3. Stärkung und bürokratische Entlastung niedrigschwelliger Hilfsangebote
Vermeintlich niedrigschwellige Hilfsangebote in Berlin wie Drogenkonsumräume und Drug-
Checking-Programme werden unter anderem durch umfangreiche bürokratische Anforderungen
erschwert zugänglich gemacht und erreichen viele Konsument*innen derzeit nicht. Eine der
Zugangsvoraussetzungen für Drogenkonsumräume ist das Ausfüllen des deutschen Kerndatensatzes
zur Dokumentation im Bereich der Suchthilfe (KdS), der zeitintensive und detaillierte
Angaben erfordert. Dies stellt für drogenkonsumierende Menschen eine erhebliche Hürde dar,
da sie sich als Konsumierende registrieren und umfangreiche, sensible persönliche Daten
preisgeben müssen. Angesichts der bestehenden Stigmatisierung und Repression ist dieser
Prozess unangemessen und schreckt viele Betroffene davon ab, die dringend benötigten
Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.
Diese Hürden müssen abgebaut werden, um den Zugang zu erleichtern und die Effizienz zu
steigern. Wir fordern daher einen leichteren Zugang zu bereits bestehenden Hilfsangeboten,
die Erhebung eines vollständigen KdS soll künftig für niedrigschwellige Hilfsangebote
künftig keine Anforderung mehr sein, maximal nur noch stichprobenartig erfolgen und keine
Zugangsvoraussetzung für Konsument*innen sein.
Weiterhin fordern wir die Einführung besonders niedrigschwelliger Express-Drogenkonsumräume
und den verstärkten Einsatz mobiler Beratungseinheiten in Berliner Problemzonen wie am
Leopoldplatz verstärkt eingesetzt werden, um den Konsum aus dem öffentlichen Raum zu
verlagern und Menschen vor Ort schnelle Hilfe zu bieten. Insbesondere die neuen
Herausforderungen durch die zunehmende Verbreitung von Crack in Berlin müssen bei der
Ausgestaltung der Drogenkonsumräume in Berlin berücksichtigt werden.
Betreiber von Drogenkonsumräumen sollen vom Land Berlin in die Lage versetzt werden, längere
Öffnungszeiten und auch Drug-Checking anbieten zu können.
Substitutionstherapien sollen künftig deutlich niedrigschwelliger zugänglich sein, auch für
Patienten ohne Krankenversicherung.
4. Verbesserte Verfügbarkeit von Drug-Checking und Überführung in ein Regelangebot
Drug-Checking ist eine zentrale Maßnahme zur Schadensminimierung, die den sicheren Konsum
fördert und potenzielle Gesundheitsrisiken reduziert. In Berlin wird das seit 2023
bestehende Angebot sehr gut angenommen, aufgrund mangelnder Ressourcen kommt es dort jedoch
zu langen Wartezeiten, die eine zusätzliche Schwelle zur Nutzung des Angebots darstellen.
Wir setzen uns daher für die Ausweitung bestehender Berliner Modellprojekte ein und fordern
deren Überführung in ein Regelangebot. Neben der Erhöhung der Kapazitäten, die derzeit vor
allem von Freizeitkonsument*innen genutzt werden, sollte das Monitoring auch verstärkt auf
Substanzen der harten Drogenszene ausgeweitet werden. Besonders wichtig ist hierbei ein
gezieltes Monitoring von Fentanyl, um die Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen und bei
Veränderungen in der Konsumlage rasch reagieren zu können. Der systematische Einsatz von
Schnelltests spielt dabei eine entscheidende Rolle. Diese Tests zur Analyse von Substanzen
müssen flächendeckend und niedrigschwellig angeboten werden, um eine wirksame
Schadensminimierung für alle Zielgruppen sicherzustellen.
5. Stärkung der Hilfe bei opioidbedingten Drogennotfällen
Die Bereitstellung von Naloxon, einem Notfallmedikament bei Opioid-Überdosierungen, ist
essenziell für Berlin. Wir fordern die Aufhebung der Verschreibungspflicht, die Fortführung
bzw. Ausweitung von Take-Home-Naloxon-Programmen und die Vorhaltung von Naloxon in
Notdienst-Apotheken, um eine bessere Verfügbarkeit und eine schnelle Einsatzmöglichkeit zu
gewährleisten. Berlin sollte die rechtliche Machbarkeit einer breiten Take-Home-
Naloxonvergabe oder Rezeptausstellung auf Landesebene prüfen sowie das geplante Naloxon-Projekt, für das seit mehreren Jahren Mittel im Haushalt eingestellt sind, endlich umsetzen.
Zudem soll ein lokales Warnsystem etabliert werden, das vor gefährlichen Beimengungen und
hohen Konzentrationen warnt (bspw. durch Aushänge an Brennpunkten, Smartphone-Apps, und
Infoscreens in Drogenkonsumräumen). Ferner muss sichergestellt werden, dass Schnelltests für
synthetische Opioide unkompliziert verfügbar sind.
Die Alarmierung von Rettungskräften bei Drogennotfällen darf nicht in eine Strafverfolgung
von Konsument*innen aufgrund des Besitzes von Betäubungsmitteln münden.
6. Umgestaltung des öffentlichen Raums im Sinne der Integration
Der öffentliche Raum in Berlin sollte integrativ gestaltet sein und die Bedürfnisse von
drogenkonsumierenden Personen und Wohnungslosen berücksichtigen. Maßnahmen gegen die
Verdrängung, wie sie etwa am Hermannplatz und in Neukölln beobachtet wurden, sind
kontraproduktiv und führen lediglich zu einer Verlagerung der Problematik in die umliegenden
Kieze.
Stattdessen sollen geschützte und integrierte Bereiche geschaffen werden, die einen sicheren
und würdevollen Konsum ermöglichen. Der Ausbau aufsuchender Sozialarbeit und Prävention im
öffentlichen Raum wird helfen, die Situation langfristig zu verbessern; in jedem Bezirk kann
eine Drogenszene entstehen. Die Gestaltung im Sinne eines Ausgleichs sollte auch im Zuge von
klimabedingten Umstrukturierungsmaßnahmen berücksichtigt werden, die kurz- bis mittelfristig
ohnehin anstehen.
7. Förderung der sektorübergreifenden Zusammenarbeit
Bislang arbeiten verschiedene Akteure in versäulten Strukturen an landesweiten Problemen
nebeneinander. Dies wird der komplexen Situation vor Ort nicht gerecht. Eine effektive
Drogenpolitik erfordert eine enge Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren aus
Präventions- und Suchthilfe, Polizei, Ordnungsamt sowie den übrigen bezirklichen Beteiligten
in Berlin. Modelle zur aktiven Einbeziehung von Betroffenen sollten entwickelt und umgesetzt
werden.
Wir fordern neben der verstärkten sektorenübergreifenden Zusammenarbeit den Aufbau eines
verbesserten Datenaustauschs zwischen Polizei, Suchthilfe und anderen relevanten
Einrichtungen und die verstärkte Förderung und Einbeziehung wissenschaftlicher Studien zu
Problemlösungsstrategien. Insbesondere sollten anonymisierte Daten aus der Suchthilfe
integriert werden, um ein umfassenderes Lagebild zu erstellen, das Maßnahmen besser steuern
kann. Die Berliner Problemzonen könnten durch eine bessere Koordination effektiver
adressiert werden.
Unterstützer*innen
- Catherina Pieroth-Manelli (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg)
- Clara Herrmann (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
- Marlene Pacheco (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
- Claudia Leistner (KV Berlin-Treptow/Köpenick)
- Silvia Rothmund (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)