Veranstaltung: | LDK am 30. November 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 9 Verschiedenes |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 30.11.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Prävention stärken, Konsument*innen entkriminalisieren - für eine zukunftsgerichtete und menschenzentrierte Drogenpolitik in Berlin
Beschlusstext
Bündnis 90/Die Grünen Berlin setzt sich für eine moderne, wissenschaftsbasierte
Drogenpolitik ein, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und speziell auf die
Herausforderungen in Berlin eingeht. Der Fokus auf repressive Maßnahmen führt zu einer
Verschärfung der Problematik und verhindert den Zugang zu Hilfe und Unterstützung. Berlin
hat bereits heute eine sehr aktive und professionelle Hilfelandschaft, die jedoch von einer
chronischen Unterfinanzierung betroffen ist, während die Herausforderungen nicht zuletzt
durch die sichtbare Verwahrlosung und Verelendung im öffentlichen Raum zunehmen. Dabei geht
es um weit mehr als nur die öffentlich immer wieder bekannten und benannten Problemzonen wie
dem Görlitzer Park, das Kottbusser Tor, der Leopoldplatz und der Stuttgarter Platz. Es
braucht eine gesamtstädtische Strategie, die Probleme nicht nur von einem Ort an den
nächsten verdrängt.
Wir streben daher eine Politik an, die auf Gesundheitsförderung, Schadensminimierung (“harm
reduction”) und Entkriminalisierung statt auf Repression setzt. Dies bedeutet, präventive,
therapeutische und niedrigschwellige Hilfsangebote gezielt zu stärken. Unser Ziel ist es,
die Stigmatisierung von drogenkonsumierenden Menschen abzubauen und den Zugang zu
Hilfsangeboten zu erleichtern, um so gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und die
Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
1. Hilfe statt Strafe - Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von Konsument*innen
Drogenkonsum ist in Berlin gesellschaftliche Realität, und die Kriminalisierung von
Konsument*innen richtet großen Schaden an, ohne dass sie einen erkennbaren Nutzen für die
Gesellschaft hat.
Sie führt zu einer schädlichen Stigmatisierung von Drogenkonsument*innen, erschwert den
Zugang zu Hilfsangeboten, behindert die Resozialisierung und erhöht die durch Drogen
verursachten gesundheitlichen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Schäden.
Beschaffungskriminalität, organisierte Kriminalität, hochgefährliche Beimengungen und
überdosierte Präparate auf dem Schwarzmarkt sind nur einige der Gefahren, die vornehmlich
durch die Prohibition und nicht durch Substanzen selbst herbeigeführt werden und für die bis
heute keine sicherheitspolitisch wirksamen Gegenstrategien gefunden wurden. Die durch die
Kriminalisierung beabsichtigte generalpräventive Wirkung konnte bis heute nicht hinreichend
wissenschaftlich belegt werden. Der Konsum illegaler Drogen und die Anzahl der Drogentoten
in Berlin haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zugenommen, während sie bei den
legalen Drogen Alkohol und Tabak durch Aufklärung, Prävention und eine erhöhte Besteuerung
effektiv reduziert werden konnten.
Nach vielen Jahrzehnten der Prohibition muss anerkannt werden, dass sie grundsätzlich
gescheitert und der bestehende Trend nicht durch repressive Maßnahmen bzw. eine “Law and
Order”-Politik umkehrbar ist. Die Versprechen, mit denen konservative Politiker*innen ihr
schadhaftes Vorgehen gegen Konsument*innen rechtfertigen, konnten nie eingelöst werden.
Wir fordern aktive Maßnahmen des Landes Berlin zur Entkriminalisierung konsumnaher Delikte
und setzen uns für eine Öffentlichkeitsarbeit zur Entstigmatisierung drogenkonsumierender
Menschen ein. Initiativen zur Sensibilisierung und Aufklärung können dabei helfen,
gesellschaftliche Vorurteile abzubauen.
Ein Kernelement dieser Maßnahmen muss aus unserer Sicht sein, dass der Berliner Senat mit
einer Allgemeinen Verfügung dafür Sorge trägt, dass bei konsumnahen Betäubungsmitteldelikten
im Rahmen der aktuellen rechtlichen Möglichkeiten nach §31a Betäubungsmittelgesetz (BtMG),
§37 BtMG und §153a Strafprozessordnung (StPO) von der Strafverfolgung in der Regel abgesehen
wird - insbesondere sind für alle gängigen Betäubungsmittel “Geringe Mengen” nach §31a BtMG
festzulegen. Deren Höhe ist so auszurichten, dass die Strafverfolgung sich auf die
organisierte Kriminalität und den Handel fokussiert und Verfahren gegen reine
Konsument*innen in aller Regel eingestellt werden.
