Veranstaltung: | FLINTA-Vollversammlung 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 3 "Wir verdienen mehr!" Leitantrag & Diskussion |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | FLINTA-Konferenz |
Beschlossen am: | 28.09.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Wir verdienen mehr! Für einen feministischen Arbeitsmarkt
Beschlusstext
Der Gender Pay Gap, die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, liegt in
Deutschland bei 18 Prozent.[1] Von unfairer Entlohnung und ungleicher Behandlung
auf dem Arbeitsmarkt sind Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans* und
agender Personen (FLINTA) besonders betroffen. FLINTA arbeiten häufiger in
Berufen, die strukturell schlechter bezahlt werden und übernehmen seltener
Führungspositionen. Sie erledigen mehr unbezahlte Sorgearbeit und nehmen
aufgrund von Schwangerschaften und Kindererziehung häufiger längere Auszeiten
aus dem Erwerbsleben. Sie arbeiten häufiger in Teilzeit oder in Minijobs. All
das wirkt sich negativ auf die finanzielle Selbstständigkeit von FLINTA aus und
sorgt dafür, dass sie häufiger von Altersarmut betroffen sind. Doch ohne die
Erwerbsarbeit und Care-Arbeit von FLINTA würde unsere Gesellschaft nicht
funktionieren. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass gute Arbeit endlich auch
gut entlohnt wird.
FLINTA verdienen mehr – im Bund und in Berlin
Unklare Gehalts- und Beförderungsstrukturen befördern den Gender Pay Gap. Wenn
Gehaltsstrukturen und -verhandlungen, sowie Beförderungen undurchsichtig sind,
haben FLINTA weniger Informationen und Möglichkeiten, faire Gehälter zu fordern.
Fehlende Transparenz bei der Tarifeinstufung oder generell fehlende Tarifbindung
sowie faktische Entgeltungleichheit werden als Individualproblem ausgelegt,
obwohl sich dahinter Strukturen abbilden, die echte Lohngerechtigkeit
verhindern. Das Entgelttransparenzgesetz muss in seiner Grundstruktur erheblich
verbessert und auch endlich umgesetzt werden und Unternehmen auch kleinerer
Betriebsgrößen zur proaktiven Lohntransparenz verpflichten. Deswegen
unterstützen wir das Vorhaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, die EU-Entgelttransparenzrichtlinie zügig und umfassend in
nationales Recht zu überführen.
Ungleich verteilte Sorgearbeit ist auch heute noch ein geschlechterbasiertes
Problem. FLINTA sind häufiger in Teilzeitbeschäftigung tätig oder unterbrechen
ihre Karrieren, um sich um Familie und Kinder zu kümmern. Das führt zu geringen
Verdienstmöglichkeiten und wirkt sich negativ auf die Rente für FLINTA aus.
Obwohl sich viele Familien Fürsorge- und Erwerbsarbeit gleichberechtigt
aufteilen wollen, gilt bei der Steuer nach wie vor das Modell: ein Elternteil
verdient das Geld, der zweite Elternteil bleibt zuhause und kümmert sich um die
Care-Arbeit.
Das Ehegattensplitting ist ungerecht sowie unzeitgemäß und muss reformiert
werden. Aktuell ist die Steuerersparnis umso höher, je größer der
Einkommensunterschied zwischen den Ehepartner*innen und je höher das gemeinsame
Einkommen ist. Somit fördert das Ehegattensplitting Alleinverdiener-Haushalte
mit hohen Einkommen und stellt eine große Hürde für die Erwerbstätigkeit von
Frauen dar. Sie arbeiten häufiger in Teilzeit oder Minijobs und erzielen damit
ein niedrigeres Lebenserwerbseinkommen. Dies führt zu einem erhöhten
Armutsrisiko im Alter oder nach einer Trennung. Auch bildet das
Ehegattensplitting die vielfältigen Formen partnerschaftlichen Zusammenlebens
nicht ab. Die Reform soll das Ehegatten-Splitting durch eine
Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag ersetzen.
