Veranstaltung: | LDK am 3. Juni 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 7 Weitere Anträge |
Antragsteller*in: | LAG Demokratie und Recht (dort beschlossen am: 27.04.2023) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 28.04.2023, 00:03 |
V-6: „Rasse“-Begriff in der Verfassung von Berlin ersetzen und Fördergebot zum Schutz vor Diskriminierung einführen
Titel
Antragstext
Die Landesdelegiertenkonferenz möge beschließen:
- Bündnis 90/Die Grünen Berlin kritisiert, dass der schwarz-rote Koalitionsvertrag keine
Aussage dazu erhält, wie mit dem Begriff „Rasse“ in Art. 10 der Berliner Verfassung
umgegangen werden soll.
- Wir fordern die Koalition auf, Art. 10 der Berliner Verfassung und weitere Regelungen
des Berliner Landesrechts, die den Begriff „Rasse“ nutzen, zu ändern. Die genaue
Formulierung muss unter aktiver Beteiligung der Zivilgesellschaft entwickelt werden.
- Dabei halten wir es für besonders bedeutsam, einen Ansatz zu verfolgen, der erstens
keine Schutzlücken lässt oder eröffnet, zweitens sicherstellt, dass der rechtliche
Schutz nicht hinter den jetzigen Zustand zurückfällt und drittens dem historischen
Kontext der Regelung umfassend Rechnung trägt. Insbesondere darf es für die Frage, ob
eine rassistische Diskriminierung vorliegt, nicht auf die Motivation der
diskriminierenden Person oder Institution ankommen. Struktureller Rassismus muss in
all seinen Facetten erfasst werden.
- Wir fordern zudem die Einfügung eines Gewährleistungsauftrags und Fördergebotes zum
Schutz vor Diskriminierung in die Berliner Verfassung.
- Wir fordern schließlich, die Bedeutung von rassistischen Diskriminierung im Recht und
durch Recht weiter zu untersuchen und die Erkenntnisse in die die
Antidiskriminierungsarbeit des Landes Berlin einfließen zu lassen. Die Änderung der
Verfassung sind von hohem symbolischen und auch von rechtspraktischem Wert. Wichtig
ist aber, dass sie von weiteren praktischen Maßnahmen begleitet werden, die darauf
gerichtet sind Diskriminierungen effektiv und zielgerichtet zu bekämpfen.
Begründung
Als Grüne setzen wir uns konsequent gegen Rassismus, Antisemitismus und alle Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ein, um unserem Ideal einer vielfältigen und gleichberechtigten Gesellschaft näherzukommen. Derzeit sind Rassismus, Antisemitismus und vergleichbare Diskriminierungen in Deutschland, auch in Berlin, für die Betroffenen nach wie vor alltägliche Realität. Das ist ein gravierender Missstand, den wir nicht hinnehmen wollen und dürfen. Auch das Recht ist nicht frei von Rassismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, da Einfallstore für strukturelle Diskriminierungen weiterhin bestehen.
Artikel 10 der Verfassung von Berlin enthält den Gleichheitsgrundsatz, eines der elementaren Prinzipien des demokratischen Staates. Im zweiten Absatz heißt es weiter: „Niemand darf wegen […] seiner Rasse, […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Diese Formulierung entspricht Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes und wurde historisch gerade in Abgrenzung von der Rassenideologie des Nationalsozialismus in den Verfassungstext aufgenommen. Diesem historischen Kontext muss eine Neuregelung umfassend Rechnung tragen.
Die Formulierung aus Artikel 10 der Verfassung von Berlin wird vielfach kritisiert: Die Verwendung des Begriffs „Rasse“ impliziere, dass es menschliche Rassen gäbe. Das wiederum sei eine rassistische Vorstellung, da die Existenz menschlicher „Rassen“ nicht dem Stand der Wissenschaft entspricht. Auch in der Rechtspraxis führt die Verwendung des Begriffs „Rasse“ teilweise dazu, dass Gerichte biologistische Definitionen verwenden und Menschen die Zugehörigkeit zu einer „Rasse“ zuschreiben.
Einigkeit besteht darüber, dass das Diskriminierungsverbot wegen der „Rasse“ angesichts vielzähliger rassistischer Diskriminierungen nicht ersatzlos gestrichen werden soll. Selbst gegen eine Ersetzung durch eine andere Formulierung haben einige Expert*innen Bedenken geäußert, da hierdurch das Schutzniveau vor Diskriminierung abgesenkt werden könne.
