Veranstaltung: | LDK 22-1 |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | TOP 3 Leitantrag L-01 zum Thema Gesundheitspolitik |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 02.04.2022 |
Eingereicht: | 26.04.2022, 16:34 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Ein grünes Gesundheitsnetzwerk für Berlin - von Prävention bis zur Versorgung und von der Geburt bis ins hohe Alter
Beschlusstext
Gesundheit ist weit mehr als die reine Abwesenheit von Erkrankung. Gesundheit befähigt uns,
uns sozialen, emotionalen und physischen Herausforderungen zu stellen. Gesundheit hängt ab
von Vorsorge, um Erkrankungen vorzubeugen. Und Gesundheit braucht auch gesunde
Lebensbedingungen: von der Luft, die wir atmen bis zur Nahrung, die wir essen. Gesundheit
ist ein Querschnittsthema, das alle Politikfelder betrifft. Für Gesundheitsschutz braucht es
deshalb auch Armutsbekämpfung, Verbraucher*innenschutz, bessere Lebensbedingungen und eine
wirksame Umweltpolitik.
Die Pandemie hat allen Menschen in Berlin, in Deutschland und global deutlich gemacht, wie
wichtig ein gut ausgestattetes und für alle Menschen zugängliches Gesundheitswesen ist. Gute
Ausstattung betrifft dabei nicht nur die materiellen Bedingungen, sondern insbesondere auch
die personellen Ressourcen in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung. Bereits vor der
Pandemie bestehende Probleme wie Personalmangel, fehlende Digitalisierung und
Investitionslücken sind in den letzten Jahren für uns alle deutlich sichtbar geworden. Diese
Probleme anzugehen und zu lösen ist die Grundlage für eine soziale und chancengerechte
Gesellschaft, in der sich alle Menschen darauf verlassen können, dass sie überall in der
Stadt Zugang zu einer qualitativ hochwertigen und bedarfsgerechten Krankheitsvorsorge und -
versorgung haben. Wirtschaftliche Interessen von Akteur*innen im Gesundheitswesen dürfen
dieser bedarfsgerechten Versorgung nicht im Weg stehen.
Unsere Ziele sind Gesundheitsgerechtigkeit und Chancengleichheit, so dass jede*r Berliner*in
egal welchen Alters, welcher Herkunft und Religion, welcher sexuellen Identität und
Orientierung, unabhängig vom sozialen Status, ob vorerkrankt, ob mit Behinderung oder ohne
oder anderen Voraussetzungen ein möglichst hohes Maß an Gesundheit und Lebensqualität
erfährt und selbstbestimmt leben kann. Gesundheitsversorgung muss niedrigschwellig und vor
Ort vernetzt sein - überall in Berlin. Nur so werden die Möglichkeiten der gesundheitlichen
Vorsorge und Versorgung allen Berliner*innen bekannt und auch von allen gleichermaßen in
Anspruch genommen werden können.
Für eine gute Versorgung der Berliner*innen haben wir bereits in der letzten Wahlperiode
viel getan. Wir haben die Investitionen in die Krankenhäuser auf den Bundesschnitt angehoben
und werden unseren Beitrag sukzessive weiter erhöhen. Wir haben zudem dafür gesorgt, dass
Babylots*innen auf allen Geburtsstationen der Berliner Krankenhäuser Eltern beraten und
begleiten. Wir wollen, dass das Essen im Krankenhaus besser und gesünder wird, wir setzen
auf regionale, saisonale und nachhaltige Ernährung– am Bett wie in der Kantine.
Besonders wichtig war für uns, allen Berliner*innen Zugang zur gesundheitlichen Versorgung
zu ermöglichen. Daher unterstützen wir Menschen ohne Krankenversicherung dabei sich zu
versichern. Zudem können sich durch unseren Einsatz endlich auch Menschen ohne gültigen
Aufenthaltstitel mit einem anonymen Krankenschein behandeln lassen. Damit ist Berlin das
einzige Bundesland, in dem der Zugang zur hausärztlichen Versorgung so umfassend möglich
ist. Diesen Weg möchten wir weitergehen, die Finanzierung der Clearing-Stelle durch das Land
Berlin langfristig sichern und den Fonds, der die Behandlung von nicht versicherten Menschen
ermöglicht, ausbauen. Um weitere Zugangsbarrieren für Menschen ohne Papiere abzubauen,
setzen wir uns auf Bundesebene für die Abschaffung der Übermittlungspflicht nach § 87 Abs. 2
Aufenthaltsgesetz ein.
Zudem wollen wir niedrigschwellige Angebote der sexuellen Gesundheitsversorgung wie etwa den
Checkpoint BLN am Hermannplatz sicherstellen. Dieser bietet unter einem Dach Beratung, Tests
sowie Präventions- und Behandlungsangebote zu sexuell übertragbaren Krankheiten. Zudem
wollen wir digitale Angebote fördern oder schaffen, die einen niedrigschwelligen, Beitrag
zur sexuellen Aufklärung leisten und dabei einen intersektionellen Ansatz verfolgen sowie
insbesondere auf die Bedürfnisse von Frauen*, Jugendlichen und Menschen mit niedrigem
Einkommen zugeschnitten sind.
Gesundheit in allen Lebenslagen
Eine gute gesundheitliche Versorgung ist diversitätssensibel. Wir wollen, dass die
unterschiedlichen Bedürfnisse aller Menschen sowohl bei der Vorbeugung von Erkrankungen als
auch in der Versorgung von erkrankten und pflegebedürftigen Menschen wahrgenommen und
berücksichtigt werden.
Diskriminierungsfreie Gesundheit
Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht. Doch noch immer erfahren viel zu
viele Berliner*innen Diskriminierung im Gesundheitssektor. Wir werden medizinische
Einrichtungen dabei unterstützen, bestehende Diskriminierungen abzubauen. Unser Ziel ist
eine diversitätssensible Gesundheitsversorgung und Pflege in Berlin. Bisher haben Menschen
mit einer Behinderung noch nicht überall die Wahlfreiheit, weil Barrieren sie am Zugang
hindern. Menschen mit fehlenden deutschen Sprachkenntnissen haben
Verständigungsschwierigkeiten. Häufig erleben Patient*innen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer
sexuellen Orientierung, ihrer geschlechtlichen Identität oder körperlicher Merkmale verbale
Übergriffe, abwertende Bemerkungen und mangelnde medizinische Versorgung. So führt etwa der
Zeit- und Effizienzdruck des Gesundheitspersonals häufig zur Ungleichbehandlung von älteren
Patient*innen und Menschen mit Behinderungen oder bestimmten chronischen Erkrankungen, wie
z.B. HIV, oft mit dem Ergebnis, dass ihnen der Zugang zu medizinischen Leistungen verweigert
wird. Auch Gewichtsdiskriminierung führt zu schlechterer Versorgung. Oder aber die
Offenlegung der geschlechtlichen Identität wirkt sich nachteilig auf die Interaktion von
Ärzt*innen und Patient*innen aus. Wir werden uns daher für die Einrichtung einer Fachstelle
gegen Diskriminierung im Gesundheitswesen einsetzen, um strukturelle Diskriminierungen
abzubauen.