Alleinerziehende (Ein-Eltern-Familien), die sowohl das Familieneinkommen
erwirtschaften als auch die Familiencare-Arbeit leisten, werden aktuell durch
die Eingruppierung in die Steuerklasse 2 benachteiligt. Auch für sie müssen
grundlegende Veränderungen, die die Abschaffung der Steuerklasse 2 nicht
ausschließen, geschaffen werden.
Statt eine Brücke zu Vollbeschäftigung zu schaffen, sind Teilzeit und Minijobs
zu Dauerbeschäftigungen gewachsen. Die Zahl der Minijobs beträgt deutschlandweit
über 6,4 Millionen. Mehr als zwei Drittel betreffen Frauen. Insbesondere
Alleinerziehende sind davon betroffen. Wichtige Hebel hiergegen sind die
Reformierung von Steuervorteile bei Minijobs und den Einbezug in die
Sozialversicherung gesetzlich zu regeln.
FLINTA haben beim Sprung in die Selbständigkeit mit mehr Herausforderungen zu
kämpfen als Männer. Hierzu tragen nicht nur traditionelle Rollenbilder, die
Frauen als Chefinnen nicht vorsehen, bei. Auch die Tatsache, dass für FLINTA
eine Familiengründung in Selbständigkeit mit wesentlich höheren Hürden verbunden
ist als für Männer, spielt eine entscheidende Rolle. Dass während des
Mutterschutzes Kund*innen zu anderen Anbieter*innen wechseln, lässt sich kaum
verhindern - dies führt jedoch dazu, dass viele selbständige FLINTA kaum
Elternzeit nehmen können, um so schnell wie möglich nach dem Mutterschutz wieder
ihre Arbeit aufzunehmen. Damit FLINTA in dieser Situation nicht ihre
Selbständigkeit aufgeben müssen, muss es dringend flexiblere
Kinderbetreuungsmöglichkeiten auch für einzelne Tage oder wenige Stunden auch
für sehr kleine Kinder vor dem Eintritt in die Kita geben. Es ist problematisch,
dass selbständige Menschen nicht automatisch in die gesetzlichen
Krankenversicherungen einzahlen (können), die ja Mutterschaftsgeld als
Versicherungsleistung tragen. Wir unterstützen deshalb die Forderung nach einer
Bürgerversicherung und die Forderungen der Initiative "Mutterschutz für alle".
Darüber hinaus braucht es zusätzlich Lösungswege, die die wirtschaftlichen
Gefahren für das Unternehmen während des Mutterschutzes über spezielle,
finanziell leistbare Ausfallversicherungen abwenden.
Im Vergleich zum Gender-Pay-Gap fällt der Pension-Pay-Gap noch viel dramatischer
aus. Langfristige Verbesserungen könnten die Ursachen beheben, aber das betrifft
vor allem zukünftige Generationen. Auf viele Frauen aus den Babyboomer-
Jahrgängen wartet dagegen eine Rente unter dem Existenzminimum. Das bedeutet,
dass viele von ihnen auf Transferleistungen angewiesen sein werden oder von der
Versorgung in einer „Ernährer-Ehe“ abhängig bleiben. Wir brauchenmutige Reformen
des Rentensystems: Zum Beispiel durch eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung
für ALLE, ergänzt durch eine einkommensabhängige verpflichtende Versicherung, in
die ALLE einzahlen.
Gendergerechte Ausbildung
Die Berufswahl und Verteilung in verschiedenen Branchen wird stark von
patriarchalen Strukturen beeinflusst. Berufe, die als "Frauenberufe" gelten,
werden in diesen Strukturen oft abgewertet und schlechter bezahlt. Wenn
verschiedene Geschlechter dazu neigen, unterschiedliche Berufe zu wählen, die
unterschiedlich bewertet und bezahlt werden, verstärkt das die Lohnlücke
zwischen den Geschlechtern.
