Veranstaltung: | LDK am 3. Juni 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 7 Weitere Anträge |
Antragsteller*in: | LAG Tierschutzpolitik (dort beschlossen am: 28.04.2023) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 28.04.2023, 23:39 |
V-10: Klimaschutz gemeinsam mit Artenschutz – Spatz & Co. gehören zu Berlin
Antragstext
Die Klimakrise ist auch eine Biodiversitätskrise. Auch und gerade Kulturfolger und Arten des
urbanen Raums sind von diesen Krisen betroffen. Wir teilen unsere Stadt mit anderen
Lebewesen und profitieren von einer guten Koexistenz. Die gebäudebewohnenden Vogel- und
Fledermausarten benötigen zum Überleben den Verbund von Lebensstätten und Nahrung. Diese
Lebensgrundlagen sind auch in Berlin bedroht. Besonders schwerwiegend ist der schleichende
Verlust von Bruthöhlen und Quartieren an Gebäuden – obwohl es technologisch bewährte,
wartungsfreie und nachhaltige Hilfsmaßnahmen gibt, die auch für Bauherr*innen praktikabel
und rechtssicher sind.
- Der Schutz von Gebäudebrütern soll in Förderprogrammen für energetische oder andere
Gebäudesanierungen und Bauvorhaben verankert werden.
- Zusätzlich zu Mindeststandards für Artenschutzgutachten müssen diese Sichtungen
rechtzeitig und generell verpflichtend vor allen Bau- oder Sanierungsvorhaben erfolgen,
damit Lebensstätten tatsächlich vor der Brutzeit verschlossen werden können und der
gesetzliche Ersatz gesichert werden kann. So können begleitend auch zielgerichtet
Lebensstätten und Lebensräume im Biotopverbund geschaffen werden. Ersatz- und
Ausgleichsmaßnahmen sollen bevorzugt lokal und funktional umgesetzt werden, denn die
betroffenen Arten der Gebäudebrüter sind standorttreu. Die Naturschutzämter müssen
rechtzeitig Kenntnis von den Bauvorhaben bekommen und der Informationsfluss zu den
Bauherr*innen soll verbessert werden.
- In der Bauordnung bzw. einer ergänzenden Bauvorlagenverordnung, den Bebauungsplänen sowie
städtebaulichen Verträgen sind ökologische Aspekte wie etwa Maßnahmen für Gebäudebrüter und
ein Verweis auf den besonderen Artenschutz des Naturschutzgesetzes aufzunehmen – nur das
Baunebenrecht allein bleibt wirkungslos. Auch beim „Lückenschluss“-Bauen nach § 34 BauGB
sollen alle Spielräume zugunsten des Artenschutzes genutzt werden. Der Schutz von
dauerhaften Ruhe- und Fortpflanzungsstätten bei Baumaßnahmen soll zudem explizit Eingang in
das Berliner Naturschutzgesetz finden.
- Im Rahmen der Förderung der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) soll Bürger*innen-
Wissenschaft („Citizen Science“) gefördert werden, so dass mehr Meldungen von Bürger*innen
über das Vorkommen von Gebäudebrütern bei Baumaßnahmen erfolgen. Hausbesitzer*innen- und
Mieter*innenverbände, Architekt*innen und Energieberater*innen sollen für den Artenschutz
an Gebäuden effektiver über bestehende Regelungen und Möglichkeiten informiert werden sowie
Planungssicherheit über standardisierte Abläufe und Checklisten erlangen. Diese
Rahmenbedingungen sollen in die Bauleitplanung und die Vorgaben für Architekt*innen
eingehen. Die Naturschutzämter müssen technisch modern und mit ausreichend Personal
ausgestattet werden. Die Bauherr*innen sollen nicht länger, wie es derzeit der Fall ist, ein
hohes Maß an Rechtssicherheit und Serviceleistung verlieren.
