Veranstaltung: | LDK am 04. Mai 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 10 Verschiedenes |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 04.05.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Für eine soziale und nachhaltige Wohnungspolitik
Beschlusstext
Die Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt hat sich weiter verschärft und erfordert einen
wohnungspolitischen Paradigmenwechsel. Das zeigt auch der IBB-Wohnungsmarktbericht 2023 sehr
deutlich: Die mittlere Angebotsmiete - die Nettokaltmiete - ist in nur einem Jahr um über
21% gestiegen – das ist der höchste Anstieg seit Beginn der Untersuchungen. Überhöhte
Angebotsmieten im Neubau wie im Bestand, die Entkoppelung der Neuvertragsmieten von den
Bestandsmieten, die Mietenexplosion durch möbliertes, temporäres Wohnen und der Verlust von
Sozialwohnungen – all diese negativen Entwicklungen sind höchst besorgniserregend, weil
damit auch der soziale Zusammenhalt immer weiter verloren geht. Selbst der gutverdienende
Mittelstand kann diese Mietsteigerungen nicht mehr weiter so tragen. Während das verfügbare
Einkommen seit 2013 um 27% gestiegen ist, haben sich die Angebotsmieten (Wieder-
/Neuvermietung) gleichzeitig um 47% erhöht. Zusätzlich schaden die immer weiter steigenden
Mieten der ohnehin unterdurchschnittlichen Kaufkraft der Berliner*innen. Der neue
Mietspiegel, der bald veröffentlicht wird, wird voraussichtlich Mietsteigerungen von bis zu
11-15% ermöglichen und damit die Mietpreisspirale weiter anheizen.
Aber auch die Neubaupolitik des Senats ist gescheitert, weil die Mieten im Neubau
durchschnittlich 63% höher liegen als im Bestand und kaum Sozialwohnungen entstehen – das
Mietniveau des Berliner Wohnungsmarkts sinkt eben nicht durch teuren Neubau. Umso schwerer
wiegt, dass die Koalition wider besseres Wissen den Neubau gegen den Bestand ausspielt und
den Mieter*innenschutz nicht als zentrales Instrument nutzt. Zwar ist die direkte Begrenzung
von Mieten Bundesrecht, das entlässt den Senat aber nicht aus seiner Verantwortung. Selbst
die angekündigte Mietpreisprüfstelle, die im Koalitionsvertrag verankert ist, wird nicht
ansatzweise vorbereitet. Eigentlich hatte die Koalition eine Anlaufstelle geplant, die
überhöhte Mieten prüfen und Verstöße gegen die Mietpreisbremse ahnden sollte. Doch nun
musste der Senat zugeben, dass er das Vorhaben nicht realisieren wird. Auch den Bezirken
wird dafür kein Personal zur Verfügung gestellt. Der Senat verweist lediglich auf die
kostenfreien Mieter*innenberatungen in den Bezirken, die wir bereits unter Rot-Grün-Rot
geschaffen haben.
Die Untätigkeit beim Mieter*innenschutz von Schwarz-Rot hat leider Programm. Ob beim Thema
spekulativer Leerstand und der Anwendung des sog. Treuhänder-Modells, bei der Reform des
Zweckentfremdungsverbotsgesetzes, beim Abriss, beim Thema Zweitwohnungen und möbliertes
Wohnen, beim zunehmenden Problem von Eigenbedarfskündigungen oder sogar bei
niedrigschwelligen Maßnahmen wie dem kommunalen Wohnungstausch: Der Senat zeigt keinerlei
Initiative, die Mieter*innen besser vor Verdrängung zu schützen und dem Verlust von
bezahlbarem Wohnraum etwas entgegenzusetzen. Die Rettung des Tuntenhauses – erstritten von
der Zivilgesellschaft und den Mieter*innen - mag dabei eine erfreuliche Ausnahme sein.