Ein wichtiger Beitrag für eine gendergerechte Ausbildung beginnt schon bei der
Berufsorientierung. Hier ist es notwendig, gezielt Mädchen und junge FLINTA für
Ausbildungsberufe, die momentan noch männerdominiert sind, anzusprechen und sie
für diese zu begeistern. Es sollte mehr (bezahlte) Praktika und einzelne
Mitlauftage geben, damit verschieden Berufe kennengelernt werden können. Die
Zusammenarbeit der Schulen mit den Jugendberufsargenturen muss ausgebaut werden,
sodass Berufsberater*innen von der Jugendberufsargenturen mit festem
Arbeitsplatz in den Schulen in mehreren Beratungsgesprächen Beziehungsarbeit
leisten können und z.B. Schüler*innen an Betriebe vermitteln können.
Wir fordern außerdem genügend betriebliche Ausbildungsplätze zusätzlich zum
neuen Gesetz zur Ausbildungsgarantie (April 2024). Dies wird durch eine
Umlagefinanzierung bewerkstelligt, bei der alle Betriebe, die nicht ausbilden,
eine Umlage in einen Fonds einzahlen, der dann neue, weitere Ausbildungsplätze
schafft und gleichzeitig die ausbildenden Betriebe entlastet. So gibt es mehr
ausbildende Betriebe und die Qualität der Ausbildungen steigt, weil z.B. bessere
Vergütung möglich ist und überbetriebliche Ausbildungsstätten finanziert werden.
In Berlin gibt es die Integrierte Berufsausbildungsvorbereitung, ein sehr
sinnvolles und hilfreiches Konzept, das derzeit noch recht unbekannt ist. Durch
eine Umbenennung kann sie attraktiver und bekannter gestaltet werden. Wir
fordern außerdem eine Orientierungsausbildung, bei der man die Branche und
Berufliche Schulen, Oberstufenzentren, kennenlernt, aber sich noch nicht für
eine Ausbildung entscheidet. Durch Zentrale Tage der offenen Tür in den
Oberstufenzentren und organisierte, begleitete Teilnahme von Schüler*innen der
allgemeinbildenden Schulen können diese Art von Angeboten besser an die
Schüler*innen getragen werden.
FLINTA in männerdominierten Berufen
Wir brauchen dringend mehr Handwerker*innen und FLINTA sind die größte
Potenzialgruppe. Um FLINTA für den Handwerksberuf zu begeistern, braucht es mehr
Vernetzung unter den Frauen, Sensibilisierung bei den bisher männlich
dominierten Betrieben und gezielte Berufsorientierung. Zudem braucht es
Beschwerdestrukturen für Antidiskriminierung und für Probleme im Betrieb. Dabei
sollte alles zentral über eine Stelle laufen, damit diese auch bekannt wird und
sich etabliert. Es braucht auch eine zentrale Beratungsstelle (z.B. für Azubis
mit Kind, oder Hilfe bei Bürokratie), die über das Azubiwerk läuft. Dieses
wollen wir analog zum Studierendenwerk aufbauen. Das Azubiwerk soll außerdem
Wohnraum akquirieren, um die Wohnungskrise für Azubis zu bekämpfen. Auch
gemeinsame Studi- und Azubiwohnheime können eine geeignete Strategie sein. Genau
so, wie es an Unis zusätzlich zu den Modulen beispielsweise FLINTA-
Programmierkurse gibt , sollte es auch kostenlose und bekannte Angebote für
FLINTA in Ausbildungen geben (z.B. Schweißkurse), um die Möglichkeit zu haben
sich auf den Beruf vorzubereiten.
