Veranstaltung: | LDK am 04. Mai 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 10 Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Tarek Massalme (KV Berlin-Mitte) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Abstimmung |
Eingereicht: | 26.03.2024, 20:08 |
V-10: Für eine aktive und nachhaltige Wohnungspolitik
Titel
Antragstext
Mit 57,6 Prozent der abgegebenen Stimmen haben die Berliner*innen am 26. September 2021 dem
Volksentscheid zur Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen großer Wohnungsunternehmen
zugestimmt. Ziel der Initiator*innen war es, durch die Enteignung privatwirtschaftlich
verwalteter Wohnungsbestände ab 3.000 Wohneinheiten die Mietpreisentwicklung in Berlin
dauerhaft zu dämpfen. Dafür soll der Wohnungsbestand von bis zu 240.000 Wohneinheiten in die
Verwaltung einer Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) überführt werden.
Schon zum Zeitpunkt der Abstimmung gab es erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel an der
geforderten Enteignung. Insbesondere wurde in Frage gestellt, ob sich dadurch das Ziel
bezahlbarer Mieten überhaupt realisieren ließe. Seither haben sich die wirtschaftlichen und
finanzpolitischen Rahmenbedingungen erheblich verändert:
- Die für staatliche und privatwirtschaftliche Kredite zu zahlenden Zinsen haben sich
vervielfacht. Während das Land Berlin neue Kredite vor drei Jahren zinsgünstig
aufnehmen konnte, beträgt der Anleihezins derzeit mehr als 2,5 Prozent pro Jahr.
Allein für die Übernahme entstünden - abhängig von der Entschädigungshöhe -
zusätzliche Finanzierungskosten von jährlich 200 bis 900 Millionen €, die durch
drastische Einsparungen an anderer Stelle oder über höhere Mieten erwirtschaftet
werden müssten.
- Die Preise - insbesondere für Energie - sind massiv angestiegen und haben die Kosten
für die Bewirtschaftung von Wohnraum stark erhöht und so zum Anstieg der
Mietnebenkosten geführt. Zudem sind auch die Baukosten erheblich angestiegen und
machen Neubauten und erforderliche Instandhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen deutlich
teurer.
- Das Bundesverfassungsgericht hat durch seine Entscheidung zur sog. “Schuldenbremse”
vom 15. November 2023 den Spielraum zur staatlichen Kreditaufnahme, und insbesondere
zur Verlagerung von Schulden in Nebenhaushalte, drastisch reduziert.
Durch diese Veränderungen haben sich die finanziellen Risiken einer etwaigen Enteignung
deutlich erhöht. Die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Maßnahme hängt maßgeblich von einer
angemessenen Entschädigung der bisherigen Eigentümer ab, deren Finanzierbarkeit zunehmend
fragwürdig ist. Selbst wenn eine Enteignung nicht durch das Bundesverfassungsgericht
beanstandet würde, wären damit untragbare Belastungen für den Berliner Landeshaushalt
verbunden, insbesondere wenn zugleich die Mieten subventioniert werden sollten.
Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, stehen für eine faktenbasierte und wissenschaftlich fundierte
Politik. Wir sehen in dem Gutachten des Rechnungshofs einen wichtigen Beitrag für die
wohnungspolitische Diskussion. Angesichts der wirtschaftlichen und finanzpolitischen
Rahmenbedingungen sehen wir nicht, dass die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen
ein verfassungsrechtlich tragfähiges, wirksames und politisch verantwortbares Instrument
ist, um den Wohnungsmarkt in Berlin dauerhaft zu entspannen und dem Mietpreisanstieg
entgegenzuwirken.
Eine nachhaltige Entspannung am Berliner Wohnungsmarkt kann nur durch eine mittel- bis
langfristig ausgelegte Wohnungspolitik erreicht werden, die auf dem Grundsatz des Förderns
und Forderns aller gesellschaftlichen Akteur*innen beruht, gleich ob sie privat, öffentlich-
rechtlich oder genossenschaftlich sind. Wir sind uns bewusst, dass das Land Berlin die a
Knappheit an bezahlbaren und verfügbaren Mietwohnungen nicht allein beseitigen kann, da
fundamentale Marktentwicklungen diese Lage mit ausgelöst haben. Wir setzen uns deshalb dafür
ein, dass der Bund entsprechende Bemühungen Berlins und anderer Städte stärker unterstützt,
auch durch die Anpassung des bundesgesetzlichen Rahmens.
Zweckentfremdungsverbote durchsetzen
Wir setzen uns dafür ein, dass das Zweckentfremdungsverbotsgesetz durch personelle und
technische Untersetzung der Bezirksverwaltungen auch wirkungsvoll durchgesetzt werden kann.