Berlin ist eine weltoffene Metropole mit Menschen aus unterschiedlichen Sprach- und
Kulturräumen. Sie alle sollen im Gesundheitswesen gut versorgt werden. Dazu bedarf es
fachlich qualifizierter Sprachmittler*innen in allen Sektoren der Behandlung. Wir werden
darauf dringen, dass die im Bundeskoalitionsvertrag vereinbarte Sprachmittlung auch mit
Hilfe digitaler Anwendungen im Kontext notwendiger medizinischer Behandlungen Bestandteil
des Krankenversicherungsrechts nach SGB V wird und bald umgesetzt wird.
In Berlin haben sich überdies spezifische Beratungsangebote wie die „Interkulturellen
Brückenbauer*innen in der Pflege – IBIP“ bewährt, um den Zugang zu Leistungen der Pflege zu
gewährleisten, indem sie in unterschiedlichen Sprachen die Pflegebedürftigen und deren
Angehörige in Pflegestützpunkten über die Stadt verteilt beraten. Diese Leistungen werden
wir, finanziert aus Mitteln der Sozialen Pflegeversicherung und aus Landesmitteln, weiterhin
garantieren. Um eine diversitätssensible und diskriminierungskritische Pflege nachhaltig
anzubieten, setzen wir uns dafür ein, dass entsprechende Schulungsangebote fester
Bestandteil der Ausbildungscurricula und von Weiterbildungen werden.
Im Rahmen der Fast Track Cities-Initiative mit ihrem Ziel „95-95-95-0“ wollen wir die HIV-
Beratungs- und Versorgungsstrukturen weiter stärken, die bestehenden Präventionsangebote und
-kampagnen zielgruppenorientiert ausbauen, allen Berliner*innen unabhängig vom Geldbeutel
Zugang zu Tests und Versorgung ermöglichen und Aufklärungskampagnen zur Entstigmatisierung
durchführen. Für die Umsetzung der Maßnahmen braucht es zusätzlich eine Koordinierungsstelle
der Fast Track City Initiative. Zudem werden wir uns für eine diskriminierungsfreie
Pflegeversorgung älterer queerer Menschen einsetzen.
Geschlechtergerechte Gesundheit
Auf die spezifischen Bedürfnisse von Frauen und deren Ausprägung von Krankheitsmerkmalen
muss das Gesundheitswesen mehr als bisher eingehen. Sie müssen Bestandteil der Ausbildung
von Mediziner*innen und anderen Gesundheitsberufen werden. Wir werden prüfen, ob das
Institut für „Gender in Medicine“ an der Berliner Charité genügend Kapazitäten vorhält oder
weiter ausgebaut werden muss, um in ausreichender Form den Bedarf von geschlechtergerechter
Forschung und Lehre in Berlin abzudecken. Die Gesundheitsversorgung von Frauen und inter,
nichtbinären sowie trans Personen werden wir verbessern. Sie muss vor allem
diskriminierungsfrei sein. Wir setzen uns für intersektionale reproduktive Rechte ein. Dazu
gehört, dass das Angebot an Gynäkolog*innen in allen Bezirken und der niedrigschwellige
Zugang zur Geburtsvorbereitung - auch für den*die Partner*in oder eine andere Begleitperson
- gesichert ist. Gefahrlose Schwangerschaftsabbrüche sowie eine Schutzzone vor
Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen werden wir ermöglichen. Wir setzen uns dem Bund
gegenüber für die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch, für eine Aufnahme von
Schwangerschaftsabbrüchen in den Katalog der kassenärztlichen Leistungen und dafür, dass
jede ungewollt schwangere Person die Methode des Abbruchs frei wählen kann, ein. Die
Bedingungen für sichere und gute Geburten sowie für eine bedarfsgerechte Nachsorge wollen
wir verbessern, mit einer bedarfsgerechten Ausstattung, einer Erhöhung der
Ausbildungskapazitäten sowie besseren Arbeitsbedingungen für Hebammen und einer digitalen
Plattform, die die Suche nach Hebammen erleichtert. Babypflegekurse sowie spezielle Erste-
Hilfe-Kurse für (Klein-)Kinder für Eltern und andere Angehörige sollen ausgebaut sowie
bekannter und einfacher zugänglich gemacht werden. Wir setzen uns für die Einführung eines
Berliner Programmes zur Endometriosefrüherkennung ein, das die integrierte,
sektorenübergreifende Versorgung stärkt und die Dauer bis zur Diagnose im Land Berlin
verkürzt.
Zur umfassenden Gesundheitsversorgung von Schwangeren gehört es auch, sie dann gut weiter zu
versorgen, wenn die Schwangerschaft ungewollt vorzeitig endet. Die gute Versorgung durch
Hebammen nach einer Fehlgeburt muss deshalb durch ausreichende Kapazitäten genauso
sichergestellt werden wie die psychologische oder seelsorgerische Betreuung beider Eltern.
Die hierfür bestehenden Strukturen wollen wir deshalb unterstützen und ausbauen und
bekannter machen.
Gesund in jedem Alter
Die Gesundheitschancen von Kindern gilt es im besonderen Maße zu fördern und zu schützen.
Dafür muss geprüft werden, wie die Inanspruchnahme der U- und J-Untersuchungen für Kinder
noch weiter gesteigert und kranke und schwerkranke Kinder wohnortnah versorgt werden können.
Kinder sind nicht bloß kleine Erwachsene. Die Behandlung von Kindern erfordert einen
deutlich höheren personellen, technischen und zeitlichen Aufwand als jene von Erwachsenen
und kann sich insbesondere im Bereich der Kindernotfall- und intensivmedizin im
Fallpauschalensystem nicht rechnen. Die pädiatrische und intensivpädiatrische Versorgung in
Kliniken muss bedarfsgerecht ausgebaut werden. Wir setzen uns dem Bund gegenüber für eine
Zusatzfinanzierung der Kinder- und Jugendmedizin ein, die auch ausreichende
Vorhaltekapazitäten berücksichtigt. Niedrigschwellige Beratungs- und Unterstützungsangebote
für Kinder und Jugendliche müssen ausgebaut und vernetzt werden. Kinder sucht- und psychisch
kranker Eltern sollen sich eigenständig Hilfe suchen können. Dafür werden niedrigschwellige
Angebote bekannter gemacht.
Unser Ziel ist zudem, dass die Berliner*innen auch im hohen Alter ihr Leben möglichst gut
und selbstbestimmt führen und dabei so lange wie möglich in ihrem eigenen Zuhause bleiben
können. Daher werden wir Modellprojekte zur Prävention von Einsamkeit sowie Hilfs- und
Kontaktangebote in den Bezirken fördern.
Dem Anspruch auf ein Leben in Würde folgt der Anspruch auf ein Sterben in Würde. Um einen
würdevollen Umgang mit sterbenden Patient*innen und eine empathische Trauerbegleitung der
Angehörigen sicherzustellen, setzen wir uns dem Bund gegenüber für mehr (Kinder-) Hospize,
(Teil-) Palliativstationen, die Stärkung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung
(SAPV) und einen höheren Personalschlüssel ein. Die Palliativ- und Hospizversorgung müssen
weiter ausgebaut und diversifiziert werden. Und nicht nur im hohen Alter sterben Menschen.
Gerade wenn Kinder lebensverkürzend erkrankt sind, ist die Begleitung des Kindes sowie der
gesamten Familie in einem Kinderhospiz oder durch ambulante spezialisierte Kinder-
Palliativversorgung von unschätzbarem Wert. Hier gilt es, die Kapazitäten auszubauen und
möglichst wohnortnah zu ermöglichen. Die Kompetenzen in den Bereichen der Palliativ- und
Hospizversorgung werden bereits in der Ausbildung vermittelt. Zusätzliche Schulungsangebote
zum Umgang mit Betäubungsmitteln, sowie zu den eigenen Rechten bezüglich deren
Verabreichung, schützen Patient*innen und Personal. Pflegepersonal der Palliativ- und
Hospizversorgung braucht Zugang zu psychologischer Beratung und Seelsorge, sowie regelmäßige
Reflexionsmöglichkeiten, um langfristig die eigene psychische Gesundheit zu schützen.