Vorbild hierfür kann die am 26.03.2015 vom Berliner Senat erlassene Allgemeine Verfügung zur
Umsetzung des §31a BtMG in Bezug auf Cannabisdelikte sein. Der aktuelle bundesrechtliche
Rahmen bietet ausreichende Möglichkeiten, bei der Entkriminalisierung auch dem höheren
Risiko anderer Substanzen Rechnung zu tragen und den Fokus auf Beratungs- und
Suchthilfeangebote zu legen, bspw. durch das Absehen von der Strafverfolgung unter
(Therapie-)Auflagen (§153a StPO) - Hilfe statt Strafe, wie es bspw. in Portugal mit dem sog.
“Portugiesischen Modell” seit 2001 erfolgreich praktiziert wird, soll gemeinsam mit dem
Ansatz der akzeptierenden Drogenpolitik in der Suchthilfe Leitmotiv der Berliner
Drogenpolitik werden.
Die Regulierung und der staatliche Umgang mit Drogen muss sich fakten- und
wissenschaftsbasiert an dem individuellen Risikoprofil und den gesellschaftlichen
Auswirkungen des Konsums der verschiedenen Substanzen orientieren.
Mittel und Ressourcen, die bisher für repressive Maßnahmen und die sinnlose, teure
Inhaftierung zumeist mittelloser oder psychisch kranker Konsument*innen aufgewendet wurden,
sollen künftig in Prävention und Suchthilfe investiert werden (siehe auch Abschnitt 10). Die
Umschichtung von Mitteln kann durch mehr Aufklärung, Entstigmatisierung und den Ausbau
niedrigschwelliger Beratungsangebote (bspw. Drug-Checking) problematischen Konsummustern
besser vorbeugen. Abhängigen Menschen können durch mehr Angebote künftig bessere
Perspektiven für den Ausstieg aus der Abhängigkeit oder alternativ besserer Zugang zu
Substitutionstherapien eröffnet werden, die ein selbstbestimmtes und in die Gesellschaft
integriertes Leben ermöglichen.
Berlin sollte sich an Modellprojekten zur Abgabe von Cannabis beteiligen und außerdem
wissenschaftliche Modellprojekte zur niedrigschwelligen Abgabe auch anderer Substanzen
prüfen, um den gefährlichen Schwarzmarkt einzudämmen.
2. Entwicklung einer Berliner Sucht- und Drogenstrategie
Die Berliner Drogenpolitik braucht eine umfassende und integrierte Strategie, die
Prävention, Therapie und Schadensminderung vereint. Diese Strategie muss auf den aktuellen
Herausforderungen und Bedarfen der Stadt basieren und klare Ziele und Maßnahmen zur
Reduktion drogenbedingter Gesundheitsrisiken festlegen. Dafür bietet die Evaluation einer
Landesstrategie „Drogen & Sucht“ eine gute Grundlage. Funktionierende, bestehende Projekte,
die Handlungsfelder „Drogen und Sucht“ und „Drogenkonsumräume“ sowie mobile
Beratungseinheiten, niedrigschwellige Modellprojekte, das Drug-Checking genauso wie die
Suchtberatungsstellen und Präventionsarbeit in den Bezirken sollen in diese Strategie
integriert und ausgebaut werden.
Die Rolle der Strafverfolgungsbehörden soll sich dabei in erster Linie auf die Verfolgung
der organisierten Kriminalität beschränken. Ein Austausch zwischen Suchthilfe und den
Sicherheitsbehörden muss sichergestellt werden, um gemeinsam auf neue Herausforderungen und
Risiken reagieren zu können; etwa, wenn besonders gefährliche neue psychoaktive Substanzen
in Verkehr gebracht werden.