Dadurch werden viele tausend illegal genutzte Ferienwohnungen mittelbar dem Berliner
Wohnungsmarkt zugeführt. Der Bezirk Mitte hat ein Grundsatzurteil beim
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Kampf um Wohnraum erwirkt und stärkt damit das
Berliner Zweckentfremdungsverbotsgesetz.
Genossenschaftlichen Wohnungsbau stärken
Der genossenschaftliche Wohnungsbau ist eine tragende Säule einer nachhaltigen
Wohnungspolitik in unserer Stadt. Wir wollen die Teilhabe von Bürger*innen an
gemeinwohlorientierten Wohnprojekten stärken und setzen uns für die Stärkung vorhandener
Genossenschaftsmodelle sowie den Aufbau neuer Wohnungsbaugenossenschaften ein. Hierfür
wollen wir den Zugang zu zinslosen Darlehen bei Erwerb und Neubau stärker als bislang
fördern, denn die gestiegenen Zinsen und hohen Errichtungskosten würgen zunehmend auch den
Genossenschaftsbau ab. Und das in einer Zeit, in der bezahlbarer und dauerhaft gesicherter
Wohnraum dringend benötigt wird. Dazu gehört auch der Erwerb und Zugang zu Grundstücken über
das Erbbaurecht.
Öffentlich-rechtliche Wohnungsbaugesellschaften stützen
Wir setzen uns für eine bessere finanzielle Ausstattung der öffentlich-rechtlichen
Wohnungsbaugesellschaften ein. Sie stehen durch die gestiegenen Baukosten und die
dynamischen Zinsentwicklung zunehmend unter Druck, ihr öffentlich-rechtlicher Auftrag zur
Errichtung und Zukauf von Wohngebäuden mit Sozialbindung ist deutlich erschwert. Um den
harten Wegfall der Wohnraumförderung, unabhängig von den Laufzeiten, zukünftig besser zu
steuern, streben wir flexible Übergangsmodelle an, die einen weichen Auslauf der Förderung
über den festgelegten Förderzeitraum hinaus ermöglichen, um auf zukünftige Entwicklungen am
Wohnungsmarkt bedarfsgerecht reagieren zu können.
Flächenschonenden Wohnungsbau erleichtern
Wir wollen, dass zusätzlicher Wohnraum auch im mittleren Preissegment entsteht. Ein
kontrollierter und behutsamer Zubau von Wohnraum im Bestand kann in den kommenden Jahren
viele tausend zusätzliche Wohnungen schaffen. Um den Flächenverbrauch zu begrenzen und die
vorhandene Infrastruktur noch besser zu nutzen, wollen wir den Ausbau von Dachgeschossen und
Aufstockungen stärker fördern. Um die hohen Errichtungspreise zu dämpfen, wollen wir uns für
weitere Erleichterungen im Planungsrecht einsetzen, gerade im Umgang mit den Berliner
Altbaudächern. Denn jede zusätzliche Wohnung führt auch zu neuen Gründächern und mehr
Solarflächen. Damit auch die Kieze attraktiv bleiben, wollen wir die sozialräumliche
Infrastruktur weiter ausbauen. Jedes Kind muss einen Schul- und Kitaplatz bekommen.
Begründung
Der Volksentscheid zur Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen großer Wohnungsunternehmen war ein Hilferuf gegen Mietpreisanstieg und Wohnungsmangel. Seither hat sich die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt weiter verschärft. Gleichzeitig wird aber immer deutlicher, dass das vom Volksentscheid favorisierte Mittel der Enteignung privater Wohnungsunternehmen nicht geeignet ist, bezahlbare Wohnungen bereitzustellen und sich dämpfend auf die Mietpreisentwicklung auszuwirken.
Eine durch den rot-grün-roten Berliner Senat einberufene Expert*innenkommission hält in ihrer Stellungnahme vom 28. Juni 2023 zwar eine Vergesellschaftung auf Grundlage des Artikels 15 Grundgesetz für rechtlich grundsätzlich möglich. Ob die durch die Initiator*innen ermittelte, nicht auf den Verkehrswert bezogene Entschädigungshöhe von 8 Mrd. Euro verfassungsrechtlich gedeckt sei, blieb innerhalb der Kommission jedoch umstritten.
Ausgehend von den Ergebnissen der Expert*innenkommission hat sich der Landesrechnungshof mit den haushaltsrechtlichen und finanziellen Auswirkungen einer Enteignung von Wohnungsbeständen großer Wohnungsunternehmen für den Berliner Landeshaushalt befasst. Die Ergebnisse wurden am 20. Februar 2024 vorgestellt. Die Finanzierungsfrage hat durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sog. “Schuldenbremse” vom 15. November 2023 zusätzlich an Bedeutung gewonnen. Damit ist der Spielraum des Haushaltsgesetzgebers zur staatlichen Kreditaufnahme und insbesondere zur Verlagerung in Nebenhaushalte drastisch eingeschränkt worden. Dies gilt auch für die Finanzierung einer etwaigen Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen.
