Veranstaltung: | Frauen*Vollversammlung 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 6 Verschiedenes |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Sprecher*innen-Team der LAG Feminismus |
Antragshistorie: | Version 2 |
Das Patriarchat überwinden - solidarisch mit allen FLINTA ( = Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen) Personen!
Beschlusstext
bell hooks prägte den Satz “Feminismus ist nicht nur für Frauen. Es ist eine
soziale Bewegung, die Freiheit für alle schaffen will." Die Befreiung von den
Auswirkungen des Patriarchats ist für Frauen nur gemeinsam mit INTA Personen
möglich und betrifft alle FLINTA Personen.
Die Frauenvollversammlung kann sich formal nicht selbst zur FLINTA-
Vollversammlung umwandeln. Diese Entscheidung wird in der Landessatzung
geregelt.
Deshalb bitten wir die Frauen-Vollversammlung ein Votum abzugeben, mit dem
Auftrag an den Landesvorstand einen Satzungsänderungsantrag für die
Landessatzung vorzubereiten und einzubringen, welcher beinhaltet:
Die Frauenvollversammlung und Frauenkonferenz werden zur FLINTA-Vollversammlung
und FLINTA-Konferenz umbenannt.
Alle FLINTA Personen sind explizit eingeladen, dürfen Anträge einbringen,
Redebeiträge halten und abstimmen.
Begründung
kurz:
Das Frauenstatut und die Frauenkonferenz waren Meilensteine im Kampf gegen patriarchale Unterdrückung in unserer Gesellschaft und unserer Partei.
Sie greifen aber zu kurz, da sie nicht alle FLINTA Personen einschließen und damit die von patriarchalen Denkmustern geschaffenen Hierarchien fortschreiben, statt sie zu hinterfragen und zu überwinden. Das Patriarchat unterdrückt alle Personen, die nicht-männlich sind und/oder die das Narrativ der traditionellen Familie und stereotyper, binärer Geschlechterrollen von Mann und Frau infrage stellen.
INTA Personen stellen ebendieses System durch ihre bloße Existenz infrage. Sie sind deshalb Gewalt ausgesetzt und werden als Zielscheibe konservativer Scheindebatten genutzt, weil sie als Gefährdung des patriarchalen Status Quo gesehen werden.
Ohne den Erfolg des Frauenstatuts oder der Frauenkonferenz zu schmälern, liegt es in unserer Verantwortung als progressive Partei unsere Strukturen zu reflektieren und weiterzuentwickeln.
Für einen solidarischen feministischen Kampf gemeinsam mit unseren inter, nichtbinären, trans und agender Geschwistern!
lang:
Feminismus sollte uns alle repräsentieren.
Das Frauenstatut wurde als revolutionärer, feministischer Erfolg gefeiert. Es sollte gegen die Ungleichbehandlung und ungerechte Verteilung von Verantwortung und Ressourcen im Patriarchat wirken. Infolgedessen wurde die Frauenvollversammlung als Debatten- und Entscheidungsort für marginalisierte Personen des Patriarchats geschaffen. Die Vollversammlung sollte dafür sorgen, dass Betroffene mehr Gehör in der Partei erhalten.
Aber wie so häufig bei feministischen Erfolgen von vor über 30 Jahren, wurden diese nur für eine Teilgruppe der Betroffenen von patriarchaler Unterdrückung erkämpft. Denn man hat einen Debattenort geschaffen, in dem nur Frauen willkommen sind. Bis heute werden nur Frauen eingeladen, obwohl patriarchale Gewalt und Unterdrückung, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen genauso betrifft.
Von einer Marginalisierung betroffen zu sein, bedeutet eben nicht, dass man selbst niemanden unterdrücken kann. Im Gegenteil: Wenn cis Frauen ihr Privileg nutzen, um INTA Personen auszuschließen oder zu unterdrücken, werden sie dafür gesellschaftlich belohnt. Denn sie halten somit das System aufrecht, das sie selbst unterdrückt: Die traditionelle Familie, stereotype Rollenbilder und das binäre Geschlechtersystem.
Das Patriarchat braucht die Erzählung der “traditionellen Frau”.
Das Patriarchat basiert auf der Erzählung, dass es naturgegeben sei, dass Frauen sorgend, mütterlich und aufopfernd seien. Daraus wird das Rollenbild der Frau in der “traditionellen Familie” hergestellt, welche alle Aufgaben im Zuhause übernimmt. Im Gegensatz dazu wird der Mann als emotionslos, kämpferisch und rational stereotypisiert. Ihm wird die Lohnarbeit außerhalb des Zuhauses wie naturgegeben zugeschrieben.