Vor diesem Hintergrund hatten die Koalitionspartner im rot-grün-roten Koalitionsvertrag vereinbart: „Die Koalition erarbeitet mit den von Rassismus betroffenen Communities, wie der Begriff ‚Rasse‘ aus Art. 10 der Berliner Verfassung und weiteren landesrechtlichen Regelungen zugunsten einer den Schutzbereich der rassistisch motivierten Diskriminierung umfassenden Formulierung ersetzt werden kann.“ Wir bedauern, dass der schwarz-rote Koalitionsvertrag nunmehr keine Aussage zu diesem Thema enthält, eine Änderung von Art. 10 der Berliner Verfassung insofern also offenbar nicht vorgesehen ist.
Um eine neue Formulierung festzulegen, muss ein transparenter und inklusiver Prozess unter Beteiligung der Zivilgesellschaft stattfinden. Ohne diesem Prozess und dessen Ergebnis vorzugreifen halten wir es für erforderlich, auf ein Ergebnis hinzuwirken, das Rassismus als strukturelles Problem erfassen vermag. Dieses Verständnis von Rassismus entspricht dem modernen sozialwissenschaftlichen Verständnis. In der Begründung der Verfassungsänderung gilt es festzuhalten, dass dem Diskriminierungsverbot ein strukturelles Rassismusverständnis zu Grunde liegt. Eine Diskriminierung liegt nach einem solchen Verständnis auch dann vor, wenn die diskriminierenden Person oder Stelle nicht in einer rassistischen Absicht oder mit einer rassistischen Intention handelt, da derartige subjektive Elemente unbeachtlich sind. Dies in den Gesetzgebungsmaterialien festzuhalten ist bedeutsam, da diese von Gerichten zur Auslegung der Vorschrift herangezogen werden.
Die Ersetzung des Rassebegriffs sollte zudem als Anlass diesen, um zu überprüfen, ob weitere Änderungen in der Verfassung von Berlin zur Bekämpfung rassistischer Diskriminierung angezeigt sind. Sinnvoll erscheint dabei insbesondere die Aufnahme eines Gewährleistungsauftrags und Fördergebots zum Schutz vor Diskriminierung in die Verfassung (vgl. für die Bundesebene auch Gesetzentwurf Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 3 – Ersetzung des Wortes Rasse und Ergänzung zum Schutz gegen gruppenbezogene Menschenwürdeverletzungen) BT-Drs. 19/24434). Eine solche Regelung würde ausdrücklich klarstellen, dass Gesetzgebung und Verwaltung positive Maßnahmen zum Schutz strukturell diskriminierungsgefährdeter Gruppen ergreifen müssen, was auch zur Rechtssicherheit beitragen würde. Die Formulierung des Gewährleistungsauftrags und Fördergebots könnte sich an derjenigen des Art. 10 Abs. 3 der Verfassung von Berlin zur Gleichstellung und gleichberechtigten Teilhabe von Männern und Frauen orientieren. Die Regelung sollte dabei nicht auf rassistische Diskriminierung beschränkt werden, um eine Hierarchisierung verschiedener Diskriminierungsmerkmale zu vermeiden und auch intersektionale Diskriminierung zu erfassen. Die Einführung eines Gewährleistungsauftrags und Fördergebots in die Verfassung wäre ein wichtiger Schritt für einen umfassenden Schutz vor Diskriminierung und könnte Berlin zum verfassungspolitischen Vorreiter für andere Länder und den Bund machen.
Schließlich kommt es darauf an, die Änderungen in der Verfassung von Berlin in eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung rassistischer Diskriminierung im Recht einzubetten. Während die Änderung der Verfassung von hohem symbolischen und durchaus auch von rechtspraktischem Wert ist, muss sie von weiteren praktischen Maßnahmen begleitet werden. Dazu gehören unter anderem die effektive Unterbindung von racial profiling im Polizeirecht, eine Förderung zu Gunsten von Personen, die Teil diskriminierungsgefährdeten Gruppen sind, in der Justiz, eine Stärkung der LADG-Ombundsstelle, die Einführung einer Diskriminierungsfolgenabschätzung im Gesetzgebungsverfahren sowie eine fundierte Auseinandersetzung mit diskriminierenden Wirkungen von Recht u.a. in der juristischen Ausbildung.
Änderungsanträge
- V-6-002 (Sebastian Walter (KV Berlin-Tempelhof/Schöneberg), Eingereicht)