3. Stärkung von Therapieangeboten
Suchttherapieangebote in Berlin sind zurzeit nicht immer ausreichend und Therapieplätze oft
nicht so kurzfristig verfügbar, wie es erforderlich wäre. § 35 36 BtMG bieten die
Möglichkeit, dass die Vollstreckung von Strafen zugunsten einer Therapie zurückgestellt und
bei erfolgreichem Abschluss erlassen oder zur Bewährung ausgesetzt wird. Dies soll
Straftäter*innen, die ihre Tat aufgrund von Drogenabhängigkeit begangen haben (bspw.
Beschaffungskriminalität), eine Chance auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft bieten
und die Rückfallquote verringern. Damit von dieser Möglichkeit öfter Gebrauch gemacht werden
kann, bedarf es aus unserer Sicht folgender Verbesserungen:
- Es müssen zusätzliche Therapieplätze geschaffen werden, um Wartezeiten zu verkürzen
und dem Bedarf gerecht zu werden.
- Um eine nachhaltige Rehabilitation zu gewährleisten muss die Qualität der bestehenden
Therapieangebote regelmäßig überprüft werden sowie durch regelmäßige Fortbildungen
begleitet werden.
- Die Effektivität von Substitutionstherapien und Suchthilfe wird durch die
Berücksichtigung der individuellen Konsummuster und der spezifischen Auswirkungen der
jeweiligen Substanzen auf den Einzelnen erhöht. Dabei ist es wichtig, differenzierte
Angebote zu entwickeln, die sowohl die Besonderheiten der einzelnen Substanzen als
auch die häufig auftretenden Mischkonsummuster berücksichtigen. Ziel ist es, eine
ganzheitliche und anpassungsfähige Unterstützung zu bieten, die auf die vielfältigen
Bedürfnisse der Betroffenen eingeht.
- Damit den Betroffenen die entsprechenden Therapiemöglichkeiten offenstehen, bedarf es
außerdem mehr Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierungskampagnen, um die Akzeptanz
derartiger Therapieangebote zu erhöhen. Es ist wichtig, die Gesellschaft über die
Vorteile von "Therapie statt Strafe" aufzuklären und die Menschlichkeit der
Betroffenen in den Vordergrund zu stellen.
- Die Vollstreckungs- und Vollzugsbehörden sollten dazu angehalten werden, geeignete
Personen für einen Straferlass nach § 35/36 BtMG proaktiv über Therapieangebote als
Alternative für den Strafvollzug zu informieren.
- Um Rückfälle zu vermeiden, bedarf es außerdem einer angemessenen Nachsorge nach der
Inanspruchnahme einer Therapie, beispielsweise durch Nachsorgezentren, die Förderung
von Selbsthilfegruppen und Peer-Support-Programmen.
4. Stärkung und bürokratische Entlastung niedrigschwelliger Hilfsangebote
Vermeintlich niedrigschwellige Hilfsangebote in Berlin wie Drogenkonsumräume und Drug-
Checking-Programme werden unter anderem durch umfangreiche bürokratische Anforderungen
erschwert zugänglich gemacht und erreichen viele Konsument*innen derzeit nicht. Eine der
Zugangsvoraussetzungen für Drogenkonsumräume ist das Ausfüllen des deutschen Kerndatensatzes
zur Dokumentation im Bereich der Suchthilfe (KdS), der zeitintensive und detaillierte
Angaben erfordert. Dies kann für drogenkonsumierende Menschen eine erhebliche Hürde
darstellen, da sie sich als Konsumierende registrieren und umfangreiche, sensible
persönliche Daten preisgeben müssen.Diese Hürden müssen gerade für den Ausbau
niedrigschwelliger Angebote evaluiert und wo sinnvoll abgebaut werden, um den Zugang zu
erleichtern und die Effizienz zu steigern. Der Zugang zu bereits bestehenden Hilfsangeboten
soll durch eine Überprüfung der Relevanz der KdS-Kriterien erleichtert und bei erweiterten
niedrigschwelligen Hilfsangeboten zukünftig soweit reduziert werden, wie es für die
Behandlung und Evaluation notwendig ist. Denkbar ist auch ein System stichprobenartiger
Erfassung, damit eine vollumfängliche Erfassung der KdS nicht als Zugangsvoraussetzung
faktisch den Zugang begrenzt.