- Auch bei der Freiraumplanung, Bepflanzung und Parkpflege müssen ökologische Aspekte
berücksichtigt werden. Bei Gebäuden wie auch Grünflächen soll die Leitlinie
tierunterstützendes Gestalten („Animal Aided Design“) beachtet werden, die u. a. auch in der
„Berliner Strategie für die biologische Vielfalt“ genannt ist. Die Artenschutzbelange in
Neubauquartieren und Bestandsgebieten im Rahmen der „Charta für das Berliner Stadtgrün“
müssen weiter qualifiziert und finanziert werden. Grünsatzungen für Berlin sollen wie
bereits in vielen anderen Städten Grünstrukturen sichern, entwickeln und vermehren – dies
dient neben der Klimaanpassung auch den Habitaten von geschützten Arten.
Begründung
(Dieser Antrag wurde in einer vorhergehenden Fassung bereits zur LDK 1/20 eingereicht, aber aufgrund von Pandemie sowie Programm- und Wahl-LDKen ohne V-Anträge kam es nie zu einer Befassung. Zur Begleitung des Antrags wurde eine Infobroschüre der LAG erstellt und ist von der Homepage abrufbar: http://gruenlink.de/1d1z)
Am 7. Dezember 2019 haben wir bei der LDK im Leitantrag beschlossen: „Bei energetischer Modernisierung muss der Arten- und Tierschutz für Gebäudebrüter besser beachtet werden, denn in den Bauplanungs- und Genehmigungsverfahren, bei der Gebäudebrüter-Verordnung, bei der Begutachtung und dem Vollzug in den Naturschutzbehörden bestehen große Defizite.“ –dieser Auftrag wird mit diesem Antrag unterstützt, aktualisiert und detailliert.
Eine Aufnahme des Artenschutzes und der Schaffung von Nistkästen in die Berliner Bauordnung ist während der Zeit der grün-beteiligten Koalition von 2016 bis 2023 nicht erfolgt. Diese Defizite müssen wir jetzt erneut angehen und Lösungen vorbereiten – denn auch mit unserer Regierungsbeteiligung im Bund haben wir große Verantwortung dafür, dass typisch urbane Arten und ökologische Habitate nicht im Zuge der baulichen Umgestaltung unserer Stadt verdrängt werden. Der Schwund dieser Tiere erfolgt für die meisten Menschen noch unsichtbarer als der Vogelschlag an Glas.
Einige Arten haben sich als Kulturfolger dem Menschen angeschlossen und sind von jeher auf menschliche Bauten zum Überleben angewiesen. Vögel wie „Haus“rotschwänze und „Mauer“segler sowie Fledermäuse nutzen standorttreu Nischen und Höhlungen an Gebäuden. Mehl- und Rauchschwalben bauen Nester an Fassaden. Inzwischen stehen selbst ehemals als selbstverständlich angenommene Arten wie der „Haus“sperling, als „Spatz“ bekannt, oder der Mauersegler vielerorts auf der Vorwarnstufe bzw. auf der Roten Liste. Auch Wildbienen siedeln in altem Mauerwerk.
An Gebäuden befindliche Fortpflanzungs- und Ruhestätten von Vögeln und Fledermäusen sind ganzjährig gesetzlich geschützt. Das betrifft ebenso regelmäßig wiedergenutzte Habitate wie Sträucher oder Fassadengrün, die für den Fortpflanzungserfolg der geschützten Arten zwingend notwendig sind. Die betroffenen Arten sind nach EU-Vogelschutzrichtlinie, Bundesnaturschutzgesetz und Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützt, diese gesetzlichen Regeln gelten individuell.
Bei der Sanierung von Gebäuden müssen diese Fortpflanzungs- oder Ruhestätten rechtzeitig erfasst und ggf. unbrauchbar gemacht bzw. entfernt werden. In Berlin regelt dies seit 2014 die „Verordnung über Ausnahmen von Schutzvorschriften für besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten“ (791-1-2 / „Gebäudebrüterverordnung“): Die Bauherr*innen müssen die Vorkommen von geschützten Brutvögeln und Fledermäusen im und am Bau rechtzeitig selbstständig erkennen und melden, zerstörte Nester müssen ersetzt werden. Der Rückgang der Arten und die Anzahl der Baustopps durch nicht erkannte Vorkommen zeigt, dass dieser Schutz in der Praxis dysfunktional ist und auch eine Novellierung „einschließlich energetischer Sanierung“ keine Abhilfe leisten konnte (vgl. u.a. schriftliche Anfragen 0134/IX via BVV Pankow).