Patient*innen und deren Angehörige müssen ausführlich über Krankheit und Behandlungsoptionen
aufgeklärt werden, so dass Entscheidungen getroffen werden können, mit denen sie sich wohl
fühlen. Hierfür wollen wir Aufklärungsprogrammen zu Patient*innenverfügungen und
Vorsorgevollmachten anstoßen.
Zur Entlastung von pflegenden Angehörigen gehört der Ausbau von Tages-, Kurzzeit-, Nacht-
und Verhinderungspflege. Wir folgen damit dem Ansatz ambulant vor stationär. Dieser
Grundsatz ist für uns auch für die Pflege von Menschen leitend, die nicht von Angehörigen
gepflegt werden. Die Anzahl von Pflege-Wohngemeinschaften wollen wir beibehalten und bei
Bedarf ausbauen. Die Pflege-Wohngemeinschaften sollen nach überprüfbaren
Qualitätsindikatoren arbeiten. Darüber hinaus stärken wir Strukturen und Angebote, die es
pflegebedürftigen Menschen ermöglichen, möglichst lange in ihrer Wohnung und der vertrauten
Umgebung zu leben.
Zu einer guten Pflegepolitik gehört auch eine Ansprechperson in der Verwaltung, an die sich
pflegende Angehörige, Pflegebedürftige oder Dienstleistungsanbieter wenden können, wenn
Fragen oder Beschwerden zur Pflege bestehen. Wir haben uns daher im Koalitionsvertrag für
eine*n Landespflegebeauftragte*n massiv eingesetzt. Eine wichtige Aufgabe der*des
Landesbeauftragten besteht auch in der Aktivierung des Landespflegeausschusses. Damit wird
die Chance genutzt, alle wichtigen Akteur*innen der Stadt zusammenzubringen.
Psychische Gesundheit
Fast alle Menschen haben durch eigene Betroffenheit oder als Angehörige im Laufe ihres
Lebens Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen. Viele Menschen haben in
Berlin nicht erst seit der Pandemie große Schwierigkeiten, einen passenden Therapieplatz zu
finden. Wir müssen daher das psychotherapeutische, psychosoziale und psychiatrische
Versorgungssystem stärken und weiterentwickeln. Ein zentraler Bestandteil ist das Prinzip
der lebensweltnahen, sozialraumorientierten Versorgung auf der Bezirksebene. Es müssen mehr
Angebote zur Förderung psychischer Gesundheit und Prävention psychischer Erkrankungen
geschaffen und die niedrigschwelligen Beratungs- und Begleitungsangebote des
Psychiatrieentwicklungsprogramms gestärkt und zukunftsfest gemacht werden. Aufbauend auf
einer durchzuführenden gesamtstädtischen Evaluation des Psychiatrieentwicklungsprogramms
möchten wir einen Landespsychiatrieplan entwickeln, der zusammen mit dem „Landeskonzept
Sucht“ unter dem Dach eines Landesprogramms psychische Gesundheit vereint wird. Die
sozialpsychiatrischen und kinder- und jugendpsychiatrischen Dienste wie auch die
Psychiatriekoordination müssen in Ihren Aufgaben gestärkt werden. In der außerklinischen
psychiatrischen Versorgung möchten wir für entgelt- und zuwendungsfinanzierte Angebote
gemeinsam ein neues Finanzierungs- und Steuerungsmodell entwickeln und nach erfolgreicher
Erprobung flächendeckend einführen. In der klinischen Versorgung soll das Prinzip „ambulant
vor teilstationär vor stationär“ beachtet und der begonnene Trend zur Ambulantisierung mit
vorrangig teilstationären und/oder aufsuchenden Versorgungsangeboten konsequent fortgeführt
werden. Der Trialog zwischen Psychiatrieerfahrenen, Angehörigen und Professionellen sowie
der vermehrte Einbezug von Peers möchten wir fördern. Mit der Förderung von
Fortbildungsangeboten wollen wir Personal zudem Zugang zu den teils signifikanten
Erkenntnisgewinnen in vielen Bereichen der Wissenschaft erleichtern.
Das Krankenhaus des Maßregelvollzuges soll vermehrt in die gemeindepsychiatrischen
Versorgungsstrukturen eingebunden und in der Ausstattung modernisiert werden. Eine enge
Kooperation mit der Charité und der Versorgungsforschung wird angestrebt. Zwangsmaßnahmen
sollen transparent dargestellt und weiter konsequent minimiert werden. Hierzu werden
förderliche Bedingungen in allen Versorgungsbereichen geschaffen. Dazu gehört auch die
Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Für Betroffene von Zwangsmaßnahmen schaffen wir
niedrigschwellige Möglichkeiten, sich über ihre Rechte zu informieren. Den Zugang von
Betroffenen, deren Rechte verletzt wurden, zu juristischer Unterstützung verbessern wir.
Auch die Suizidprävention wollen wir stärken.
Psychische Gesundheit steht paradigmatisch für Netzwerkarbeit aller Bereiche der
medizinischen und nicht-medizinischen Versorgung. Wir unterstützen den Aufbau von
interdisziplinären Netzwerken für eine bessere Zusammenarbeit im ambulanten, klinischen und
außerklinischen Bereich.
Gesund und selbstbestimmt Leben
Gesundheitspolitik muss da wirken, wo Menschen leben, wo sie arbeiten, ihre Freizeit
verbringen, zur Kita, in die Schule oder in andere Bildungseinrichtungen gehen. Studien
haben in den vergangenen Jahren nachgewiesen, dass Grünflächen einen unmittelbaren Effekt
auf das Wohlbefinden der Menschen haben. Ein grünes Lebensumfeld wirkt sich positiv auf die
Fähigkeit zur Emotionsregulierung aus. Investitionen in eine intakte und vielfältige
Stadtnatur schützen also das Klima und haben zugleich einen gesundheitsfördernden Effekt.
Gesundheitsfördernde Lebensbedingungen stehen allen Berliner*innen zu. Dazu gehören gute
Wohnbedingungen, die Verringerung von Luftverschmutzung und Lärm, die Neuverteilung des
öffentlichen Raums mit dem Ausbau sicherer und inklusiver Fuß- und Radwege bei
gleichzeitiger Abkehr von der autogerechten Stadt, sowie der Zugang zu Parks und Grünanlagen
mit Sport- und Erholungsmöglichkeiten.
Klimaschutz = Gesundheitsschutz
Die Klimakrise bedroht nicht nur den Planeten, sondern hat auch direkte Auswirkungen auf die
Gesundheit der Menschen – und das schon heute. Hitze kann nicht nur Hitzestress und
Erschöpfung auslösen oder zum Hitzschlag führen, sondern auch Vorerkrankungen verschlimmern.
Im Hitzejahr 2018 sind allein in Berlin fast 500 Menschen mehr hitzebedingt verstorben als
in durchschnittlichen Vergleichsjahren. Besonders betroffen waren ältere Menschen; die
Mortalitätsrate stieg bis zu 50 Prozent an. Hitzewellen sind Extremwetterereignisse, vor
denen vulnerable Gruppen frühzeitig gewarnt und ausreichend geschützt werden müssen. Wir
setzen uns für die zeitnahe Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle in der
Senatsverwaltung für Gesundheit ein, die einen Hitzeaktionsplan für Berlin erstellt und
analog zum Krisenmanagement im Katastrophenfall agieren kann.
