Veranstaltung: | LDK am 28. Oktober 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 8 Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Canan Bayram (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 21.02.2020, 19:25 |
V-08: Gewerbemieter*innen schützen und stärken
Antragstext
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berlin fordern den nachhaltigen Schutz von Kleinstunternehmer*innen,
inhabergeführte Läden, soziale Einrichtungen wie zum Beispiel Kindertagesstätten oder
Pflegeeinrichtungen, Kunst- und Handwerksbetreiben sowie Kultureinrichtungen vor
Verdrängung.
Dafür fordern wir in angespannten Mietmärkten ein gesondertes Gewerbemietrecht. Damit wollen
wir die Gewerbemieter*innen vor Verdrängung schützen, indem über Kündigungsschutz, Laufzeit,
Verlängerung und Mietendeckel Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den eingerichteten
und ausgeübten Gewerbebetrieb an sich erhalten. Dafür muss insbesondere Folgendes gesetzlich
geregelt werden:
- Den Ländern muss ermöglicht werden, ähnlich wie bei der Mietpreisbremse, in besonders
von Verdrängung bedrohten Gebiete, bestimmte Gewerbebetriebe durch ein
Gewerbemietrecht zu schützen. Dies bedeutet „jede Kommune kann, keine muss“ das Gesetz
anwenden. Wo der Gewerbemietmarkt angespannt ist, gilt auf Antrag das Gesetz.
- Der wirksame Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs davor, dass die
Existenzgrundlage durch überzogene Mieterhöhungen zerstört wird.
- Schaffung von Existenzsicherheit durch einen ähnlichen Kündigungsschutz wie bei
Wohnungsmieter*innen, durch einen Verlängerungsanspruch für befristete
Gewerbemietverträge und der Begrenzung der Miethöhe.
Begründung
Täglich sind wir mit den Folgen der fehlenden Gesetze zum Schutz der Gewerbemieter*innen konfrontiert. Um die Gewerbemieter*innen zu schützen, hat die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Gesetzentwurf erarbeitet, der erstmalig in der Geschichte dieses Landes ein eigenständiges Gewerbemietrecht schafft. Wir wollen, dass kleine Ladeninhaber*innen, soziale Einrichtungen sowie Kunst- und Handwerksbetriebe vor Verdrängung geschützt werden.
Immer weiter steigende Gewerbemieten in Berlin sorgen für eine Entwicklung hin zu „aussterbenden Innenstädten“, das heißt eine „Ballermannisierung“ der Innenstädte, in der die Bedürfnisse der Anwohner*innen nicht erfüllt werden. Bewohnt von wohlhabenden Single- oder Familienhaushalten und gewerblich durchdrungen von anonymen Ladenlokalen oder Büros dienen sie nur noch als Kulisse für Tourist*innen und deren Bedürfnissen. Die Anwohner*innen in den Kiezen haben keinen Gemüseladen mehr um die Ecke, müssen aber drei Euro für die Tasse Café bezahlen. Dort, wo sich früher Handwerker*innen befanden, sind diese verschwunden. Der Metzger, der kettenunabhängige Bäcker, aber auch Künstler*innenateliers und kleine Theater müssen schließen. Von Verdrängung sind Gewerbetreibende, Handwerker*innen, Kulturschaffende und soziale Einrichtungen genauso wie Wohnmieter*innen bedroht. Doch für sie gibt es bisher nicht mal ein Gewerbemietrecht, das sie vor Kündigungen und unbegrenzten Mieterhöhungen schützt.
Hintergrund dieser Gentrifizierungsprozesse ist der teilweise rasante Anstieg der Gewerbemieten in den vergangenen Jahren. In Berlin sind hiernach die Gewerbemieten selbst laut der Bunderegierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion zwischen 2009 und 2018 in den sogenannten 1B-Lagen um 266 Prozent für größere Ladenflächen und um 200 Prozent für kleinere Ladenflächen gestiegen. In den 1A-Lagen stiegen sie um etwa 50 Prozent.
Hohe Gewerbemieten einerseits und das niedrige Schutzniveau für Gewerbemieter*innen andererseits können auch für junge Unternehmer*innen in der Anfangsphase ihres Geschäfts eine zusätzliche Belastung und Unsicherheit für die weitere Entwicklung des Unternehmens darstellen. Für alteingesessene Betriebe sieht es nicht besser aus. Eine Geschäftsaufgabe oder -verlagerung in unattraktivere Außenbezirke bringt nicht nur für die Geschäftsinhaber*innen, die oftmals mit ihrem ganzen Herzblut und bisweilen ihrer gesamten Familie am Betrieb hängen, einen großer Einschnitt mit sich: Auch den Anwohner*innen wird zunehmend erschwert, ihre sozialen Bezüge zu erhalten. Wo früher beispielsweise gesellschaftlicher Austausch in den ortsansässigen Fachgeschäften oder bei Handwerker*innen möglich war, finden sich heute vielfach Niederlassungen von Systemgastronomen, aber auch Spielhallen, Wettbüros, Franchiseketten oder Büros.
Kleine Gewerbetreibende sind häufig durch überzogene Mieterhöhungen in ihrer Existenz bedroht und sind darüber hinaus nach Auslaufen von befristeten Mietverträgen „gezwungen“, neue Mietverträge zu schlechteren Konditionen abzuschließen, weil sie ihr Stammkund*innenpotenzial nirgends anders mehr aufbauen können – und weil sie unter Umständen auch massiv in die Verkaufsräume investiert haben. Gerade besonders schützenswerte Kleinstunternehmen tragen im Übrigen häufig essentiell zur Existenzsicherung ganzer Familien bei.
In Deutschland existiert – gerade für kleine Gewerbemieter*innen – schlicht kein gesondertes „Gewerbemietrecht“, das ihnen gegenüber eine Schutzfunktion einnehmen würde.
So beinhaltet das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) keinen eigenständigen Abschnitt zum Mietrecht für Gewerbe, sodass Schutzvorschiften, die Kleingewerbetreibende, Freiberufler*innen oder Betreiber*innen von sozialen oder kulturellen Einrichtungen etwa vor Kündigungen oder uferlosen Mieterhöhungen schützen, fehlen. Hintergrund des grundsätzlichen Fehlens von Schutzvorschriften zugunsten von Kleingewerbemietern ist der bisherige gesetzgeberische Gedanke, dass sich beim Mietrecht für Gewerbe – anders als im Wohnmietrecht – zwei Parteien auf „Augenhöhe“ begegnen, die ihre Vertragsinhalte entsprechend frei gestalten können. Gerade in Ballungsräumen mit angespannten Gewerbemietmärkten wie etwa Berlin ist diese Annahme indes nicht (mehr) zutreffend. Die Vermieter*innen haben eine massiv überlegene Stellung. Selbst funktionierende Ladengeschäfte mit laufendem Geschäftsmodell werden an den Rand gedrängt, weil sie die Miete nicht stemmen können. Solche Mieten können vielfach nur von Großfirmen oder von mit Risikokapital ausgestatteten und auf Kurzfristigkeit ausgelegten Unternehmen gezahlt werden.
Unterstützer*innen
- Silvia Rothmund (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
- Vasili Franco (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
- Aida Baghernejad (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
- Katrin Schmidberger (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)