Weiterhin fordern wir den verstärkten Einsatz mobiler Angebote z.B. durch Konsummobile an
stark belasteten Orten an die sich der Konsum im öffentlichen Raum verlagert, um den
Menschen vor Ort schnelle Hilfe zu bieten. Die Berliner „Verordnung über die Erteilung einer
Erlaubnis für den Betrieb von Drogenkonsumräumen“ muss überarbeitet werden, mit dem Ziel den
niedrigschwelligen Zugang für Betroffene zu verbessern. Auch die neuen Herausforderungen
durch die zunehmende Verbreitung von Crack in Berlin müssen dabei berücksichtigt werden,
Forschungsvorhaben zu wirksamen Strategien gegen Crack-Abhängigkeit untersucht und
implementiert werden.
Betreiber von Drogenkonsumräumen sollen vom Land Berlin in die Lage versetzt werden, längere
Öffnungszeiten und auch Drug-Checking anbieten zu können.
Substitutionstherapien sollen künftig deutlich niedrigschwelliger zugänglich sein, auch für
Patienten ohne Krankenversicherung. Zudem sollte die Abgabe durch Betreuungspersonal
vereinfacht ermöglicht werden.
5. Verbesserte Verfügbarkeit von Drug-Checking und Überführung in ein Regelangebot
Drug-Checking ist eine zentrale Maßnahme zur Schadensminderung, die den sicheren Konsum
fördert und potenzielle Gesundheitsrisiken reduziert. In Berlin wird das seit 2023
bestehende Angebot sehr gut angenommen, aufgrund mangelnder Ressourcen kommt es dort jedoch
zu langen Wartezeiten, die eine zusätzliche Schwelle zur Nutzung des Angebots darstellen.
Wir setzen uns daher für die Ausweitung bestehender Berliner Modellprojekte ein und fordern
deren Überführung in ein Regelangebot. Für eine Erhöhung der Kapazitäten spielt der
systematische Einsatz von Schnelltests eine entscheidende Rolle, um den Konsumenten ein
schnelleres Feedback geben zu können. Diese Tests zur Analyse von Substanzen sollten nicht
nur wie bisher stationär erfolgen, sondern durch mobile Angebote ausgeweitet werden, um den
niedrigschwelligen und zielgruppenspezifischen Zugang zu verbessern.
Zudem sollte eine digitale Terminvergabe ermöglicht und die Aufklärungsarbeit durch das
Drug-Checking gestärkt werden. Drug-Checking kann insbesondere im Zusammenspiel mit der
Suchthilfe beim Monitoring unterstützen und beispielsweise Entwicklungen im Zusammenhang mit
Substanzen wie Fentanyl schneller erfassen, um ihnen effektiver begegnen zu können.
6. Stärkung der Hilfe bei opioidbedingten Drogennotfällen
Die Bereitstellung von Naloxon, einem Notfallmedikament bei Opioid-Überdosierungen, ist
essenziell für Berlin. Wir fordern die Aufhebung der Verschreibungspflicht, die Fortführung
bzw. Ausweitung von Take-Home-Naloxon-Programmen und die Vorhaltung von Naloxon in
Notdienst-Apotheken, um eine bessere Verfügbarkeit und eine schnelle Einsatzmöglichkeit zu
gewährleisten. Berlin sollte die rechtliche Machbarkeit einer breiten Take-Home-
Naloxonvergabe oder Rezeptausstellung auf Landesebene prüfen sowie das geplante Naloxon-
Projekt, für das seit mehreren Jahren Mittel im Haushalt eingestellt sind, endlich umsetzen.
Zudem soll ein lokales Warnsystem etabliert werden, das vor gefährlichen Beimengungen und
hohen Konzentrationen warnt (bspw. durch Aushänge an Brennpunkten, Smartphone-Apps, und
Infoscreens in Drogenkonsumräumen). Ferner muss sichergestellt werden, dass Schnelltests für
synthetische Opioide unkompliziert verfügbar sind.
Die Alarmierung von Rettungskräften bei Drogennotfällen darf nicht in eine Strafverfolgung
von Konsument*innen aufgrund des Besitzes von Betäubungsmitteln münden.
7. Umgestaltung öffentlichen Raums durch soziale und sicherheitsfördernde Maßnahmen
Das Zusammenleben im öffentlichen Raum baut auf sozialen Angeboten, dem Sicherheitsempfinden
und der Akzeptanz aller Nutzungsgruppen auf. Zusätzlich zur Entkriminalisierung und
Präventionsmaßnahmen muss im öffentlichen Raum ein Umfeld geschaffen werden, welches
Nutzungskonflikte ausgleicht, Anlaufstellen für Anwohner\*innen, Gewerbetreibende und
Nutzer\*innen schafft, somit ein harmonisches Zusammenleben im öffentlichen Raum fördert und
gleichzeitig die Sicherheit erhöht. Wir wollen denn öffentlichen Raum integrativ gestalten.