Versiegelte Flächen und Fahrzeuge heizen die Stadt auf. Städte wie Berlin werden im Sommer
zu Hitzeinseln, die bis zu 8 Grad heißer sind als das Umland. Gravierend ist die Situation
in dicht besiedelten Innenstadtbereichen, in denen häufig Menschen leben, die von Armut
betroffen sind. Daher wollen wir Berlin auch besser für Hitzewellen und Starkregenereignisse
rüsten, um die Gesundheit der Bürger*innen zu schützen.
Das gelingt uns mit klugen Investitionen in die Stadtinfrastruktur und einer grundsätzlichen
Prüfung der Klimaresilienz aller Infrastrukturmaßnahmen. Neue Vorgaben für Dach- und
Fassadenbegrünung sowie eine höhere Förderung sollen für mehr Grün an den Gebäuden und damit
für eine angenehme Kühlung durch Verdunstung sorgen. Wir wollen das Stadtgrün stärken und
die Bewässerung und die Pflanzung von Straßenbäumen verbessern, um die Stadt zu kühlen und
die Gesundheit der Menschen zu fördern. Wir wollen öffentlich zugängliche Brunnen an allen
zentralen Haltestellen und stark frequentierten Orten aufstellen. Gerade an heißen Tagen
muss jeder Mensch einfach und schnell Zugang zu Trinkwasser haben – unabhängig vom
Geldbeutel. Um ein übermäßiges Aufheizen der Stadt zu vermeiden, wollen dafür sorgen, dass
Berlin eine Schwammstadt wird: Bei allen neuen Bauvorhaben soll möglichst viel Regenwasser
vor Ort im Boden versickern können, das speichert Wasser für trockene Zeiten. Bessere
Versickerung, lebendiges Stadtgrün und kühlere Straßen gibt es allerdings nur, wenn wir
endlich mehr Flächen entsiegeln. Wir wollen Berlins Verkehrsinfrastruktur in den nächsten
Jahren durch Entsiegelung und Umwidmung neu gestalten und überall in der Stadt grüne Oasen
mit Wasserbecken, Pocket Parks, Trink- und Spielbrunnen entstehen lassen, die Mensch und
Flora und Fauna vor Hitze schützen. Bis 2030 soll eine Netto-Null-Versiegelung erreicht
werden. Als Pilotprojekte und zur Veranschaulichung wollen wir nach dem Vorbild Wiens in
Berlin mehrere „Kühle Meilen“ etablieren. In diesen wird mit mehr Bäumen, Rank- und
Kletterpflanzen, mit Trinkwasserbrunnen, Wasserspielen, Erfrischungsmöglichkeiten für Jung
und Alt sowie entsiegelten Stellen und ausreichend Sitzgelegenheiten im Kiez eine Oase
geschaffen. Sie sollen verkehrsberuhigt sein und eine hohe Aufenthaltsqualität haben.
Wichtig ist, dass ein Aufenthalt nicht an einen Konsum gebunden ist und allen Menschen
gleichsam zugutekommt.
Die Klimakrise bringt darüber hinaus noch viele weitere gesundheitliche Folgen mit sich.
Krankheitsträger wie Zecken, Mücken und Sandfliegen werden sich durch die Erhöhung der
durchschnittlichen Temperatur zunehmend in Deutschland ausbreiten und somit dazu führen,
dass Krankheiten wie Malaria auch in Berlin auftreten. Zudem wird ein Anstieg an Allergien
und allergischen Symptomen erwartet, weil sich Blütephasen verlängern und Überschwemmungen
zu vermehrten Schimmelbildungen führen. Zudem werden vermehrt auftretende Naturkatastrophen
als „Trigger-Ereignisse“ zu Posttraumatischen Belastungsstörungen führen. Das hat besonders
für Kinder Folgen, deren Immunsystem noch nicht vollständig ausgebildet ist. Die Einhaltung
der 1,5 Grad Grenze des Pariser Klimaabkommens ist also auch aus gesundheitspolitischer
Sicht von zentraler Bedeutung.
Lärm- und Luftbelastung
Menschen, die an besonders vom Verkehr belasteten Straßen wohnen, leiden häufiger an Lungen-
und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie an Diabetes. Dazu trägt neben der schlechten Luft auch
die hohe Lärmbelastung bei. Deshalb ist die Verkehrswende nicht nur für den Klimaschutz
wichtig, sondern auch für die Gesundheit der Menschen.
Schlechte Luft gehört weltweit zu den bedeutendsten Gesundheitsrisiken. Dabei sind vor allem
Kinder von Luftverschmutzung betroffen. Zum einen, weil sie pro Kilo Körpergewicht mehr
Feinstaub einatmen als Erwachsene und eine höhere Atemfrequenz haben. Zum anderen, weil sie
mehr Zeit draußen verbringen und sich ihre Nasen näher an den Auspuffrohren von Fahrzeugen
befinden.
Drei Viertel der Deutschen fühlen sich zudem durch Straßenverkehrslärm belästigt. Lärm kann
zu Schlafstörungen, Herzinsuffizienz, Schlaganfällen und Herzinfarkten sowie psychischen
Erkrankungen führen, Kinder können Lernschwächen entwickeln. Besonders stark leiden dabei
Menschen, die dauerhaft mehr als einer Lärmquelle ausgesetzt sind, wie zum Beispiel einer
viel befahrenden Straße und einer Bahnschiene. Und das sind vornehmlich Menschen mit
geringem Einkommen. In Berlin leiden rund 250.000 Menschen unter gesundheitsgefährdendem
Straßenlärm. Zu ihrem Schutz brauchen wir dringend eine Verkehrswende in der ganzen Stadt.
Eine Verringerung der Lärm- und Luftbelastungen schafft mehr Lebensqualität und
Umweltgerechtigkeit in unseren Städten. Tempo 30 an so vielen Straßen wie möglich steigert
nicht nur die Verkehrssicherheit, sondern reduziert auch die Abgas- und Lärmbelastung
erheblich. Zudem brauchen wir mehr Radverkehr, mehr Elektromobilität und eine Stärkung des
öffentlichen Nahverkehrs. Allein die Einrichtung einiger Pop-Up-Radwege im Frühling 2020 hat
bereits zu einer spürbaren Verringerung der Lärmbelastung geführt. Es gilt dringend weitere
Maßnahmen zu ergreifen, die die Belastung minimieren. Deshalb wollen wir auch Fluglärm
nachhaltig mindern, indem wir dafür sorgen, dass die Menschen in der Nacht in Ruhe schlafen
können. Deshalb muss am BER ein striktes Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr gelten.
Helfen können aber auch alle Maßnahmen, die das Verkehrsaufkommen insgesamt verringern, wie
eine Stadt der kurzen Wege oder flexible Homeoffice-Regelungen.
Gesunde Ernährung
Mit der Berliner Ernährungsstrategie treiben wir die Ernährungs- und Agrarwende aktiv voran.
Denn gesundes Essen für die gesamte Bevölkerung trägt dazu bei, Klima-, Biodiversitäts-,
Bildungs-, Gesundheits- und soziale Ziele zu erreichen.