Wie das Handwerk sind die Digitalwirtschaft und Start-up-Unternehmen ein
männlich dominiertes Feld, in denen FLINTA eher die Ausnahme bilden. Berlin ist
Hotspot der Digitalwirtschaft und Ort digitalpolitischer Debatten. Die
Digitalwirtschaft mit ihren vielen Start-ups ist ein zentraler Motor der
wirtschaftlichen Entwicklung und sichert Berlin als Standort mit Zukunft. Doch
der Anteil von weiblichen Gründerinnen liegt in Berlin bei nur 18,3 Prozent[2].
Deshalb setzen wir uns für höhere Frauenquoten bei der Vergabe von
Gründungsförderungen ein. Projekte, die Gründerinnen unterstützen, wollen wir
finanziell besser ausstatten. Wir müssen zudem die Aus- und
Weiterbildungsangebote für digitale Kompetenzen für FLINTA fördern und FLINTA in
der Digitalbranche sichtbarer machen. Denn neben der Tatsache, dass auch FLINTA
von den guten Gehältern in der Digitalbranche profitieren sollen, wird in dieser
Branche die Technologie unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens entwickelt.
Diversere Entwickler*innenteams sorgen dafür, dass Künstliche Intelligenz,
Social Media Plattformen und eine digitale Verwaltung auch die Bedürfnisse von
FLINTA berücksichtigen und diese weniger anfällig für Diskriminierung, Hassrede,
Datenschutzverstöße, Doxing und Stalking sind.
Auch in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und
Technik) sind FLINTA stark unterrepräsentiert. In den Leistungskursen, den
Ausbildungen oder Studiengängen, den Professuren oder der Berufswelt bilden
FLINTA nur die Ausnahme, sodass gut bezahlte Jobs oder Entscheidungspositionen
männlich besetzt bleiben. Die Förderung für Mädchen und junge FLINTA in MINT-
Fächern muss bereits in der frühkindlichen Bildung angesetzt und durch alle
weiterführenden Schulen fortgesetzt werden. Gezielte Schnupperangebote in
außerschulischen Bildungseinrichtungen sowie Initiativen und Vereine, die die
spielerische Vermittlung von MINT-Kompetenzen an Mädchen und junge FLINTA zum
Ziel haben, wollen wir in Berlin stärker unterstützen.
FLINTA sollten in jeder Lebensphase unterstützt werden, Kenntnisse zu erwerben,
die ihre Situation am Arbeitsmarkt verbessern. Daher muss Lebenslanges Lernen
für FLINTA in Weiterbildungsinitiativen unterstützt werden. Gerade in der sich
schnell ändernden Software- und Digitalbranche sind Weiterbildungen essentiell,
um aktuelle Kenntnisse vorweisen zu können. FLINTA können reguläre
Weiterbildungsmaßnahmen, die häufig außerhalb der Arbeitszeiten stattfinden,
jedoch oft aufgrund von Care-Arbeit nicht besuchen. Daher sind Einrichtungen,
wie zum Beispiel das Frauen Computer Zentrum Berlin (FCZB e.V.) oder die ReDI
School of Integration, die Kinderbetreuung anbieten und auch auf die
Kommunikationsbedürfnisse eingehen zu untertstützen.
Genau wie im Handwerk sind wir im MINT-Bereich mit einem extremen
Fachkräftemangel konfrontiert, der uns nicht zuletzt bei der Bekämpfung der
Klimakrise Steine in den Weg legt. Die Energiewende hin zu Erneuerbaren wird die
europäische und deutsche Infrastruktur und Wirtschaft transformieren. Als Grüne
haben wir die besondere Verantwortung, diese Transformation sozial und inklusiv
zu gestalten. Die Stärkung von FLINTA in diesem Sektor ist nun wichtig, um sie
auch von den neuen Jobs in der Energiewende profitieren zu lassen, einen
Wiedereinstieg nach Jobverlust zu ermöglichen und nicht erneut ungleiche
Strukturen zu etablieren.