Tagtäglich erleben wir aber, dass private Wohnungskonzerne und profitorientierte
Vermieter*innen bestehende Gesetze missachten und die Wohnungsbestände absichtlich
vernachlässigen. Deshalb muss Schwarz-Rot aufhören, den Mieter*innenschutz weiter zu
vernachlässigen. Es gibt auf der Bezirks- und Landesebene viele Möglichkeiten und
Ansatzpunkte, zum Beispiel bei der Bekämpfung von spekulativem Leerstand, Zweitwohnungen,
Mietwucher, möbliertem Wohnen und Eigenbedarfskündigungen. Dabei gilt es nicht nur die
bestehenden Gesetze zu schärfen, sondern auch neue Gesetze wie ein Wohnungswirtschaftsgesetz
sowie neue Instrumente wie ein Miet- und Wohnungskataster einzuführen, um die Bezirke
endlich dabei zu unterstützen, bestehende Vollzugsdefizite beim Wohnraumschutz zu
beseitigen.
Wir setzen auf den Dreiklang “konsequenter Mieter*innenschutz, sozial-ökologischer Neubau
sowie Ankauf” und arbeiten als Bündnisgrüne weiterhin für das Ziel, einen mehrheitlich
gemeinwohlorientierten Wohnungsmarkt zu erreichen: Mehr als 50% der Wohnungen in Berlin
müssen Schritt für Schritt in öffentliche und genossenschaftliche Hand. Dazu wollen wir die
landeseigenen Wohnungsunternehmen gemeinsam mit Genossenschaften, Stiftungen und anderen
gemeinwohlorientierten Akteur*innen in die Lage versetzen, durch An- und Vorkauf, sozial-
ökologischen Neubau und Vergesellschaftung in den nächsten Jahren stark zu wachsen. Denn die
landeseigenen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften verzeichnen im Vergleich zu großen,
privaten Wohnungskonzernen deutlich niedrigere Mieten und sind damit der Garant für
dauerhaft bezahlbaren Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung.
Im Jahr 2021 stimmten fast 58 Prozent der Wähler*innen und damit fast über eine Millionen
Menschen dafür, große börsennotierte Wohnungsunternehmen zu vergesellschaften. Der Senat
verschleppt diesen eindeutigen, demokratischen Auftrag weiter absichtlich. Und das, obwohl
die vom damaligen Senat einberufene Expert*innenkommission die Vergesellschaftung der ca.
240.000 Wohnungen unter bestimmten Voraussetzungen (u.a. angemessene
Entschädigungszahlungen) für rechtlich möglich hält.
Statt sich fachlich und seriös damit auseinanderzusetzen, schiebt der Senat lieber den
Landesrechnungshof vor, um mit unzureichend untersetzten Entschädigungssummen Stimmung gegen
die Vergesellschaftung zu machen. Die Kritik des Landesrechnungshofs ist - wie bei der
Debatte zur Schuldenbremse allgemein – nicht auf der Höhe der Zeit, wenn er argumentiert,
die Schuldenbremse und die Vergesellschaftung seien nicht miteinander vereinbar. Denn die
Finanzierung würde wie bei allen größeren Ankäufen der letzten Jahre über eine Mischung aus
schuldenbremsen-konformen
Transaktionskrediten und einer Kreditaufnahme durch die zu gründende Anstalt öffentlichen
Rechts, die die Bestände bewirtschaften soll, finanziert werden. Das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse hat sowohl auf die Möglichkeiten von
Transaktionskrediten als auch die Kreditaufnahme einer Anstalt öffentlichen Rechts keine
Auswirkungen. Zudem hat der Landesrechnungshof die Kapitalkosten, sprich die Last aus Zins
und Tilgung, deutlich zu hoch angesetzt und folgt zu Unrecht der Annahme, dass der Anteil
der Finanzierung, der in Form von Transaktionskrediten aus dem Landeshaushalt getragen
werden soll, den gleichen Tilgungszeiträumen unterliegen wie gängige
Immobilienfinanzierungen. Schließlich muss beachtet werden, dass die Kapitalkosten für die
öffentliche Hand deutlich geringer sind als für Private, und dass das insgesamt höhere
Zinsniveau zu niedrigeren Verkehrswerten - und damit auch niedrigeren Entschädigungssummen -
führt. Vonovia und andere Wohnungskonzerne mussten durch höhere Zinsen ihre Buchwerte
bereits deutlich abwerten. Fest steht: Vergesellschaften nach Artikel 15 ist günstiger als
Enteignen nach Artikel 14. Laut dem Abschlussbericht der Expert*innenkommission könnte sich
die Entschädigungssumme auch an anderen Faktoren orientieren als am Verkehrswert und wäre in
jedem Fall geringer als dieser. Der Senat ignoriert diese Erkenntnisse, um weiter mit
Horroszenarien gegen den Volksentscheid wettern zu können.