Wir setzen uns dafür ein, dass Berlin seiner Vorreiterrolle als Klimagesundheitsstadt
gerecht wird. Daher wollen wir die Glasgow-Erklärung „Ernährung und Klima“ unterzeichnen.
Wir wollen, dass gutes Essen für alle Berliner*innen unabhängig von der finanziellen
Situation erschwinglich ist. Dafür werden wir in den ersten bis sechsten Klassen das
Schulessen, das derzeit aus 50 % Bioanteil besteht, im Laufe der Legislatur auf 100 %
Bioanteil ausweiten und auch die weiterführenden Schulen einbeziehen. Auch in Kitas,
Krankenhäusern, Senioreneinrichtungen und öffentlichen Kantinen wird Berlin bis 2026
weitestgehend auf biologische, regionale und saisonale Lebensmittel umsteigen. Den
elementaren Zusammenhang zwischen Ernährung, Klima und Gesundheit wollen wir aufgreifen.
Unser Ziel ist dabei gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen. Wir wollen
die pflanzliche Ernährung fördern und damit den Fleischkonsum deutlich reduzieren sowie
faire Ernährungsumgebungen und den Tierschutz stärken. Dass dies möglich ist zeigen die
Ergebnisse der EAT-Lancet Kommission. Deshalb setzen wir uns für eine gesunde, ausgewogene
und schmackhafte Ernährung über die Lebensspanne ein, darunter auch ein Kita- und
Schulessen, das den aktuellen wissenschaftlichen Empfehlungen entspricht.
In Zusammenarbeit mit Wirtschaft, Zivilgesellschaft und dem Land Brandenburg werden wir die
Ernährungsstrategie fortführen und ausbauen. Das in Brandenburg entwickelte Qualitäts-Regio-
Siegel für Produkte aus dem Umkreis wird Berlin verbindlich in seinen Vergaben für die
öffentliche Gemeinschaftsverpflegung verwenden.
Damit die Umstellung der Gemeinschaftsverpflegung gelingt, wird die Fortbildungseinrichtung
„Kantine Zukunft“ weitergeführt und ihre Arbeit so verstetigt, dass sie regelmäßig neue
Küchen in ihr Umstellungsprogramm aufnehmen kann.
Die Wochen- und Großmärkte wird Berlin zu Zentren für regionale und biologisch angebaute
Lebensmittel ausbauen. Mit der Einrichtung von wenigstens einem „LebensMittelpunkt“ vor Ort
in jedem Berliner Bezirk wird in enger Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen
Akteur*innen den Menschen vor Ort Zugang zu gutem, gesundem und erschwinglichen Essen
ermöglicht und ein Ort des nachbarschaftlichen Zusammenlebens geschaffen.
An möglichst allen Schulen sollen Schulgärten etabliert und den Schulen Zugang zu Lehrküchen
ermöglicht werden. Möglichst viele Schulen sollen zu „Ernährungsschulen“ („Food Schools“)
gemacht werden, in denen das Essen frisch gekocht wird und die Schüler*innen an der
Zubereitung beteiligt werden. Mit einem zentral gelegenen „Food-Campus“ wird in der Stadt
ein Ort geschaffen, an dem Wissenschaft, Praxis, Bildung und fachpolitische Diskussionen von
und mit der Zivilgesellschaft die Ernährungswende in Berlin vorantreiben.
Wir werden aktiv gegen Lebensmittelverschwendung vorgehen, Projekte und Initiativen
unterstützen, die Lebensmittel retten und verteilen. Auf Bundesebene werden wir uns dafür
einsetzen, dass abgelaufene Lebensmittel nicht mehr weggeworfen werden dürfen, sondern an
Initiativen wie die Berliner Tafel oder Foodsharing abgegeben werden müssen und das
„Containern“ (Rettung entsorgter Lebensmittel aus den Mülltonnen von Supermärkten) zu
entkriminalisieren.
Sport und Bewegung
Sport und Bewegung machen Spaß, ermöglichen Gemeinschaft und tragen maßgeblich zum
Wohlbefinden bei. Wir wollen allen Berliner*innen ermöglichen, sich sportlich zu betätigen.
Egal in welchem Alter, egal ob organisiert und regelmäßig oder nur ab und zu, das
Sportangebot in Berlin soll alle Bedürfnisse abdecken und deshalb auch inklusive und
barrierefreie Sportanlagen und Sportstätten beinhalten. Dabei ist unsere Vision für Berlin,
dass Sport und Bewegung selbstverständlich in allen Bereichen mitgedacht werden: Sei es das
Laufen im Park, eine Runde Tischtennis im Hof, Bouldern an der Einkaufscenter-Fassade oder
Kicken in der Spielstraße. Dafür denken wir Sport und Bewegung auch in der Stadtplanung mit.
Denn die Förderung von körperlicher Aktivität im Alltag ist ein sehr wichtiger Baustein, um
die Bewegung insgesamt zu fördern. Dafür braucht es ausgebaute Sportstätten, sichere Fuß-
und Radwege, die Möglichkeit zur Bewegung in Parks und Grünflächen und eine
bewegungsfreundliche Stadtumgebung. Sport und Bewegung beinhaltet auch Präventionsangebote
und Rehabilitationsangebote für alle Bevölkerungsgruppen. Denn Sport und Bewegung ist der
beste Schutz vor Krankheiten und der Rehasport stell das körperliche Wohlbefinden wieder
her.
In Zukunft sollen die Angebote von Bewegungserziehung in Kitas ausgebaut werden und mehr
Bewegungsanreize für alle Bevölkerungsgruppen geschaffen werden wozu auch ein umfassendes
Schwimmangebot gehört.
Drogenpolitik
Beispielhaft für einen selbstbestimmten Umgang mit Gesundheit steht auch unser Ansatz für
die Drogenpolitik. Der Konsum von Drogen gehört zur Lebensrealität in unserer Stadt. Dies
gilt es anzuerkennen. Allein der jahrzehntelang erzwungene prohibitive Umgang mit
gesellschaftlich weit verbreitetem und akzeptiertem Cannabiskonsum hat die Probleme auch in
Berlin nicht entschärft, sondern verschärft. Wir Bündnisgrüne stehen für eine Neuausrichtung
der Drogenpolitik: Statt Kriminalisierung und Stigmatisierung braucht es einen fakten- und
evidenzbasierten Ansatz, der Menschen durch Prävention und Aufklärung schützt und damit
Verbraucherschutz überhaupt erst möglich macht, Abhängigen unkompliziert Hilfe zukommen
lässt und die Selbstbestimmung aller respektiert. Es braucht Aufklärung durch Bildungs- und
Jugendeinrichtungen wie auch durch zielgruppenspezifische Projekte und Angebote. Jugend- und
Gesundheitsschutz haben klar Vorrang vor Gewinninteressen. Die tödlichsten Drogen bleiben
Tabak und Alkohol. Wir beurteilen Drogen nach ihrer Gefährlichkeit, deshalb gilt es nach dem
Prinzip der harm reduction gefährlichen Konsum zu vermeiden und Konsumrisiken zu minimieren.
Mit einem Pilotprojekt zum Drug-Checking, das 2022 in die Umsetzung geht, machen wir einen
wichtigen Schritt, um Konsument*innen vor gefährlichen und gepanschten Drogen zu schützen.