Hinzu kommt das Vollzugsdefizit in den Naturschutzbehörden: Der generelle Personalmangel wird zusätzlich durch die Arbeit bzgl. Bebauungsplänen, Eingriffen, dem allgemeinen Artenschutz nach § 39 BNatSchG, dem Handelsartenschutz und andere Planungen wie Kompensationsbedarfen verstärkt. Weitere parlamentarische Anfragen belegen, dass es in ganz Berlin eine hohe Dunkelziffer hinsichtlich der artenschutzrechtlich relevanten Zugriffe auf geschützte Lebensstätten gibt, die nicht behördlich begleitet werden. Auch bei energetischen Sanierungsmaßnahmen werden viele Fortpflanzungs- und Ruhestätten auch durch Unwissenheit zerstört. Mit verbesserten Regelungen würden Baustopps durch zu spätes Erkennen des Vorkommens geschützter Arten, Schadensersatzforderungen sowie Haftungsfragen der Vergangenheit angehören – und Bauen wird rechtssicher und verlässlich.
In anderen Städten ist die Verdrängung geschützter Arten schon weiter vorangeschritten und es müssen aufwändige Schutzmaßnahmen ergriffen werden. In Berlin haben wir noch die Chance, aus diesen Erfahrungen zu lernen und entschieden zu handeln.
Ökosystemleistungen wie z. B. Beschattung werden in Zeiten von Klimakrise und Artensterben immer wichtiger – hierzu zählen auch kulturelle Leistungen wie Erleben von Stadtnatur, auch als ein Aspekt der Umweltgerechtigkeit. Dabei können Synergieeffekte genutzt werden, so dass Flora und Fauna gleichermaßen ein Refugium finden und zur Sicherung der Lebensqualität langfristig geschützt werden können. Das Abschlussdokument der internationalen Biodiversitätskonferenz „COP 15“ von Dezember 2022 besagt, dass auch in urbanen und dicht besiedelten Gebieten bei der Planung Biodiversität für die Wohlfahrt und Gesundheit der Menschen einbezogen werden muss. Die Gesundheit der Natur, der Tiere und der Menschen gehört zusammen – das Konzept heißt „One Health“.
Nach Berliner Naturschutzgesetz können Maßnahmen für Naturschutz und Landschaftsplanung auch aus nicht städtebaulichen Gründen aufgestellt werden. Öffentliche bzw. öffentlich geförderte Baumaßnahmen haben eine Vorbildfunktion bei der Realisierung ökologischer, wirtschaftlicher und innovativer Standards. Das tierunterstützende Gestalten („Animal-Aided Design“, AAD) beschäftigt sich mit der Schaffung geeigneter Rückzugsräume für Tierarten im Rahmen einer auf den Klimawandel ausgerichteten Stadtplanung. Nistkästen und Fledermausquartiere – entweder außen an der Fassade angebracht oder integriert in die Dämmung – gibt es als optisch ansprechende Lösungen, die weder gewartet noch gereinigt werden müssen.
Es ist nicht aufwändig, Lebensräume für unsere tierischen Nachbarn beim Start eines Bauprojekts gleich mit zu planen. Es ist sogar kostengünstiger, als solche Maßnahmen später im Zuge einer Umgestaltung zu realisieren. Diese Maßnahmen tragen zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der „Strategie zur Biologischen Vielfalt“, der Deklaration „Biologische Vielfalt in Kommunen“ sowie dem Masterplan Stadtnatur der Bundesregierung bei. Zusätzlich gewähren die Nistangebote insbesondere an Gebäuden von Bildungseinrichtungen gute Beobachtungsmöglichkeiten und können hervorragend für die Umweltbildung/BNE genutzt werden.
Änderungsanträge
- V-10-042 (LAG Planen Bauen Wohnen Stadtentwicklung (dort beschlossen am: 24.05.2023), Eingereicht)