Veranstaltung: | LDK am 28. Oktober 2020 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 8 Verschiedenes |
Antragsteller*in: | LAG Migration & Flucht Berlin (dort beschlossen am: 18.02.2020) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 19.02.2020, 18:31 |
V04: Verantwortung ernst nehmen – Bedrohte afghanische Ortskräfte und ihre Familien aufnehmen
Antragstext
In Afghanistan arbeiten seit Jahren afghanische Ortskräfte an der Seite deutscher
Soldat*innen, Polizeikräfte, Mitarbeitender der Entwicklungszusammenarbeit sowie
Diplomat*innen. Ohne den Einsatz der Dolmetscher*innen sowie anderer Ortskräfte wäre weder
die Tätigkeit der Bundeswehr, noch die des Auswärtigen Amts, des Bundesministeriums des
Innern, für Bau und Heimat oder des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
in Afghanistan möglich. Der Einsatz dieser Menschen und ihr Wille, auch Leib und Leben zu
riskieren, belegen eindrücklich, welchen Preis viele Afghan*innen für die Verteidigung von
Frieden und Demokratie bereit sind zu zahlen.
Afghan*innen haben sich in den Dienst deutscher Ministerien gestellt in dem Vertrauen
darauf, dass sie während und nach Beendigung ihrer Tätigkeit unter dem Schutz Deutschlands
stehen. Trotzdem ist die Aufnahme afghanischer Ortskräfte in Deutschland nicht nur fast zum
Erliegen gekommen, es sind auch alle Familienmitglieder über die Kernfamilie hinaus von der
Möglichkeit ausgeschlossen. Dabei hat die Bundesregierung die Ursache für die besondere
Bedrohung auch für die Angehörigen der Ortskräfte erst gesetzt.
Ortskräfte werden von den Taliban häufig als Kollaborateure und Verräter gesehen und sind
deswegen in vielen Fällen der Verfolgung ausgesetzt. Die schwerwiegende Bedrohungslage wird
auch in den UNHCR Guidelines zu Afghanistan bestätigt. Die Ortskräfte vertrauen den
deutschen Institutionen, deren Arbeit sie vor Ort ermöglichen, ihre eigene Sicherheit und
die ihrer Familien an. Denn im Kreuzfeuer der Taliban stehen nicht nur die Ortskräfte
selbst, sondern auch ihre Verwandtschaft, darunter ihre Eltern, Geschwister, Tanten, Onkel
und Schwäger*innen. Diese werden umso stärker bedroht, angegriffen und getötet, wenn die
eigentliche Ortskraft das Land verlassen hat. Die Verwandtschaft muss dann für dessen
Entscheidung den deutschen Kräften zu helfen, büßen. Einige werden von den Taliban sofort
getötet, andere haben „Glück“ und werden zu einer monatlich zu entrichtenden „Strafzahlung“
aufgefordert. Kann die Verwandtschaft nicht zahlen, werden Familienmitglieder immer wieder
getötet und verletzt. Eine Aufnahme für diese Personen sieht das Bundesaufnahmeverfahren für
afghanische Ortskräfte dennoch nicht vor. Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
für Familienmitglieder außerhalb der Kernfamilie werden vom Auswärtigem Amt abgelehnt.
Verwandte von afghanischen Ortskräften können bisher lediglich im Rahmen des § 22 S.1
AufenthG einen Aufenthaltsanspruch aus „dringend humanitären Gründen“ geltend machen. Hieran
werden jedoch sehr hohe Ansprüche gestellt. Zwar liegt die Aufnahme im Ermessen des
Auswärtigen Amtes, sieht dieses aber keinen dringend humanitären Grund in der Bedrohung,
Verletzung und Tötung von Familien, deren Angehöriger für den deutschen Staat in Afghanistan
tätig sind (§ 22 S. 1 AufenthG) und beschränkt sich das Aufnahmeprogramm (§ 22 II AufenthG)
auf deren Kernfamilie, liegt eine eklatante Regelungslücke vor, die nur durch entsprechende
Gesetzgebung geschlossen werden kann.
Dabei ist auch die erweiterte Verwandschaft oft unmittelbarer Bedrohung durch die Taliban
aufgrund der Tätigkeit eines Familienmitglieds als Ortskraft ausgesetzt. Die Verwandschaft
selbst hat keine Möglichkeit sich innerhalb Afghanistans, beispielsweise in Kabul, in
„Sicherheit“ zu bringen und der Bedrohung durch die Taliban zu entkommen. Als Angehörige
eines „Verräters“ stehen sie auf einer sogenannten schwarzen Liste – verlassen sie ihren
Wohnort werden sie sofort durch die Taliban getötet.
Das ist nicht nur für die Angehörigen selbst ein Problem – die Trennung von der Familie und
die (begründetet) Sorge um ebendiese haben massive negative Auswirkungen auf die nach
Deutschland geflohenen Ortskräfte, beispielsweise hemmen sie die Integration. Wer ständig
Angst um seine Angehörigen haben muss, hat weniger Kraft aktiv hier in Deutschland
anzukommen. Wer sich um seine Familie sorgt, der kann sich nicht auf Integrationskurs,
Schule, Ausbildung oder den neuen Job konzentrieren. Zeitgleich sind sie gezwungen, alles
erwirtschaftete Geld an die Familie zu überweisen, um die Strafzahlungen an die Taliban zu
gewährleisten. Somit werden die afghanischen Ortskräfte indirekt gezwungen die Taliban
finanziell zu unterstützen, um das Überleben der Familie in Afghanistan zu gewährleisten.
Deshalb fordern wir:
Berlin soll zeitnah ein Landesaufnahmeprogramm mit einem Kontingent von 50 Personen
jährlich schaffen, um über die Kernfamilie hinausgehende Verwandte von bereits in
Berlin ansässigen oder noch kommenden afghanischen Ortskräften, die über das reguläre
Aufnahmeprogramm gekommen sind oder kommen, ebenfalls nach Berlin zu holen. Das
Aufnahmeprogramm soll für all jene Verwandten geöffnet sein, die aufgrund der
Ortskrafttätigkeit in Afghanistan Opfer von Bedrohung und Verfolgung islamistischer
Terrorgruppen wie der Taliban werden. Den Rahmen dafür kann ein Aufnahmeprogramm
analog zu den Berliner Programmen für Syrer*innen und Iraker*innen nach §23.1
Aufenthaltsgesetz wegen humanitärer Notlage unter Verzicht auf Bürgschaften bilden.
Die aufgenommenen Familienangehörigen sollen einen befristeten humanitären
Aufenthaltstitel bekommen und dann in ein reguläres Asylverfahren übergehen. Im Falle
einer Ablehnung einer dieser Gruppe zugehörigen Person, ist das Land Berlin in der
Beweispflicht, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen einer Bedrohung durch die
islamistische Terrorgruppen und der Tätigkeit der verwandten Ortskraft vorliegt.
Das Land soll sich auf Bundesebene dafür einsetzen, ein vereinfachtes Gruppenverfahren
für die großzügige Aufnahme afghanischer Ortskräfte, die für deutsche Institutionen
arbeiten oder gearbeitet haben, einzuführen und ihre Angehörigen über die Kernfamilie
hinaus darin zu berücksichtigen.