Dieses wollen wir in einem zweiten Schritt mit mobilen Point-of-Care-Stellen weiter
ausbauen. Auch den Zugang zu Drogenkonsumräumen wollen wir weiter verbessern. Die Suchthilfe
muss stärker mit weiteren Angeboten der sozialen Arbeit (z. B. der Obdachlosenhilfe) und der
Jugendhilfe verzahnt werden, um Menschen, die in Abhängigkeit geraten oder davon gefährdet
sind, auch wirksam und langfristig zu helfen. Substitutionsprogramme, auch in Haftanstalten,
sollen verstetigt und ausgebaut werden.
Wir sehen die angekündigte Legalisierung von Cannabis durch ein Cannabiskontrollgesetz durch
den Bund als Chance und werden diese in Berlin zügig und umfassend umsetzen. Wir streben an,
dass das erste lizensierte Fachgeschäft für Cannabis in Berlin eröffnet wird, sobald dafür
die rechtliche Grundlage auf Bundesebene geschaffen wurde. Zudem befürworten wir die
Möglichkeit des Eigenanbaus für den Selbstgebrauch. Außerdem treten wir für einen Amnestie
aller wegen Cannabis gefällten Verurteilungen ein. Darüber hinaus wollen wir die
Entkriminalisierung vorantreiben. Dazu gehört, die Regelung zum Besitz geringer Mengen auf
weitere Betäubungsmittel zu erweitern, wie dies bereits in mehreren anderen Bundesländern
erfolgt ist. Auch wollen wir die Forschung auf dem Gebiet der psychoaktiven Substanzen
stärken und damit der generellen Tabuisierung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und
evidenzbasierten Antworten entgegenwirken.
Gesunde Gesundheitsinfrastruktur
Die Pandemie hat unseren Blick auf bereits länger bestehende Herausforderungen im
Gesundheitssystem gerichtet. Aber auch ohne Pandemie ist eine funktionierende und gut
ausgestattete Gesundheitsinfrastruktur von elementarer Bedeutung für eine gesunde
Gesellschaft und ein lebenswertes Berlin.
Wir unterstützen eine digitale, integrierte Versorgungsstruktur, die zukunftsoffen und
patientient*innenorientiert gestaltet wird. Dabei fördern wir eine stärkere Vernetzung der
verschiedenen Fachdisziplinen, um die Qualität in der Gesundheitsversorgung zu verbessern
und Gesundheitskosten zu senken, sowie digitale Kooperationen und Informationsflüsse
zwischen Versorgungsanbietern, um die Patient*innen direkt angemessen und ganzheitlich zu
versorgen.
Wir wirken darauf hin, hohe IT-Sicherheitsstandards im gesamten Berliner Gesundheitswesen zu
gewährleisten, indem wir die Rahmenbedingungen stetig auswerten, verbessern und an die
aktuellen Gegebenheiten anpassen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir Expert*innen
einstellen und ausbilden. Wir schaffen eine sicherheitsbewusste Arbeitskultur und steigern
die Digitalkompetenz der im Gesundheitswesen beschäftigten Menschen, unter anderem durch
adressatengerechte Ausbildungs- und Fortbildungsangebote. Wir stellen sicher, dass das
Gesundheitswesen im Krisenfall einsatzfähig bleiben kann.
Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD) als „Networker“ der Versorgung
Der ÖGD ist mehr als die dritte (statische) Säule des Gesundheitswesens. Er verbindet
individualmedizische mit gesellschaftsmedizinischen Ansätzen in den Bereichen des
Gesundheitsschutzes, der Gesundheitshilfen, der Gesundheitsförderung und der
Gesundheitskoordination unter Einbezug des Sozialraumes. Wir stehen für einen modernen
Öffentlichen Gesundheitsdienst, der als gleichberechtigter Partner und Netzwerker im
Gesundheitssystem wahrgenommen wird und eine wichtige Rolle als Garant für gesundheitliche
Chancengleichheit einnimmt. Um dieser ihm zugedachten Rolle gerecht werden zu können, sollte
geprüft werden, ob der ÖGD auch die Möglichkeit bekommen kann, bestimmte von ihm erbrachte
Leistungen mit den Krankenversicherungen abzurechnen.
Der Öffentliche Gesundheitsdienst in den Bezirken muss als wichtiger Bestandteil der
Daseinsvorsorge personell und in Bezug auf die IT-Ausstattung gestärkt und inhaltlich in den
Bereichen Gesundheitshilfen, Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung und
Gesundheitskoordination weiterentwickelt werden. Das ist eine der zentralen Lehren der
Pandemie. Wir brauchen einen gut ausgestatteten ÖGD um besser auf zukünftige Pandemien
vorbereitet zu sein. Der Pakt für den ÖGD hat hierzu eine gute Grundlage geliefert, deren
Möglichkeiten es auszuschöpfen gilt. Schon jetzt ist allerdings klar, dass diese
Möglichkeiten nicht reichen werden, um unsere Zielvorstellung eines modernen ÖGD zu
erreichen. Wir werden uns daher auch weiterhin dafür einsetzen, dass der ÖGD die nötigen
Ressourcen bekommt, um seine gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben zufriedenstellend
erfüllen zu können. Um hierfür eine solide Planungsgrundlage zu haben, muss das
Mustergesundheitsamt weiterentwickelt und angepasst werden.
Wir treiben die Digitalisierung der Gesundheitsämter gezielt voran, damit diese effizienter
arbeiten können und ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen können. Damit dies gelingen kann,
müssen strukturelle und technische Defizite in einem strukturierten Reformprozess evaluiert
und behoben werden.
Gesundheit spielt sich im Sozialraum ab
Wir stehen für eine niedrigschwellige, vernetzte Gesundheitsversorgung vor Ort und eine
bessere Verteilung der Angebote über die Stadt. Dabei ist es für die wohnortnahe ambulante
Versorgung wichtig, dass die Kassensitze niedergelassener Ärzt*innen gerechter über die
Stadt verteilt sind. Dazu werden wir die Gespräche mit Kassenärztlicher Vereinigung und
Krankenkassen weiter führen. Außerdem werden wir das Prinzip des Stadtteil-
Gesundheitszentrums, wie das Gesundheitskollektiv in Neukölln, in die verschiedenen Kieze
Berlins exportieren. Ziel eines integrierten Stadtteil-Gesundheitszentrums ist, die
Gesundheitsversorgung nicht nur medizinisch, sondern vor allem auch gesellschaftlich und
sozialpolitischzugestalten. Denn die Lebensverhältnisse der Menschen haben einen großen
Einfluss auf ihre Gesundheit. Stadtteil-Gesundheitszentren arbeiten in ausgewählten
Sozialräumen, wirken integrativ in multiprofessionellen Teams und haben so die soziale
Lebenssituation der Patient*innen fest im Blick. Behandlungen erfolgen dabei auf Augenhöhe
mit den Patient*innen, aber auch zwischen den Beschäftigten. Ärzt*innen,
Sozialarbeiter*innen, Therapeut*innen, Stadtteilmütter, Streetworker und Sprachmittlung
gehen dabei Hand in Hand und auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ein. So wird für jeden
und jede ein niedrigschwelliger Zugang zum Hilfesystem erreicht. Wir wollen damit die
Chancen von Kranken und Pflegebedürftigen verbessern und Zugangshindernisse abbauen.
Krankenhausfinanzierung und faire Bezahlung
Im Bereich der Krankenhausinvestitionen gilt, was für den Gesundheitssektor insgesamt gilt:
Mit guten Kooperationen und nur gemeinsam kommen wir weiter.