Ungerechte Verteilung von Care-Arbeit
Der Begriff „Vollzeitarbeit“ erkennt nur die Lohnarbeitszeit an. Besonders
FLINTA, aber auch andere Menschen mit Sorgeverantwortung, leisten zusätzlich zu
ihrer Lohnarbeit viele Stunden unbezahlte Arbeit. Wer einen Haushalt führt,
Kinder erzieht und eine Familie versorgt oder wer Angehörige pflegt, die*der
arbeitet. Um das neben der Erwerbsarbeit zu schaffen, wünschen sich viele
Arbeitnehmer*innen eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit bei vollem
Lohnausgleich[3]. Wir wollen den erfolgreichen Beispielen vieler Städte folgen
und in Berlin ein Modellprojekt zur reduzierten Wochenarbeitszeit auf den Weg
bringen.
Gleichzeitig gilt es in Berlin verlässliche Strukturen in Kita- und Ganztag
anzubieten, um qualitativ hochwertige Betreuung und Bildung zu ermöglichen.
Hierzu sind Qualifizierungs- und Onboardingstrategien auch für
Quereinsteiger*innen, Jobwechlser*innen, Einwander*innen und Menschen mit
Fluchthintergrund zu entwickeln, um den wachsenden Bedarf an Fachkräften zu
decken und berufsbegleitende Qualifizierung zu ermöglichen. Die bündnisgrüne
Abgeordnetenhausfraktion hat erfolgreich für höhere Löhne für Erzieher*innen
gekämpft - nun gilt es, auch die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass sich
in Zukunft wieder mehr Menschen für diesen Beruf entscheiden. Wir unterstützen
deshalb - sowohl zum Wohl der Kinder als auch zum Erreichen von besseren
Arbeitsbedingungen für das Personal - die Bestrebungen zum Kita
Qualitätsentwicklungsgesetz unserer Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Ein
verlässliches Bildungs- und Betreuungsangebot erleichtert vor allem Frauen ihre
Erwerbsarbeitszeit und Entwicklungsmöglichkeiten frei zu wählen.
FLINTA in Führungspositionen
Für mehr Geschlechtergerechtigkeit braucht es auch mehr FLINTA in
Führungspositionen - sowohl, weil sie Unternehmen oft anders leiten, als auch
weil sie so Vorbild für jüngere Frauen sind. Bis eine Ausgeglichenheit beim
Zugang zu Führungspositionen erreicht ist, braucht es deshalb Maßnahmen, die den
Weg von FLINTA in Führungspositionen gezielt unterstützen. Gerade bei den
Landesunternehmen konnten wir während unserer Regierungszeit wichtige Schritte
gehen - daran gilt es anzuknüpfen und diesen Weg weiter zu gehen. Schwarz-Rot
lässt hier viel zu viel Potenzial in unserer Stadt liegen; wir wollen hingegen
endlich die Hälfte der Macht - auch in Führungspositionen!
Lohnungleichheit
Frauen verdienen auch dann weniger, wenn das Land Berlin Arbeitgeberin ist. Es
ist nicht glaubwürdig, sich gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz einzusetzen,
wenn diese Ungleichheit bei den eigenen Arbeitnehmer*innen fortbesteht. Deshalb
fordern wir den Senat auf, effektive Maßnahmen für Lohngerechtigkeit umzusetzen
und Transparenz herzustellen. Um gleiche Chancen und faire Löhne für alle zu
erreichen, müssen wir die Hindernisse beseitigen, die das verhindern. Dazu
gehören undurchsichtige Tarifeinstufungen, die Elternzeit als Karrierestopper
und die Schwierigkeit, Familie und Vollzeitjob zu vereinbaren.