Auf Grundlage differenzierter Berechnungsmodelle weist der Rechnungshof nach, dass eine Vergesellschaftung entlang der im Volksentscheid genannten Ziele mit sehr hohen Haushaltsrisiken verbunden wäre. Insbesondere das im Volksentscheid zu Grunde gelegte, nicht auf den Verkehrswert bezogene Berechnungsmodell zur Ermittlung der Entschädigungshöhe sei von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich Art. 14 Abs. 3 GG nicht gedeckt. Besonders hervorzuheben ist dabei die Auffassung, dass das wesentliche Ziel des Volksentscheids verfehlt würde - nämlich die Mietenentwicklung dauerhaft zu dämpfen. Dies wirft wiederum erhebliche verfassungsrechtliche Fragen auf, da eine Vergesellschaftlichung gem. Art. 15 GG nur im überwiegenden Gemeininteresse zulässig sei.
Eine Vergesellschaftung kann – wenn überhaupt – nur grundgesetzkonform erfolgen, wenn sich die Entschädigung am Verkehrswert orientiert. Selbst wenn die niedrigsten anzunehmenden Entschädigungssummen zugrunde gelegt würden, wäre eine Vergesellschaftung mit großen Haushaltsrisiken verbunden. Zudem ließe sich selbst unter optimistischen Annahmen die angestrebte Mietminderung nur durch zusätzliche Haushaltsmittel abbilden. Im Gegenteil wären sogar wesentliche Mieterhöhungen zu erwarten, sollte die finanzielle Eigenständigkeit einer AöR sichergestellt und die Kreditfinanzierung im anvisierten Finanzierungszeitraum von 32 Jahren erfolgen. Selbst wenn die ebenfalls diskutierte, nicht verkehrswertbezogeneEntschädigungssumme von 11 Mrd. Euro angesetzt wird, verfehlt eine Vergesellschaftung das Ziel geringerer Mieten auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Die durchschnittliche Miethöhe für vergesellschafteten Wohnraum würde - ohne zusätzliche Subventionen aus dem Landeshaushalt - bestenfalls 7,20 EUR/m² Wohnfläche betragen und sich damit auf demselben Niveau bewegen wie der durchschnittliche Mietpreis der Vonovia mit derzeit 7,43 EUR/m².
Auch nicht berücksichtigt sind die verschärften Bestimmungen zur energetischen Sanierung. Das Europaparlament hat am 14. März 2024 eine Richtlinie zu Sanierungsvorgaben gebilligt, die dazu beitragen soll, dass die EU ihre Klimaziele einhält. Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität im Gebäudesektor. Mittelbar wird die Richtlinie in nationales Recht überführt. Bei einem Finanzierungszeitraum von 32 Jahren müssen jedoch diese notwendigen Investitionen in die energetische Sanierung und Instandhaltung Berücksichtigung finden. Die vom Senat ermittelte, auf den Verkehrswert bezogene Entschädigungssumme von 36 Mrd. Euro würde den Finanzierungszeitraum auf bis zu 80 Jahre erhöhen, wenn die finanzielle Eigenständigkeit einer AöR ohne Bezuschussung aus dem Landeshaushalt sichergestellt werden soll. Das wäre eine quasi Verdreifachung des anvisierten Finanzierungszeitraums, der weit über den Zeitraum bis 2050 zur Einhaltung der Klimaneutralität reicht.
Die Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Wir treten dafür ein, dass auch die privaten Wohnungsunternehmen ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten müssen. Diese Entwicklung ist sicher und zeigt sich schon heute in den Bilanzen: Der Verkehrswert der Immobilien (€/qm) von Vonovia ist von 2022 auf 2023 um 6,4 Prozent gesunken. Und das in Zeiten der Wohnungskrise und bevor die Sanierungsvorgaben der EU verbindlich beschlossen worden sind. Diese Bewertung preist die notwendigen Sanierungskosten schon jetzt ein, und schon deshalb sollte man diese Immobilien nicht vergesellschaften.
Unterstützer*innen
Änderungsanträge
- Globalalternative: V-10-001 (Katrin Schmidberger (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg), Eingereicht)
- V-10-046 (Franziska Eichstädt-Bohlig (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf), Eingereicht)
- V-10-063 (Hans-Christian Höpcke (KV Berlin-Lichtenberg), Eingereicht)
- V-10-082 (Franziska Eichstädt-Bohlig (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf), Eingereicht)
- V-10-082-2 (Franziska Eichstädt-Bohlig (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf), Eingereicht)