Maßnahmen dürfen nicht einfach nur zu einer Verlagerung der Problematik in die umliegenden
Kieze führen. In jedem Bezirk kann eine Drogenszene entstehen.
Durch Nutzungskonzepte können geschützte und integrierte Bereiche geschaffen werden, die
einen sicheren und würdevollen Konsum ermöglichen, verbunden mit dem Zugang zu
Hilfsangeboten. In stark frequentierten Bezirken können abgegrenzte Bereiche
drogenkonsumierenden Menschen als Rückzugsorte dienen und gleichzeitig den Konsum aus dem
allgemeinen öffentlichen Raum verlagern. Diese Bereiche sollten barrierefrei zugänglich und
mit den notwendigen hygienischen und medizinischen Angeboten ausgestattet sein. Die
Gestaltung im Sinne eines Ausgleichs sollte auch im Zuge von klimabedingten
Umstrukturierungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Der Ausbau aufsuchender Sozialarbeit und
Präventionsmaßnahmen im öffentlichen Raum wird helfen, die Situation langfristig zu
verbessern. Die aufsuchende Sozialarbeitet bietet konkret Hilfestellung an belasteten Orten
und kann im Bedarfsfall sofort intervenieren, wodurch die Belastung für alle Betroffenen
reduziert und zugleich eine Brücke zu Hilfsangeboten geschaffen wird. Daneben braucht es
Anlaufstellen für Anwohner\*innen, Gewerbetreibende und Besucher\*innen, die Alltagsfragen
oder -probleme aufnehmen und mit den anderen Akteuren vor Ort koordinieren und abstimmen
können. Berlin sollte entsprechende Pilotprojekte fördern, die alternative
Sicherheitskonzepte im öffentlichen Raum erproben und wissenschaftlich evaluieren. Solche
Pilotprojekte können wichtige Erkenntnisse für eine zukünftige, dauerhaft nachhaltige und
integrative Sicherheitsgestaltung liefern.
An öffentlichen Orten, die durch ihre bauliche Gestaltung gerade in den Abend- und
Nachtzeiten unterbeleuchtet sind, sollte die Beleuchtung gezielt verbessert werden, um das
subjektive Sicherheitsgefühl zu stärken und gleichzeitig Risiken für die öffentliche
Sicherheit zu minimieren.
Die Präsenz der Sicherheitsbehörden muss unter Berücksichtigung der Nutzungskonzepte durch
eine verstärkte sozialadäquate und deeskalationsorientierte Aufgabenwahrnehmung als Teil der
Gesamtstrategie begriffen werden und den Fokus auf die Verhinderung von Gewalttaten und die
Eindämmung der Beschaffungskriminalität legen. Eingesetze Akteure in Drogenkonsumbereichen
müssen über die nötigen sozialen Kompetenzen verfügen, um vermittelnd und deeskalierend zu
handeln. Die Einbindung der örtlich zuständigen Akteure bei der Erstellung und Evaluation
von Nutzungskonzepten für belastete öffentliche Räume ist entscheidend für die Akzeptenz und
deren erfolgreiche Umsetzung.
8. Förderung der sektorübergreifenden Zusammenarbeit
Bislang arbeiten verschiedene Akteure in versäulten Strukturen an landesweiten Problemen
nebeneinander. Dies wird der komplexen Situation vor Ort nicht gerecht. Eine effektive
Drogenpolitik erfordert eine enge und vertrauensfördernde Kooperation zwischen verschiedenen
Akteuren aus Präventions- und Suchthilfe, der Sozialverwaltung, Polizei, Ordnungsämtern
sowie den übrigen bezirklichen Beteiligten in Berlin. Modelle zur aktiven Einbeziehung von
Betroffenen sollten entwickelt und umgesetzt werden.