Beide arbeiteten Vollzeit. Aber nur Männer wurden bezahlt. Denn nur die Arbeit außerhalb des Zuhauses wurde überhaupt als Arbeit, die einen Geldwert hat, angesehen. Jeglicher Arbeitskampf verbesserte somit für eine lange Zeit nur Arbeitsbedingungen für Männer.
Als Frauen irgendwann das Recht erkämpften, dieselbe Lohnarbeit wie Männer ausüben zu dürfen, war dies keine feministische Fortschrittspolitik, sondern durch Arbeitskräftemangel bedingt. Hinter dem vermeintlichen Gewinn, derselben Lohnarbeit wie Männer nachgehen zu dürfen, war ausschließlich Mehrarbeit für Frauen versteckt. Die Erzählung der natürlichen Rolle der Frau in der traditionellen Familie führte dazu, dass neben einem Vollzeit-Job außerhalb des Zuhause, zusätzlich alle Arbeit im Zuhause nur von Frauen übernommen werden musste. So habe es die Natur vorgegeben.
Bis heute wird diese Erzählung genutzt, um unbezahlte Arbeit von Frauen auszubeuten. Unser Wirtschaftssystem funktioniert ausschließlich, weil “naturgegeben weibliche” Arbeit nicht entlohnt wird.
Das Patriarchat ist notwendig, um das kapitalistische Wirtschaftssystems, das uns alle ausbeutet, aufrechtzuerhalten.
Nun könnte man schlussfolgern, dass die Hauptbegünstigten dieser systematischen Unterdrückung, alle cis Männer sind. Denn auf den ersten Blick schafft dieses System allen cis Männern einen gewissen Vorteil. Das traditionelle Männerbild gibt ihnen das vermeintlich naturgegebene Recht, sich nie um die Arbeit im Zuhause kümmern zu müssen.
Die Überausbeutung von Frauen stellt somit sicher, dass cis Männer weniger Ausbeutung erleben. Aber der Hauptteil von cis Männern wird dennoch weiterhin ausgebeutet. Auf dem Arbeitsmarkt müssen auch cis Männer ihre Arbeitskraft verkaufen, um zu überleben. Dabei erhalten auch cis Männer niemals den wirklichen Profit ihrer Arbeit, sondern ausschließlich einen kleinen Anteil dessen. Den Hauptteil des Profits klaut der Arbeitgeber/Unternehmer, der Arbeitnehmer*innen ausbeutet, um sein Kapital zu sichern.
Die Überausbeutung von Frauen dient dazu, cis Männer zu aktiven Unterstützern eines Systems zu machen, das sie selbst ausbeutet. Weil cis Männer wissen, dass es eine noch schlimmere Ausbeutung als die eigene gibt, tun sie alles, um diese Überausbeutung, nicht erleben zu müssen. Um den eigenen, besseren Status zu sichern, üben sie selbst patriarchale Gewalt aus und unterdrücken FLINTA Personen aktiv.
Arbeitskraft muss reproduziert werden.
In einem kapitalistischen Wirtschaftssystem muss Profit immer gesteigert werden. Infolgedessen braucht es einen unaufhörlichen Strom von Arbeiter*innen, die sich bereitwillig ausbeuten lassen. Deshalb ist es nicht überraschend, dass konservative Kräfte auch die körperliche Selbstbestimmung von FLINTA Personen begrenzen wollen. Egal ob es um Schwangerschaftsabbrüche oder geschlechtsbekräftigende Gesundheitsversorgung geht.
Um eine Argumentation gegen diese Gesundheitsversorgung aufzubauen, werden immer die gleichen Narrative genutzt: Biologische Merkmale und das sozial konstruierte Geschlechterrollen werden ideologisch miteinander verknüpft.
Dabei ist die Fähigkeit Kinder zu gebären essenziell für die Ausbeutung aller Menschen im System. Ohne die Reproduktion der Arbeitskraft könnte durch diese nämlich kein kontinuierlich steigender Profit generiert werden.
Darüber hinaus, wird alle Arbeit, die abseits von Lohnarbeit notwendig ist, um die Gesellschaft am Laufen zu halten und grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen, als “Liebesdienst” von Frauen oder weiblich gelesenen Personen verortet. Alle Arbeit, die sich in den Zwischenräumen zwischen Lohnarbeit und Zuhause, Schule, Krankenhaus, Kindergarten, Pflegeheim etc. abspielt, ist notwendig, um die Gesellschaft aufrechtzuerhalten und Arbeitskraft zu reproduzieren. Die Selbstverständlichkeit diese Arbeit unentlohnt oder zu prekären Arbeitsbedingungen auszuführen, ist direkt verwoben mit dem “traditionellen” Bild von Weiblichkeit. Das Verständnis davon, was Frau-sein ist, mit biologischen Eigenschaften zu besetzten, stellt eine “angeborene”, “natürliche” Verantwortlichkeit für ebendiese Aufgaben her.