FLINTA im Niedriglohnsektor
Knapp jede fünfte Frau (19 Prozent)[4] arbeitete im April 2023 in Deutschland im
Niedriglohnsektor. Sowohl im Bund als auch in Berlin hat der Mindestlohn die
Lohnsituation vieler Menschen verbessert. Um die sozialpolitische Situation von
Menschen abzusichern, müssen der Mindestlohn weiter erhöht und gesetzliche
Kontrollen verstärkt werden. Berlin sollte dabei weiterhin eine Vorreiterrolle
spielen. Teilzeitarbeit darf kein Hindernis für berufliche Entwicklung sein und
nicht zu niedrigerem Einkommen oder Altersarmut führen. Es ist wichtig, die EU-
Mindestlohnrichtlinie umzusetzen, die Mitbestimmung zu stärken und die
Beteiligung von FLINTA zu fördern.
In Berlin fordern wir den Ausbau von Programmen für den (Wieder)-Einstieg von
Pflegenden, Familienversorger*innen und Alleinerziehenden und Coachingprogramme
für FLINTA in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen, um ihren Einstieg
in Beschäftigung mit Sozialversicherung zu fördern. Um FLINTA aus prekären
Arbeitsbeschäftigungen zu helfen, fordern wir die rechtliche und die
steuerrechtliche Gleichstellung von Regenbogenfamilien und Ein-Eltern-Familien
(Alleinerziehende).
Eine echte Gleichstellung bedarf außerdem eines Nationalen Aktionsplans,
vergleichbar mit dem Aktionsplan zur Bekämpfung von Hass und Hetze bei LGBTIQ*-
Personen.
Tarifverträge
Tarifverträge sichern gute Arbeitsbedingungen, Mitbestimmungsrechte, Zeit für
Weiterbildung und Work-Life-Balance. In Berlin haben nur 13 Prozent der
Unternehmen eine Tarifbindung, während es im öffentlichen Dienst und bei den
landeseigenen Unternehmen 60 Prozent sind – dies ist deutlich ausbaufähig.
Konsequente Maßnahmen gegen die sinkende Tarifbindung sind notwendig. Dies kann
in Berlin unter anderem durch die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand an
Unternehmen, die einem Tarifvertrag angehören, erreicht werden, zum Beispiel bei
Schulessen oder Schulreinigung.
Ein effektives Entgeltgleichheitsgesetz ist ebenfalls erforderlich, um
Chancengerechtigkeit zu fördern und die EU-Richtlinie für Lohngleichheit
umzusetzen. In der Betrachtung und Eingruppierung von Erzieher*innen versus
Ingenieur*innen und Handwerker*innen gibt es nach wie vor strukturell
unterschiedliche Bewertungen. Das Land Berlin soll seine Stimme in der
Tarifgemeinschaft der Länder einbringen, um einen Prozess anzustoßen, der auch
die Eingruppierungen im Öffentlichen Dienst im Hinblick auf
Geschlechterstereotype und verfestigte Ungleichheiten untersucht und anpasst.
Intersektionaler Blick auf den Arbeitsmarkt
Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt hängt nicht nur vom Geschlecht ab.
Verschiedene Diskriminierungsformen wirken gleichzeitig und beeinflussen sich
dabei. Um spezifische Diskriminierungsformen besser erkennen und abbauen zu
können, ist deswegen die intersektionale Perspektive auf Erwerbsarbeit für alle
FLINTA in ihrer lebensweltlichen Realität notwendig. So sind zum Beispiel
migrantische FLINTA auf spezifische und unterschiedliche Weisen in der
Arbeitswelt diskriminiert. FLINTA migrieren aus den verschiedensten Gründen und
sind eine in sich sehr vielfältige Gruppe. Entsprechend unterschiedlich ist der
Unterstützungsbedarf, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen oder den Schritt in
die Selbstständigkeit zu wagen. Für geflüchtete FLINTA stellt die
Massenunterkunft von geflüchteten Personen am ehemaligen Flughafen Tegel (UA
TXL) zudem aktuell eine weitere Herausforderungen dar.