Das Land Berlin verfügt dabei mit Charité und Vivantes in Landesbesitz über zwei zentrale
Grundpfeiler der Krankenhauslandschaft, die einen erheblichen Teil der Gesundheitsversorgung
der Berliner*innen leisten. Mit diesen beiden Unternehmen hat das Land die Möglichkeit
starke gemeinwohlorientierte Akzente bei der Weiterentwicklung der Berliner
Gesundheitslandschaft zu setzen. Die gute Zusammenarbeit beider Unternehmen ist für ihren
wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und medizinischen Erfolg von entscheidender Bedeutung.
Wir bekennen uns deshalb zum Konzept Gesundheitsstadt 2030, insbesondere die Umsetzung der
gemeinsamen Standortentwicklung, eine Portfolioabstimmung und die Investitionsplanungen der
Gesundheitsstadt bieten jetzt die Chance die Weichen für die stationäre Krankenversorgung
auf europäischem Spitzenniveau und eine internationale Führungsrolle in medizinischer
Innovation zu sichern und auszubauen. Besonders in Sachen Krankenhäusern werden wir Grüne
die begonnene Trendwende bei den Krankenhausinvestitionen fortsetzen und setzen uns für ein
schrittweises Aufwachsen der Investitionsmittel ein. Wir setzen auf Investition und
Transformation: Die Folgen von unterlassenen Investitionen der Vergangenheit begleiten uns
noch an vielen Stellen im Gesundheitswesen – hier gibt es noch viel zu reparieren!
Transformation bedeutet für uns deshalb Investitionen an der richtigen Stelle. Nicht bloß
neu, sondern auch nachhaltig, müssen wir die Gelder für die Krankenhäuser priorisieren:
Klimagerechtes Bauen, verbesserte Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und bessere
Aufenthaltsqualität sind Maßstäbe für eine Grüne Krankenhausinvestitionsplanung. Wir
unterstützen auch den transformativen Wandel der Berliner Gesundheitseinrichtungen zum
klimaneutralen Betrieb. Um eine nachhaltige Ausrichtung der Berliner Kliniken zu fördern,
setzen wir uns dafür ein, dass alle Krankenhäuser ein*e Klimamanager*in benennen. Weiteres
Outsourcing oder (Teil-)Privatisierung im Krankenhausbereich lehnen wir ab.
Für eine zukunftsfähige Finanzierung des Krankenhausbereiches braucht es aber auch Reformen
auf Bundesebene, die die Fokussierung auf die Ökonomisierung des Krankenhausbetriebs und die
ertragsreichste Behandlung beenden. Klinken müssen in einem neuen Finanzierungssystem mit
einer starken Säule der Strukturfinanzierung sowie Vorgaben zur Personalbemessung und
Versorgungsqualität entsprechend ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden. Dabei
soll grundsätzlich gelten, dass die Personalplanung aller Berufsgruppen bedürfnisgerecht im
Interesse der Patient*innen und Beschäftigten erfolgt.
Dabei machen wir uns auch stark für eine gute tarifliche Entlohnung aller Beschäftigten in
den Krankenhäusern und haben daher die Berliner Krankenhausbewegung in ihren Forderungen
unterstützt. Daher begrüßen wir die erfolgreichen Tarifabschlüsse. Eine besondere
Verantwortung der Ampelkoalition im Bund liegt in der Einführung einer gemeinsam
Bürgerversicherung für alle Versicherten.
Qualifizierung und Wertschätzung der Beschäftigten
Eine gute und engagierte Gesundheitsversorgung der Berliner Bevölkerung ist nur mit
motivierten und qualifizierten Beschäftigten möglich, die wertgeschätzt und für ihre
Tätigkeit angemessen bezahlt werden. Zur guten Gesundheitsversorgung gehören auch
Ärzt*innen, die bereit sind, Patient*innen und Pflegebedürftigen auf Augenhöhe zu begegnen.
Beschäftigte aller Gesundheitsberufe leisten einen unschätzbaren Beitrag für unsere
Gesellschaft. Menschen, die bei Krankheit oder im Alter Unterstützung benötigen, wünschen
sich zu Recht Ärzt*innen und Pflegekräfte, die sich mit Sorgfalt um sie kümmern. Dafür
brauchen Pflegekräfte ausreichend Zeit, gute Arbeitsbedingungen und eine faire Bezahlung
nach Tarif. Daher wollen wir die Arbeits-, sowie Aus- und Weiterbildungsbedingungen für die
Beschäftigten im Gesundheitswesen weiter verbessern.
Um dem Pflegenotstand und Fachkräftemangel entgegenzuwirken, braucht es ebenso attraktivere
Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in der Pflege und den Gesundheitsberufen. Die Ausbildung
in anerkannten Gesundheitsberufen (Logopädie, Physio- und Ergotherapie) muss entgeltfrei
werden. Für Pflichtpraktika und Praxisphasen in Ausbildung und Studium der Pflege- und
Gesundheitsberufe, wie bspw. in der Psychotherapieausbildung oder dem PJ, müssen eine
angemessene Vergütung, Urlaubs- und Sozialversicherungsansprüche sowie faire
Arbeitszeitregelungen gelten. Den Praxisanteil der akademischen Pflege nach dem
Pflegeberufegesetz werden wir kurzfristig finanziell sichern. Wir setzen uns für
Schulgeldfreiheit bei der Ausbildung der anerkannten Gesundheitsberufe (Logopädie, Physio-
und Ergotherapie) ein.
Pflegekammer in Berlin
Schon seit Jahrzehnten wird über die Einrichtung von Pflegekammern in Deutschland
diskutiert. Hauptargument von Pflegeverbänden ist, Pflegefachpersonen durch eine eigene
Kammer mehr Gewicht in Politik und Versorgungsstrukturen zu geben und die
Versorgungsqualität der Gesellschaft in den Fokus zu rücken. Mit einer Pflegeberufskammer
kann neben dem Ansehen der Pflegefachpersonen auch die Aus- und Fortbildung qualitativ
gesichert werden. Dafür soll ein qualifizierter und wissenschaftlicher Diskurs mit den
Berufsverbänden der Pflegefachpersonen und den politischen Parteien geführt werden, der das
Ziel hat, eine gemeinsame Position zur Gründung einer Pflegekammer für Berlin zu erarbeiten.
Mit Gründung der Pflegekammer könnte die Definition der beruflichen Inhalte, des
Qualifizierungsbedarfs und die Aufsicht über die Ausübung des Berufs an die Selbstverwaltung
der Pflegeberufe delegiert werden. Unter dieser Voraussetzung können sich alle
Pflegefachpersonen mit mindestens dreijähriger Ausbildung zusammenschließen und eine
„Körperschaft des öffentlichen Rechts“ bilden. Die Tarifpolitik und die Definition von
humanen Arbeitsbedingungen bleiben weiterhin hoheitliche Aufgaben der gewerkschaftlichen
Interessensvertretung. Eine Kammer kann die Stimme aus der Pflege für die Pflege sein.
Hierzu bedarf es einer breiten Zustimmung und einem klaren Bekenntnis der Landesregierung
und der Pflege. Wir positionieren uns hier eindeutig und machen uns für eine Umsetzung in
dieser Wahlperiode stark.
Die Covid-19 Pandemie und ihre Folgen für unsere Gesellschaft
Die Covid-19 Pandemie hat weitreichende gesellschaftliche und gesundheitliche Folgen.
Langzeitfolgen wie die hohe Anzahl an Erkrankten mit Long COVID und die anhaltende
psychische Belastung in allen Altersgruppen werden uns noch über Jahre bis Jahrzehnte
beschäftigen.