Wir fordern neben der verstärkten sektorenübergreifenden Zusammenarbeit den Aufbau eines
Berlin-Monitorings um Hotspots und Entwicklungen gezielt zu erkennen und spezifische
Lösungen zu erarbeiten. Dabei setzen wir auf die Förderung und Einbeziehung
wissenschaftlicher Studien zu Problemlösungsstrategien. Insbesondere sollten anonymisierte
Daten aus der Suchthilfe integriert werden, um ein umfassenderes Lagebild zu erstellen, das
Maßnahmen besser steuern kann. Um die Debatte nicht nur über aufkeimende Hotspots zu führen,
kann mit einer gesamtstädtischen Strategie Bedarfe ermittelt, evaluiert und weiterentwickelt
sowie effektiv koordiniert werden.
9. Anpassung der Konsumregelungen in Unterkünften für Wohnungs- und Obdachlose
Die derzeitigen Regelungen in Berliner Unterkünften für Wohnungs- und Obdachlose, die das
Konsumieren von Betäubungsmitteln verbieten, widersprechen der Lebensrealität vieler
BetroffenerSuchtmittelabhängiger und erschweren eine nachhaltige Unterstützung. Diese
restriktive Praxis führt häufig dazu, dass Betroffene nicht die notwendigen Hilfeleistungen
in Anspruch nehmen und die Einrichtungen verlassen müssen, um ihrem Konsum im öffentlichen
Raum nachzugehen. Hier bedarf es einer pragmatischen und menschenwürdigen Neugestaltung:
- Erarbeitung eines akzeptanzorientierten Konsumkonzepts in enger Zusammenarbeit mit Trägern
der Einrichtungen und der Suchthilfe, das spezifische Konsumräume innerhalb oder in der Nähe
von Unterkünften ermöglicht, um eine sichere und betreute Konsumumgebung zu schaffen.
- Entwicklung spezieller Betreuungsangebote für suchtkranke Bewohner*innen mit
Abhängigkeitserkrankungen innerhalb der Unterkünfte, die darauf abzielen, die
gesundheitlichen Risiken des Konsums zu minimieren und Betroffene an Hilfs- und
Therapieangebote heranzuführen.
- Förderung von Unterbringungskonzepten, die den Konsumbedarf berücksichtigen, um obdachlose
und abhängigesuchtkranke Menschen nicht zu gefährden oder in den öffentlichen Raum zu
verdrängen, sondern eine realitätsnahe, sichere und integrierte Lösung anzubieten.
Mit diesen Änderungen trägt Berlin dazu bei, Suchthilfe effektiver und niedrigschwelliger zu
gestalten und sicherzustellen, dass alle Menschen – insbesondere diejenigen in besonders
prekären Lebenslagen – Zugang zu den Hilfen erhalten, die sie benötigen.
10. Ausreichende finanzielle Mittel zur nachhaltigen Ausweitung der Suchthilfe
Wir fordern eine deutliche Erhöhung der Mittel für die Berliner Suchthilfe, um eine
bedarfsgerechte und umfassende Versorgung sicherzustellen. Angesichts der wachsenden Zahl
drogenkonsumierender und abhängiger Menschen, insbesondere im öffentlichen Raum, ist eine
nachhaltige Finanzierung erforderlich, um die bestehenden Angebote aufzustocken und
qualitativ zu verbessern.
Hierzu zählen insbesondere:
- Die Erhöhung der Kapazitäten für bestehende Suchthilfeträger sowie die finanzielle
Förderung neuer, innovativer Modellprojekte, die sowohl Prävention als auch
Schadensminimierung und Therapieansätze umfassen
-Die finanzielle Stärkung der Unterstützung für niedrigschwellige Hilfsangebote, darunter
Drogenkonsumräume, mobile Beratungseinheiten und Drug-Checking-Programme, deren Wirksamkeit
durch verlängerte Öffnungszeiten und optimierte personelle Ausstattung signifikant
gesteigert werden könnte.
- Investitionen in Schulungen und Weiterbildung für Mitarbeitende im Bereich der Suchthilfe
sowie in die Bereitstellung sicherer Infrastruktur, um auch in problematischen Stadtteilen
durchgängige, niedrigschwellige Hilfsangebote auf hohem Niveau anbieten zu können.
Das Land Berlin muss bei der Haushaltsplanung die Bedeutung dieser Maßnahmen anerkennen und
priorisieren, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden.
Einsparungen im Bereich der Suchthilfe lehnen wir ab (siehe auch LDK-Beschluss vom 04.05.24:
"Dauerhafte Finanzierung von Suchthilfeträgern und Bedarfsplanung").