Vorhandene Strukturen und Angebote in Berlin müssen sich sowohl an zugewanderte
FLINTA selbst als auch an die im Wege des Familiennachzugs mit- und
nachreisenden Familienangehörigen richten. Diese Strukturen und Angebote sollen
den Wunsch nach Erwerbsarbeit unterstützen, dürfen dabei aber nicht nur auf ein
Aktivwerden der Zugewanderten und deren Kenntnis des deutschen Bildungs- und
Arbeitsmarktes setzen. Hier müssen die vielfältigen Wege und Möglichkeiten
aufgezeigt werden und die Informationen zu den FLINTA gebracht werden.
Auch FLINTA mit Behinderungen erfahren auf dem Arbeitsmarkt eine doppelte
Diskriminierung: die Überschneidung der Diskriminierung aufgrund ihrer
Behinderung und aufgrund ihre Geschlechts macht ihre Position im Arbeitsmarkt
besonders marginal. Sie werden schlechter bezahlt, erhalten selten Vollzeit- und
Führungspositionen und sind durch Haushalts- und Familienaufgaben besonders
belastet. Deswegen müssen wir sie darin zu empowern, selbst zu handeln und
selbst zu entscheiden. Von gleichberechtigter Teilhabe sind wir noch weit
entfernt.
Eine strukturelle dauerhafte Förderung ist essentiell, um vorhandene Berliner
Projekte, die FLINTA mit Behinderungen empowern, weiterzuentwickeln statt immer
wieder neue Modellprojekte zu starten. Wir brauchen eine dauerhafte und stabile
Finanzierung der Angebote, die regelmäßig angepasst wird, weil Bedarfe und
Aufgaben stets wachsen. Außerdem ist ein gesellschaftlicher und politischer
Bewusstseinswandel nötig: weg von der rein medizinischen Betrachtung hin zum
Empowerment – Menschen mit Behinderungen sind Expert*innen eigener Sache.
Darüber hinaus ist es notwendig, dass Frauenbeauftragte in Werkstätten für
Menschen mit Behinderungen und anderen Einrichtungen für Menschen mit
Behinderungen gesetzlich verankert und finanziell ausgestattet werden.
Was wir fordern:
- Wir müssen FLINTA für den Handwerksberuf begeistern, aber auch die
Bedingungen für diese Gruppe verbessern.
- FLINTA in der Digitalwirtschaft, in der Selbständigkeit und in MINT-
Fächern dürfen nicht weiter die Ausnahme sein. Wir müssen aktiv daran
arbeiten, die Strukturen in diesen Bereichen zu verändern.
- Care-Arbeit muss endlich als gleichwertige Arbeit anerkannt werden. Wir
fordern in Berlin ein flächendeckendes und qualitatives Betreuungsangebot.
- Für die Pflege von Angehörigen soll es Lohn-Ersatzleistungen geben und es
sollen angemessene Rentenpunkte dafür angerechnet werden.
- Wir fordern gezielte Maßnahmen, die Frauen dabei unterstützen, in
Führungspositionen zu kommen, und so die Bemühungen für mehr
Gleichberechtigung in Führungsetagen weiterführen.
- Das Entgelttransparenzgesetz muss endlich realitätsnah verbessert und
umgesetzt werden und zur Lohntransparenz verpflichten.
- Im Bund wie in Berlin sind eine weitere Anhebung des Mindestlohns und
stärkere gesetzliche Kontrollen notwendig. Hierbei sollte Berlin weiterhin
seiner Vorreiterrolle gerecht werden.
- Tarifbindung in Berliner Unternehmen muss deutlich ausgebaut werden, um
gute Arbeitsbedingungen und faire Entlohnung zu sichern.
- Spezifische Formen von Diskriminierung, die sich überlagern und
gegenseitig negativ verstärken können, müssen besser erkannt und bekämpft
werden. Geflüchtete FLINTA brauchen außerdem die Unterstützung, die an
ihre besonderen Bedürfnisse angepasst ist. Um FLINTA mit Behinderungen
gleiche Teilhabe zu ermöglichen, müssen Angebote dauerhaft und verlässlich
finanziert werden.