Der Übergang von der pandemischen in eine endemische Situation erfordert flexible
Anpassungsmöglichkeiten von Schutzmaßnahmen. Es ist nicht auszuschließen, dass erneute
Mutationen das Infektionsgeschehen nachhaltig verändern. Im Mittelpunkt aller Maßnahmen muss
dabei weiterhin der Schutz vulnerabler Gruppen, sowie die Vermeidung des Ausfalls kritischer
Infrastruktur stehen. Das Tragen von Masken in Innenräumen ist eine einfache und wirksame
Möglichkeit, um Infektionen zu vermeiden.
Seit Beginn der Corona-Pandemie wurden je nach Infektionslage bereits eine Reihe von
Einschränkungen erforderlich, die maßgeblich zum Gesundheitsschutz beigetragen und viele
Erkrankungsfälle verhindert haben. Wir sind uns zugleich bewusst, dass sie auch zu
erheblichen Belastungen von großen Teilen der Gesellschaft geführt haben. Viele Familien
mussten zeitweise das Arbeiten im Homeoffice und die schulische Unterstützung und Betreuung
ihrer Kinder in viel zu kleinen Wohnungen unter einen Hut bringen. Etliche Selbstständige
gerieten in Existenzsorgen, weil ihre Einnahmen infolge von Einschränkungen erheblich
eingebrochen sind. Aus vielen Studien wissen wir aber, dass die Pandemie und
Infektionsschutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche besonders starke Belastungen und
Einschränkung bedeuten. Die Kontaktbeschränkungen engen in diesen Altersgruppen wichtige
Bedürfnisse nach unmittelbarem Kontakt, Austausch und Freundschaft ein. Die Schulsituation
ist belastender und führt dazu, dass Kinder aus von Armut betroffenen Familien in der Gefahr
sind, abgehängt zu werden. Daher sind insbesondere soziale Projekte unverzichtbar, die auch
Kinder aus sozial benachteiligten Familien erreichen. Zur Prävention psychischer
Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen müssen vorhandene Angebote wie z.B. das
„Schulpsychologische und Inklusionspädagogische Beratungs- und Unterstützungszentren
(SIBUZ)“ besser bekannt gemacht und genutzt werden.
Die Zunahme der Gesundheitsgefährdung durch psychische Belastungen am Arbeitsplatz ist ein
seit vielen Jahren fortschreitender Prozess, der sich durch die Pandemie weiter verstärkt
hat. Das gilt für alle Wirtschaftsbereiche. Besonders betroffen sind hierbei Angestellte in
Care-Berufen, wie beispielsweise Pflegepersonal, Reinigungskräfte, Therapeut*innen,
Hebammen, Pädagog*innen und Ärzt*innen.
Die Gesundheitsgefährdung durch psychische Belastungen wird bisher zu wenig ernstgenommen
obwohl sie große individuelle, gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Schäden durch
lange Krankheits- und Rehabilitationszeiten sowie Frühverrentungen verursacht.
Wir wollen hinreichend konkrete und verpflichtende Regelungen für den Umgang mit
arbeitsbedingter
psychischer Belastung in einer Arbeitsschutzvorschrift niederlegen. Die Landesregierung wird
aufgefordert, im Bundesrat eine Initiative für eine Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen
durch
psychische Belastung bei der Arbeit zu ergreifen.
Außerdem wollen wir beim LaGetSi einen Runden Tisch Gefährdung durch psychische Belastungen
(Arbeitstitel) mit Arbeitgeberverbänden, betrieblichen Interessenvertretungen und
Gewerkschaften,
Koordinierungsstelle Betriebliche Gesundheitsförderung der gesetzlichen Krankenversicherung,
gesetzlichen Unfallversicherungsträgern einrichten. Ziel des runden Tisches soll es sein
Maßnahmeprogramme zu entwickeln und umzusetzen.
Auch die Folgen der hohen Anzahl an Erkrankten mit Long COVID sind gravierend. Zehn bis
zwanzig Prozent aller Erkrankten leiden unter Symptomen, die über Monate und Jahre anhalten
können. Da es sich bei Long COVID um eine Multi-Organ-Erkrankung handelt ist das
Krankheitsbild vielfältig. In schweren Fällen entwickeln die Betroffenen ein chronisches
Erschöpfungssyndrom (CFS) und sind infolgedessen auch langfristig arbeitsunfähig. Aber auch
andere Symptome, wie chronische Schmerzen und ausgeprägte Denk- und Konzentrationsstörungen,
Gedächtnisstörungen und Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates erschweren den Betroffenen
die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. In der Zivilgesellschaft und im Gesundheitswesen
werden die Betroffenen zu oft nicht ernst genommen. Wir wollen, dass sich das ändert.
Es fehlt sowohl an medizinischen als auch an sozialen Strukturen, die die Bedürfnisse von
Erkrankten mit Long COVID abdecken können. Die bestehenden Ambulanzen sind überlastet und
die Wartezeiten entsprechend lang. Wir wollen deshalb flächendeckende Beratungsangebote für
Betroffene von Long COVID einführen und aus diesen Beratungsstellen heraus die Betroffenen
mit Fallmanager*innen bei Antrags- und Widerspruchsverfahren unterstützen. Ein engmaschiger
Informationsaustausch aller Beteiligten, sowohl auf der Patient*innenseite, als auch im
Gesundheitswesen soll so schnell wie möglich unterstützt werden.Außerdem wollen wir
anlehnend an das Schweizer Long COVID Netzwerk Altea digitale Strukturen aufbauen um
Informationen und Austauschmöglichkeiten für Erkrankte bereitzustellen. Wir setzen uns für
umfassende medizinische und berufliche Rehamaßnahmen ein.
Es bedarf einer Stärkung und besseren Vernetzung bestehender Beratungs- und
Behandlungsangebote, wie auch der Schaffung von neuen Angeboten, die sich in die bereits
bestehende Angebotslandschaft einfügen. Durch die Pandemie wurden intensivierte
Versorgungsangebote (wie z. B. Testzentren und Impfzentren) parallel zum bestehenden
Versorgungssystem geschaffen. Wir brauchen einen Plan, wie wir die dort gemachten
Erfahrungen analysieren und damit in Zukunft umgehen wollen. Wir plädieren für die
Einrichtung einer Enquete-Kommission „Krisenfeste Stadtgesellschaft“ in Anlehnung an das
Vorbild der von der grün geführten Regierungskoalition in Baden-Württemberg eingesetzten.
Die Kommission soll Strategien entwickeln, wie die Stadtgesellschaft besser für zukünftige
Krisen gewappnet werden kann.
Lehren aus der Pandemie richten sich dabei an alle Politikfelder. Das Pandemiemanagement
sensibilisiert besonders für das Konzept von Health in all policies. Diese Sensibilisierung
sollte verstärkt in den nach-pandemischen Diskurs mitgenommen und verankert werden.
Eine Pandemie ist nie ein isoliertes Ereignis. Pandemie bedarf mehr als Gesundheitsschutz,
sondern auch den frühzeitigen Einbezug einer multiprofessionellen Begleitung (sozial-,
wirtschafts-, gesundheitswissenschaftlich, Kommunikationswissenschaften, ethisch und
psychologisch). Durch die Klimakrise ist die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, dass
weitere Pandemien folgen werden. Daher ist es dringend notwendig, für zukünftige Ereignisse
unter Berücksichtigung der Lessons learned frühzeitig und umfassend Vorsorge zu treffen.