Die entscheidenden Fragen, ab welchem Zeitpunkt das Verhältnis von Eigen- und
Fremdkapitalfinanzierung - und damit die Frage, wie viel Kapital das Land Berlin durch einen
Kredit oder eine Bürgschaft finanzieren muss - wirtschaftlich ist und dauerhaft bezahlbare
Mieten ermöglicht, bzw. ab welcher Entschädigungssumme dies der Fall ist, bleiben in der
Stellungnahme des Landesrechnungshofs leider unbeantwortet. Die bisherigen Kostenschätzungen
sowohl des Senats wie des Landesrechnungshofs sind daher nicht nachvollziehbar. Der
Landesrechnungshof hat nicht einmal eine eigene Entschädigungsberechnung gemacht oder die
Ankäufe der letzten Jahre ausgewertet. Wir Bündnisgrüne stehen für eine faktenbasierte und
wissenschaftlich fundierte Politik.
Das von Schwarz-Rot geplante Rahmengesetz ist überflüssig, juristisch sinnfrei und daher ein
schlechtes Ablenkungsmanöver. Auch wenn bei einer unserer Sondierungen - bei beiden hatten
wir einen Umsetzungsweg für den Volksentscheid gefunden - das Rahmengesetz eine Rolle
spielte, war für uns immer zentral, dass aus dem Parlament heraus ein
Vergesellschaftungssgesetz für Wohnraum erarbeitet wird. Wir Bündnisgrüne fordern weiterhin,
dass dem Willen der Mehrheit der Berliner*innen Rechnung getragen wird und der
Volksentscheid zur Vergesellschaftung umgesetzt wird. Wir Bündnisgrüne begrüßen es, dass die
Initiative “Deutsche Wohnen & Co Enteignen” die Sache selbst in die Hand nimmt, indem sie
ein Umsetzungsgesetz erarbeitet und anschließend die Berliner*innen über diesen
Gesetzentwurf in einem erneuten Volksentscheid abstimmen lassen will. Zugleich bestehen
weiterhin offene Fragen zur Umsetzung, die in der Expert*innenkommission leider nicht
geklärt werden konnten. Daher fordern wir die Bündnisgrüne Fraktion im Abgeordnetenhaus auf,
die Diskussion zur Umsetzung des Volksentscheids mit konkreten Beiträgen zur
wissenschaftlichen Aufarbeitung der im Abschlussbericht der Expert*innenkommission
gelassenen Leerstellen wie z.B. zu Fragen der Finanzierung, der Berechnung der
Entschädigungssumme und zur Ausgestaltung der Anstalt öffentlichen Rechts zu unterstützen.
Darüber hinaus gibt es viele weitere Themen und Fragen, die wir auf unserer nächsten
Landesdelegiertenkonferenz im Herbst 2024 in der Breite unserer Partei diskutieren und einen
umfassenden Beschluss zu einer sozialen und ökologischen Wohnungs-, Mieten- und
Stadtentwicklungspolitik fassen werden - für eine solidarische, offene und soziale Stadt!