Abseits von konkreten wissenschaftlichen Widersprüchen der Verknüpfung von Biologie und sozial konstruierten Geschlecht, ist zu überlegen, wer davon profitiert auf dieses Narrativ zu bestehen.
Eine gespaltene Gesellschaft lässt sich leichter ausbeuten.
Die Logik von Ausbeutung und Überausbeutung findet sich in jeder systematischen Form der Unterdrückung wieder. So werden rassistische Erzählungen über vermeintlich naturgegebene Merkmale genutzt, um die Schlechterbehandlung von migrantisierten Menschen und Personen of color, zu begründen. Weiße Menschen werden durch diese Überausbeutung bevorteilt und haben einen Ansporn, Rassismus als System aufrechtzuerhalten.
Es ist immer die gleiche Taktik: Die Gesellschaft wird gespalten in zwei Gruppen auf der Basis eines zufälligen Merkmals. Diesem Merkmal, werden Eigenschaften zugeschrieben, die als von der Natur gegeben definiert werden. Diese Naturalisierung führt dazu, dass diese Eigenschaften in Bezug auf beide Gruppen unveränderbar und schon immer dagewesen erscheinen. Durch die Hierarchisierung der beiden Gruppen wird eine Gruppe exponentiell mehr ausgebeutet. Den Eigenschaften (z.B. sorgend sein, Emotionen zeigen) der benachteiligten Gruppe, wird eine negative Bedeutung zugeschrieben. Das stärkt die gesellschaftliche Akzeptanz bezüglich dieser Hierarchisierung und Überausbeutung. Die privilegierte Gruppe hat somit ein Interesse, sich so viel wie möglich von “den Anderen” und deren Eigenschaften abzugrenzen. So dienen die Rollenbilder auf der Basis naturalisierer Eigenschaften zur Aufrechterhaltung der Überausbeutung.
Die Existenz von trans, inter, nichtbinärer und agender Personen gefährdet das Patriarchat.
Alles, was die stereotypen Rollenbilder von Mann und Frau, die “traditionelle Familie” und die klare Trennung zwischen zwei binären Geschlechtern, infrage stellt, ist eine Gefahr für die Aufrechterhaltung des Patriarchats. In der Folge haben alle, die vom Patriarchat und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem profitieren, ein Interesse daran, ebendiese Erzählungen von Geschlecht und Familie zu stärken.
Alle Menschen, die also weder in die Kategorie Mann und Frau passen oder infrage stellen, dass die Zugehörigkeit zu diesen Kategorien unveränderbar und naturgegeben ist, stellen eine Gefahr für das Patriarchat dar. Damit das Patriarchat aufrechterhalten werden kann, müssen INTA Personen unterdrückt werden, weil sie durch ihre bloße Existenz beweisen, dass das Patriarchat nicht naturgegeben oder unveränderbar ist.
Deshalb wird mit Gewalt versucht, die Existenz von INTA Personen zu leugnen. Sie erleben überproportionale körperliche Gewalt, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und haben somit ein hohes Risiko für Armut. Dabei wird die Gewalt, die es braucht, um in die konstruierten Rollenbilder von Mann und Frau hineinzupassen, auf INTA Personen übertragen.
Dabei können auch binargeschlechtliche trans Personen niemals dieselben Privilegien wie cis Personen wahrnehmen. Trans Männer und trans Frauen sind Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt und können häufig ausschließlich durch andere Privilegien wie Reichtum einem Teil dieser Gewalt entkommen.
An der Erzählung festzuhalten, das Patriarchat unterdrücke ausschließlich Frauen, zementiert somit ausschließlich die Unterdrückung von Frauen und legitimiert die Überausbeutung von und Gewalt gegenüber INTA Personen.
Die Befreiung vom Patriarchat ist für Frauen nur gemeinsam mit inter, trans, nichtbinären und agender Personen möglich.
Wir müssen unsere Strukturen, die gegen die Benachteiligung und Gewalt des Patriarchats wirken sollen, für alle FLINTA Personen öffnen. Egal ob Frauenstatut oder Frauenvollversammlung. Die Grüne Partei muss mit den Mythen des Patriarchats brechen und für eine gemeinsame, solidarische Überwindung des Patriarchats kämpfen!