Das Antragsrecht gehört zu den wichtigsten Mitgliederrechten. Durch Anträge an die Beschlussgremien können Mitglieder direkt an der Willensbildung unserer Partei teilnehmen. Sie können ihre Vorschläge und Forderungen als Beschlussvorlagen einreichen und haben dann ein Recht auf eine öffentlich begründete und zügige Entscheidung in der Sache, auf Ablehnung oder Annahme.
Es ist also durchaus angemessen und sinnvoll, das Antragsrecht in die Satzung aufzunehmen. Es gibt aber keinen vernünftigen Grund, die Mitglieder dabei Hürdenrennen laufen zu lassen.
In den vergangen beiden Jahren haben wir auf vier LDKen (2. 12. 2017, 21. 4. 2018, 24. 11. 2018 und 6. 4. 2019) zu 72 eigenständigen Anträgen (inhaltliche, ohne die zu Tagesordnung und Haushalt) Beschlüsse gefasst – 65mal zustimmend, siebenmal ablehnend. Neben 37 Gremienanträgen und 3, die von Personen und Gremien zusammen gestellt wurden, bildeten 32 Personenanträge die Grundlage. 23 dieser Personenanträge wurden von ein bis vier Mitgliedern gestellt. Neben drei Personenanträgen wurden auch vier Gremienanträge nicht angenommen. - Auch zu dieser LDK (7. 12. 2019) stehen neben 11 Gremienanträgen und einem, der von Personen und Gremien zusammen gestellt wird, 14 Personenanträge zur Abstimmung, neun davon werden von ein bis vier Mitgliedern beantragt.
Bei uns gibt es keine Geschlechter-Apartheid und Frauen werden nicht in den Hintergrund gedrängt - ganz im Gegenteil. Da, wo mehrere Mitglieder zusammen einen Antrag stellen , sind es ganz überwiegend geschlechtergemischte Gruppen von Antragsstellenden: bei den vier zurückliegenden LDKen alle 16, die von mindestens drei Mitgliedern gestellt wurden, plus zwei der Zweier-Anträge. Diesmal gibt es (neben sieben Anträgen Einzelner und einem von zwei Männern) ausnahmsweise einen „männerlosen“ Antrag von sechs Frauen, die anderen fünf sind geschlechtergemischt. Bei den vier zurückliegenden LDKen gab es 81 Antragstellungen von Frauen und 58 von Männern, diesmal sind es 68 und 54 (jeweils ohne die ausdrücklich nur als Unterstützende Genannten; natürlich sind einzelne Mitglieder dabei mehrfach vertreten).
LDKen dauern auch nicht zu lang, sie bewältigen ihr Arbeitspensum in der Regel sogar vorfristig.
Und der Landesverband leidet auch keineswegs unter Beschlussfülle. Wenn ein LDK-Beschluss im politischen Alltag seltener gebraucht wird, so liegt er doch bereit für die Gelegenheiten, wo er passt und verwendet werden kann.
Die gegenwärtige Praxis hat sich also durchaus bewährt. Sie funktioniert auch bei erfreulich gewachsener Mitgliederzahl gut.
Die Fülle der Änderungsanträge lässt sich mit der achtköpfigen Antragskommission (vgl. https://berlin.antragsgruen.de/ldk192/Landesvorstand_13_Absatz_5_Antragskommission-33833 ) mindestens so gut bearbeiten, wie das auf Bundesebene vor und auf BDKen geschieht. Dort bewältigen die acht Antragskommissionsmitglieder an die tausend Anträge pro BDK und bei Wahlprogrammen noch deutlich mehr. Bei unseren LDKen gibt es sehr viel weniger Änderungsanträge; bei der letzten am 6. April 2019 waren es nur 164. Von ihnen wurden fast alle durch (modifizierte) Übernahmen integriert, machten also den Delegierten gar keine Arbeit, nur bei zweien gab es Abstimmungen. Das ist mühelos zu „händeln“. Und das Verhandeln vor der LDK braucht zwar immer einige Zeit, aber auch die ist gut angelegt: Antragsteller*innentreffen sind nebenbei auch zur Transparenz und als politische Weiterbildung für Antragstellende hilfreich. Es wäre also nutzlos und kontraproduktiv, Mitglieder durch hohe Hürden mutwillig davon abzuhalten, Änderungsanträge zu stellen.
Nun zur Behauptung des Landesvorstandes, es sei „ jedem Mitglied möglich.., 15 Unterstützer*innen zu finden“. Die ist vollkommen realitätsfern. Das weiss einfach jede*r, die/der sich schon mal selbst vor BDKen um die dort vorgeschriebenen 19 Mit-Antragstellenden bemüht hat.
Allen übrigen sei es am Beispiel von Ingrid Nestles Wasserstoffstrategie-BDK-Antrag V-09 erklärt:
die hervorragende fachliche Qualität und besondere Dringlichkeit kann gar nicht bestritten werden, dieser Antrag wurde gegen grosse Konkurrenz erster beim Gesamtmitglieder-V-Ranking und die BDK Bielefeld hat ihn mit grossem Beifall angenommen. Dennoch und obwohl grüne Energiepolitiker*innen eigentlich in ständigem Austausch stehen, haben bundesweit grade mal 20 Mitglieder in 39 Stunden diesen Antrag unterstützt, siehe https://antraege.gruene.de/44bdk/motion/901 . - Ingrids zweiter, ebenfalls guter und wichtiger Antrag zur BDK Bielefeld, https://antraege.gruene.de/44bdk/Stromkunden_am_Markt_aktiv_beteiligen-2013 ist leider mit 17 statt der vorgeschriebenen 19 Unterstützenden an dieser Hürde hängengeblieben.
Der Vorschlag des LaVo, die Mindestzahl von fünfzehn ist also ganz unbrauchbar, dies würde das persönliche Antragsrecht zum De-facto-Vorrecht der ein bis zwei Dutzend prominentesten Mitglieder unseres Landesverbandes machen, und sogar MdBs könnten bei etwas spezielleren Arbeitsgebieten grosse Schwierigkeiten beim Sammeln von Unterstützer*innen haben.
Aber auch geringere Zahlen wie die von Anderen beantragten vier bzw. fünf haben praktische Nachteile. Die liegen vor allem in dem völlig überflüssigen Zwang, Teams nach Mindestgrössen zusammenzusuchen und zusammenzuhalten. Der würde weder Mitgliedern Freude machen noch die Beschlussqualität fördern.
Denn Gremienanträge sind erfahrungsgemäß nicht unbedingt besser als Personenanträge. Die Texte grösserer Arbeitsgruppen überragen nicht unbedingt die Entwürfe von einem oder zwei Mitgliedern. Viele Köch*innen können Antragsbreie auch breiig machen, der Ausdruck "typisches Kompromisspapier" ist kein Kompliment. Dagegen überzeugen Anträge einzelner Mitglieder oft durch besondere sprachliche und gedankliche Qualitäten, sie sind Beschlussvorlagen "aus einem Guss". Soweit politische Fragen sich von einem Mitglied auch allein gut überblicken und bearbeiten lassen und soweit die Expertise Einzelner ausreicht, können „schlanke“ Anträge Einzelner auch zu besseren Beschlüssen führen. Dies haben die LDK-Delegierten auch gern anerkannt und den Anträgen einzelner Mitglieder dieselben Chancen gegeben wie den Anträgen grosser Gremien.
Es gibt sehr gute Gründe, dass Teams sich geschlechtervielfältig zusammenfinden. Eben deswegen sind ja auch beinah alle grösseren Antragssteller*innengruppen geschlechtergemischt. Es gibt aber keine guten Gründe, dies durch Satzungsvorschrift erzwingen zu wollen.
Nötigende Vorschriften sollten nur da gemacht werden, wo es ohne sie wirklich nicht geht. Wo das nicht sein muss, soll unsere Satzung allen Mitgliedern soviel Freiheit wie möglich verschaffen.
Bei der Antragstellung geht es auch ohne Zwang. Und es ist menschlich viel schöner, wenn die Zusammenarbeit freiwillig erfolgt und niemand denken muss: die anderen sprechen nur gezwungenermassen mit mir, ich bin nur Füllmasse für ein Satzungsquorum.
Viel besser ist es, wenn wir bei freien Entscheidungen bleiben. So, wie es jetzt ist, ist das individuelle Antragsrecht zu LDK und LMV ein grossartiges Zeichen dafür, dass wir eine Gemeinschaft mündiger Mitglieder sind. Jedem Mitglied wird damit gesagt: bei uns zählst Du nicht nur gebündelt und „in der Masse". Du wirst individuell wahrgenommen und ernst genommen. Wenn Du mit Namen und Gesicht für Deinen Vorschlag einstehst, dann schenkt die LDK bzw. die LMV Dir auch Gehör. Du bist Mitgestalter*in des gemeinsamen Willens.
Lasst uns daher beschliessen: Jedes Mitglied soll ihr bzw. sein Antragsrecht als Person behalten und frei wählen dürfen, mit wem sie bzw. er Anträge stellt.